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Der «Papa» vom Palmengarten

Paola Carega/swissinfo.ch

Je näher die Bundestagswahl rückt, desto populistischer werden die Versprechen der Politiker, findet Matthias Jenny, Direktor des Palmengartens Frankfurt. Wenn der Schweizer wählen könnte, würde er am ehesten für die Grünen votieren.

Matthias Jenny träumt von Schmetterlingen. Genauer von einem Blüten– und Schmetterlingshaus, in dem Königspagen, Limetten Schwalbenschwanz und Tropic Queen umher schwirren und Besucher alles über die raffinierten Wechselwirkungen zwischen Insekt und Blume erfahren.

Es ist ein teurer Traum. Der Bau eines solchen Glashauses verschlingt ohne weiteres mehrere Millionen Euro. Doch der Direktor des Palmengartens Frankfurt, einem der renommiertesten botanischen Gärten der Welt, hat inzwischen Übung darin, seine Vorstellungen von Gartenkunst und Pflanzenkunde mit dem ihm zur Verfügung stehenden Etat in Einklang zu bringen.

Vor nunmehr elf Jahren trat der Schweizer Matthias Jenny seine Stelle an. Auf ihn wartete unter anderem die Herkulesaufgabe, den Palmengarten mit seinen zahlreichen historischen Gebäuden energietechnisch auf einen modernen Stand zu bringen.

Also wurden marode Fenster und klemmende Türen ersetzt, Bewässerungssysteme ausgetauscht, und für die nötige Wärme in den Gewächshäusern sorgt nun ein Blockheizkraftwerk. «Früher hat der Palmengarten halb Frankfurt geheizt», scherzt der 57-Jährige, der in Zürich Biologie studiert hat.

Pragmatische Machtpolitiker

Drei zusätzliche Ingenieur- und Technikerstellen hat die schwarz-grün regierte Stadt für das neue Energiekonzept des Palmengartens bewilligt.

Keine Selbstverständlichkeit, findet der Palmengarten-Direktor. Seiner Ansicht nach gibt es in Deutschland sowohl auf Länder- wie auf Bundesebene zu wenige Politiker, die sich glaubhaft und beharrlich für den Schutz der Umwelt einsetzen. Den meisten Politikern dienten Umweltanliegen lediglich als Profilierungsfeld, kritisiert er.

Jenny kann das nicht verstehen, denn Ressourcenknappheit und Klimawandel betreffe alle Menschen. «Schliesslich stehen wir in der Verantwortung für die kommenden Generationen.»

Dürfte der Auslandschweizer in Deutschland wählen, würde er bei der Bundestagswahl am 27. September für die Grünen stimmen. Wirklich überzeugt ist er indes auch von ihnen nicht. «Auf Bundesebene sind die Grünen pragmatische Machtpolitiker geworden», sagt Jenny.

Zu viel Show und Rhetorik

Jennys Bilanz zur Bundespolitik fällt überhaupt ziemlich ernüchternd aus. Viele Debatten im Bundestag seien eine reine Showveranstaltung, findet er.

«Eine Show mit brillanter Rhetorik, geschliffenen Worten und schönen Versprechen.» Gute Ideen und neue Inhalte höre man dagegen selten. Ausserdem richteten sich Politikerinnen und Politiker zu sehr danach, was bei den Bürgern gut ankomme, stellt Jenny fest.

Je näher die Wahlen rückten, desto populistischer würden die Politiker. Ein Beispiel hierfür seien die von der Union versprochenen Steuersenkungen. Sein Resümee: «Mich beglückt derzeit niemand.»

Hochzeit als politischer Akt

Als Leiter des Palmengartens ist Jenny verantwortlich für die botanische Qualität des 22 Hektaren grossen Areals. 70 Gärtner stehen ihm dafür zur Seite. Doch nicht nur rare Orchideen oder nordamerikanische Steppengräser wollen gehegt werden.

Genauso wichtig für den blühenden Garten ist die Beziehungspflege zu Politik, Behörden und den oberen Zehntausend der Stadt. Also setzt sich der Schweizer in die U-Bahn oder schwingt sich aufs Velo – ein Auto besitzt er aus Überzeugung nicht – und nimmt repräsentative Aufgaben wahr: Er besucht Stiftungen und nimmt an gesellschaftlichen Empfängen und Anlässen teil – letzteres gern zusammen mit Ehemann.

Vor zwei Jahren hat Jenny seinen langjährigen deutschen Lebenspartner geheiratet. Eine Hochzeit aus Liebe – und als politischer Akt. «Als Person mit einer gewissen Öffentlichkeit in Frankfurt wollte ich mit dem Ja-Wort ein Zeichen setzen für die Gleichberechtigung von Homosexuellen», sagt Jenny. Denn diesbezüglich gebe es in Deutschland noch einiges zu verbessern – etwa beim Steuer- und Adoptionsrecht.

Die Familie Palmengarten

Was Jenny bei vielen Politikern in Deutschland vermisst – nämlich Worten auch Taten folgen zu lassen – versucht er in seinem Umfeld umso konsequenter umzusetzen.

So hat er im Laufe der Jahre für möglichst sozial- und umweltverträgliche Arbeitsbedingungen im Palmengarten gesorgt, etwa mit der Schaffung von behindertenfreundlichen Arbeitsplätzen. Rund jeder fünfte der über 100 Angestellten des Palmengartens ist heute schwerbehindert.

«Ich bin ein bisschen wie der Papa einer grossen Familie, der schaut, dass sich alle wohl fühlen», sagt Jenny. Der Schweizer kann sich gut vorstellen, bis zu seiner Rente «Papa» des Palmengartens zu bleiben. «Ich habe mit dieser Stelle ein tolles Los gezogen», sagt Jenny.

Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch

Der Palmengarten Frankfurt beherbergt einer der beeindruckendsten Sammlungen tropischer Pflanzen weltweit.

Der 1868 gegründete botanische Garten mit dem historischen Palmenhaus inmitten der City hat sich darüber hinaus zu einem wichtigen städtischen Kultur- und Erholungsort Frankfurts entwickelt.

Zu verdanken ist das wesentlich dem Schweizer Matthias Jenny, der vor elf Jahren die Leitung der 22 Hektaren grossen Grünanlage übernahm.

Jenny hat unter anderem die Sanierung der Gewächshäuser und des denkmalgeschützen Gesellschaftshauses angeschoben, den Rosengarten neu anlegen lassen, verschiedene kulturelle Veranstaltungsreihen initiiert und den Bau eines neuen Kaffeehauses veranlasst.

1999, zum 250. Geburtstag von Johann Wolfgang Goethe, wurde ausserdem der Goethe-Garten angelegt: Zu den Frankfurter Bürgern, die im 18. Jahrhundert auf dem heutigen Gelände des Palmengartens Obst- und Gemüseplantagen angelegt hatten, gehörte auch die Familie Goethe.

Unter anderem besassen sie eine Streuobstwiese, auf welcher der Vater Johann Caspar Goethe zusammen mit seinem Sohn Wolfgang über 1000 Obstbäume angepflanzt hatte.

Heute zählt der Palmengarten Frankfurt jährlich rund 700’000 Besucher.

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