Der Schweizer, der die andere Marilyn Monroe zeigt
Im Pariser Verlag Editions du Seuil erscheint dieser Tage das Buch "Tapfer lieben". Es zeigt eine verletzliche Marilyn Monroe, die sich äusserst differenziert selbst analysierte. Wesentlich am Erscheinen des Titels beteiligt war ein Schweizer.
«Marilyn hat mein Leben nicht verändert. Doch ich gebe zu, dass ich ihr unzählige schlaflose Nächte zu verdanken habe.»
Bernard Comment ist sich als Leiter der Reihe «Fiction & Cie» beim renommierten Pariser Verlag Editions du Seuil einen turbulenten Berufsalltag gewohnt.
Mit Beginn des diesjährigen Literatur-Herbstes schiesst der Adrenalin-Spiegel des Jurassiers jedoch besonders hoch: Anfang Oktober erscheinen in den USA und in Europa fragmentarische, bisher unbekannte Texte der Hollywood-Diva. die der Jurassier zusammengetragen hat und nun publiziert.
Von der blonden Ikone kennt man die berühmten Filme, Posen, die sinnliche Stimme, die Affären mit Grossen dieser Welt, die Zerbrechlichkeit und schliesslich den tragischen Tod. Bisher unbekannt war aber, dass Marilyn Monroe geschrieben hat.
Von 1943 bis 1962, ihrem Todesjahr, füllt Monroe Notizblöcke und lose Blätter, schreibt Gedichte und Briefe. Dabei wirft sie einen Blick ohne Mitleid auf sich selbst. «Sie sind Zeugnis von grosser Reinheit», sagt Bernard Comment.
swissinfo.ch: Sie kommen soeben aus den USA und aus England zurück, wo Sie für das Buch geworben haben. Wie lief es?
Bernard Comment: Das Buch ist ja noch nicht in den Läden. Aber die wenigen Personen, die es bereits lesen konnten, reagierten absolut enthusiastisch. Das US-Magazin Vanity Fair bringt in der nächsten Ausgabe eine Auswahl der besten Texte.
Anfänglich lehnte der Chefredaktor ab, weil Marilyn bereits vor zwei Jahren eine Titelgeschichte gewidmet war. Aber nach der Lektüre revidierte er seine Meinung.
Der Spiegel in Deutschland, El País in Spanien, der französische Nouvel Observateur, sie alle widmen dem Buch Dutzende von Seiten.
swissinfo.ch: Wie ist das Buch entstanden? Wie kam es, dass Anna Strasberg, Witwe des Schauspielers und Monroe-Lehrers Lee Strasberg, die Publikation der nachgelassenen Texte ausgerechnet einem Schweizer anvertraute, der in Frankreich lebt?
B.C.: Es war einem Zufall zu verdanken: Ich traf in Paris einen Freund der Familie Strasberg, der mir von den Texten Marilyns erzählte. Sofort machte ich mich auf nach New York zu Anna Strasberg. Ohne grosse Hoffnungen, um ehrlich zu sein.
Auch hatte ich Zweifel, was den Gehalt der Texte betrifft. Dazu kam, dass die Summe, die ich anbieten konnte, nicht hoch war. Paradoxerweise war es genau dies, was Frau Strasberg gefiel.
Nicht Geld war es, das sie zum Verkauf bewog, sondern literarische Gründe. Über den genauen Kaufpreis haben wir gar nie gesprochen. Würde ich die Summe nennen, könnte es niemand glauben.
swissinfo.ch: Worauf schrieb Marilyn?
B.C.: In Hefte, wo sie aber immer nur die ersten paar Seiten beschrieb. Auf Hotelpapier mit Briefkopf, wie im New Yorker Hotel Waldorf Astoria, wo sie mit Arthur Miller logierte. Sie hinterliess zudem mehrere Briefe.
swissinfo.ch: Was überraschte Sie am meisten bei diesen Zeugnissen?
B.C.: Die Art und Weise, wie sie ihre eigenen Abgründe erkundet. Es ist oft schwindelerregend, immer berührend. Sie ist sehr generös, gibt ohne Grenzen.
Dann ebenfalls die brillante, nie affektiert wirkende Poesie einiger Texte. Man weiss, dass sie die Texte ihren nächsten Freunden zum Lesen gegeben hatte, vor allem dem Schriftsteller Norman Rosten.
Aber sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Einträge waren intim, aber stets keusch, ich hatte beim Lesen nie Verlegenheit verspürt. Ihr Sexualleben war nie Thema, auch nicht die Kennedys.
swissinfo.ch: Erlebten Sie Neid, gerade in den USA?
B.C.: Vielleicht. Meine amerikanischen Kollegen haben ihre Überraschung nie verhehlt. Gewisse waren etwas erbost, dass sie nicht zum Zug gekommen waren.
Vor mir hatten andere Verleger Anna Strasberg besucht. Die grossen Checks erregten bei Frau Strasberg aber Misstrauen, sie wollte ein Buch mit Marilyn als Autorin, ohne Bild im Bikini.
swissinfo.ch: War es von Vorteil, dass Sie Schweizer sind?
B.C.: Ich weiss es nicht. Ich vermied jegliche Arroganz, versteckte aber keineswegs meinen Enthusiasmus.
Marilyn Monroe: «Tapfer lieben» – ihre persönlichen Aufzeichnungen, Gedichte und Briefe.
Herausgegeben von Stanley Buchthal und Bernard Comment. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
Der Schweizer Schriftsteller Bernard Comment, 1960 in Pruntrut geboren, studierte bei Jean Starobinski in Genf und Roland Barthes in Paris.
1990 erschien sein erster Roman «L’ombre de mémoire» (Schatten der Erinnerung).
1993 erhielt er von der Académie de France ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in der Villa Médicis in Rom.
Comment überträgt mehrere Werke von Antonio Tabucchi ins Französische.
1999 wurde er Direktor der Abteilung Unterhaltung beim Radiosender France Culture.
Seit 2004 leitet der Jurassier das Ressort Fiction & Cie im Pariser Verlag Editions du Seuil.
Geboren am 1. Juni 1926 in Los Angeles als Norma Jeane Baker.
Sie wächst in Waisenheimen und bei Pflegeeltern auf, da sich ihre Mutter wegen psychischer Probleme nicht um das Kind kümmern kann.
1944 entdeckt sie der Fotograf David Conover als Model.
Innert weniger Monate ziert sie die Titelseiten mehrerer Modezeitschriften.
Die Filmgesellschaft 20th Century Fox wird auf sie aufmerksam, 1946 unterschreibt sie ihren ersten Vertrag.
Norma färbt die Haare blond und nennt sich Marilyn Monroe, nach dem Vornamen der Schauspielerin Marilyn Miller und dem Nachnamen ihrer eigenen Grossmutter.
1954 heiratet sie den Baseball-Star Joe DiMaggio, lässt sich aber nach neun Monaten wieder scheiden.
1956 zweite Heirat mit dem Autoren Arthur Miller: Diese Ehe dauert bis 1961.
1959 erhält sie den Golden Globe für ihre Titelrolle im Film «Some like it hot» (Manche mögens heiss).
1960 ist Marilyn Monroe auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, sie bezahlt den Erfolg aber mit gesundheitlichen und psychischen Problemen und gerät zunehmend in die Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten.
1962 wird sie an den Golden Globe Awards zur beliebtesten Kinoschauspielerin der Welt gekürt.
Am 5. August wird Monroe tot in ihrer Villa in Brentwood in Kalifornien gefunden.
Bis heute ist unklar, ob sie sich selber vergiftet hatte oder ob sie Opfer eines Verbrechens geworden war.
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
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