Der Oscar und die Schweiz: Mut zu mehr Lobbyarbeit im Filmbusiness
Am 27. März werden die Oscars verliehen. Was abendfüllenden Filmen aus der Schweiz seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gelungen ist, schaffte dieses Jahr erneut ein Kurzfilm: Maria Brendles "Ala Kachuu“ ist mit vier anderen Titeln für einen Preis nominiert.
«Je besser der erste selbstgeknetete Brotteig gelingt, umso netter wird auch die zukünftige Schwiegermutter sein“, erklärt Sezims Mutter ihrer Tochter. Doch Sezim könnte das nicht gleichgültiger sein: Ihr Wunsch ist es, in der Stadt studieren zu können, genauso wie eine andere junge Frau aus ihrem Dorf.
Ohne Wissen ihrer Eltern schleicht sie sich davon, nimmt an einer Prüfung teil, die ihr ein Stipendium sichern könnte, und arbeitet, während sie auf die Ergebnisse wartet, in einer Bäckerei – wo sie ironischerweise die Lehren ihrer Mutter als Qualifikation anbringen kann. Bevor Sezim erfährt, ob sie erfolgreich war, passen drei Männer sie nach Schichtende ab und verschleppen sie aufs Land, wo sie sofort mit einem jungen Mann zwangsverheiratet wird.
Diesem Brauch des sogenannten «Brautraubs“, der in Kirgisistan trotz Verbots seit Generationen Tradition hat, widmet Maria Brendle ihren 38-minütigen Kurzfilm «Ala Kachuu«, der als einer von fünf Beiträgen die Chance hat, bei der diesjährigen Preisverleihung einen Academy Award zu gewinnen.
Trotz klarer lokaler Verortung des Plots regt er doch grundsätzliche Überlegungen zur Vereinbarkeit weiblicher Emanzipation mit der Wahrung gesellschaftlicher Wertevorstellungen zu Familie und Geschlechterrollen an.
Der schnelle Schnitt und die präzise Inszenierung, die sich nicht mit langen Erklärungen abgibt, machen Brendles Film spannend – er ist aber gleichzeitig anrührend darin, wie er geschickt die emotionale Situation aller Protagonisten darlegt, ohne ins Belehrende oder Moralisierende zu verfallen.
Das Gewicht auf den Schultern des Kurzfilms
«Ala Kachuu« vertritt nun also die Schweiz bei den Oscars. Seit 2009 sind mit ihm vier Kurzfilme in der Kategorie «Live Action“ nominiert worden.
Das waren «Auf der Strecke» (2009) von Reto Caffi, in dem Roland Wiesnekker einen unglücklich verliebten Kaufhausdetektiv spielt, «Parvaneh» (2015) von Talkhou Hamzavi, in dem es um eine junge asylsuchende Afghanin in der Schweiz geht, und schliesslich «La femme et le TGV» (2017) von Timo von Gunten, eine Liebesgeschichte mit Jane Birkin in der Hauptrolle.
In den letzten Jahren waren es Kurfilme, die überhaupt eine reelle Chance auf einen Oscar hatten und das Schweizer Filmschaffen auf dem internationalen Parkett repräsentierten.
Das ist keine unbedeutende Leistung, denn ausländische Filme müssen sich in diesem Bereich erst mühsam einen Platz erkämpfen. Die Preise für Kurzfilme, in drei Kategorien aufgeteilt, Spielfilm, Animation und Dokumentarfilm, vergibt die Academy zwar bereits seit 1932 – nur drei Jahre nach ihrer Gründung und der ersten Preisverleihung 1929. Aber nicht-US-amerikanische Produktionen waren erst spät vertreten und kaum erfolgreich.
Ab den 1960er Jahren dominierten französische und britische Filme, erst in den 1990er Jahren wurde das Bild multinationaler.
Kein Erfolg für den Schweizer Langfilm
Dennoch: Die grössere internationale Aufmerksamkeit liegt auf den Langfilmen. Und in diesem Punkt konnte der Schweizer Film bisher keine nennenswerten Erfolge verbuchen, obwohl seit 1962 jährlich ein Film ins Rennen geschickt wurde.
Bei den Academy Awards in Kategorien wie «beste Regie», «bester Schnitt» gegen die US-amerikanische Produktion antreten, ist für Schweizer Filme meist utopisch, da nur sehr wenige Schweizer Produktionen von Verleiher:innen in die USA importiert werden. Eine Beteiligung von Schweizer:innen an den allgemeinen Oscar-Wettbewerben ist aber am ehesten denkbar, wenn sie an US-Produktionen direkt mitarbeiten. So erhielt der Künstler HR Giger für seine Zeichnung der ausserirdischen Kreaturen in Ridley Scotts «Alien« (1979) den Oscar, oder Marc Forster für seine Filme.
Es bleibt also in erster Linie der Weg über den Wettbewerb «bester internationaler Film“. Hierfür kann jedes Land einen Titel einreichen, der erst die Hürde der Shortlist nehmen muss, die aus allen Einreichungen neun Filme zusammenstellt, aus der dann die vier bis fünf finalen Nominationen hervorgehen. Auf die Shortlist haben es in den letzten 60 Jahren insgesamt acht Schweizer Filme geschafft. Die tatsächliche Nominierung erreichten davon nur noch fünf Filme, und genau zwei Titel, der Kurzfilm «La diagonale du fou“ (1985) und der Langfilm «Reise der Hoffnung“ (1991), gewannen schliesslich einen Oscar.
Lobbyarbeit führt zum Erfolg
Ausgewählt werden die eingereichten Vorschläge vom Bundesamt für Kultur (BAK). Bis Ende der 1980er Jahre wurden französischsprachige Filme privilegiert, wohl um von dem hohen Ansehen der Nouvelle Vague in Hollywood profitieren zu können.
Und tatsächlich hat es 1974 Claude Goretta mit «L’invitation“, einer dieser Vertreter, bis auf die Nominiertenliste geschafft. Leider ohne zu gewinnen.
Dazu kommt, dass die grosse Mehrheit der Schweizer Titel, die ins Rennen gingen, in das dramatisch-tragische Fach fielen. Sie setzen sich mit ernsten gesellschaftlichen und politischen Themen wie Familie, Frauenrechten, Migration oder Vereinsamung auseinander.
Nur vereinzelt hat man es auch mit Filmen aus dem komischen Fach tatsächlich versucht. Man denke an «Beresina – oder Die letzten Tage der Schweiz“ (2000) von Daniel Schmid oder «Wolkenbruch“ (2020) von Michael Steiner.
Doch damit ein Film eine reelle Chance bei den Oscars hat, braucht es nicht bloss gute Inhalte, sondern etwas anderes: Eine intensive Promotionsarbeit. Dies soll für die Schweiz Swiss Films leisten, eine Stiftung, die vom BAK spezifisch dazu beauftragt ist. Dafür müssen teure und umfangreiche Kampagnen vor Ort in Los Angeles umgesetzt werden.
Noch kann die Schweiz hier nicht mit anderen Akteuren mithalten. Dies hängt unter anderem daran, dass die Schweizer Kulturpolitik in den letzten Jahrzehnten insgesamt, nicht nur auf den Film bezogen, zurückhaltend war: Es fehlte am Mut und am Willen, sich auch als Exporteurin von Kultur und Kunst zu profilieren.
Es wäre nun an der Zeit, diesen Mangel aufzuholen.
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