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Der Sparhammer bedroht die Schweizer Präsenz in Venedig

Der Palazzo Trevisan von aussen mit Schweizer Flagge
Seit 1966 weht die Schweizer Flagge über dem Giudecca-Kanal. Keystone / Niklaus Stauss

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia hat angekündigt, dass sie ihre Aktivitäten im venezianischen Palazzo Trevisan ab 2026 einstellen wird. Auch ein Verkauf des prestigeträchtigen Gebäudes, das sich im Besitz des Bundes befindet, wäre möglich  ‒ und das hat in der Schweiz schon jetzt eine hitzige Debatte ausgelöst.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist der zweite Stock des Palazzo Trevisan in Venedig, einer prächtigen Residenz mit Blick auf den Giudecca-Kanal, eines der wichtigsten Schaufenster der Schweizer Kultur im Ausland.

Er wurde 1966 von der Schweiz erworben und beherbergte über dreissig Jahre lang das Schweizer Konsulat.

Im Jahr 2000 wurde es im Zug der Umstrukturierung des diplomatischen Netzes in ein Honorarkonsulat und ein Kulturzentrum umgewandelt.

Von 2002 bis 2012 wurde dieses vom Schweizerischen Institut in RomExterner Link verwaltet, das auch für die beiden anderen Flaggschiffe des Bundes auf der italienischen Halbinsel verantwortlich ist: die Villa Maraini in der Hauptstadt und das Schweizer Kulturzentrum in Mailand.

Seit 2012 wird es von Pro HelvetiaExterner Link verwaltet. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die vollständig vom Schweizer Staat finanziert wird. Sie ist unter anderem für den Schweizer Pavillon an der Biennale in Venedig verantwortlich.

Auf den rund 140 Quadratmetern der Haupthalle des Palazzo Trevisan degli Ulivi organisiert die Schweizer Kulturstiftung jedes Jahr verschiedene Veranstaltungen, besonders parallel zur Biennale.

Seit 2022 bietet Pro Helvetia zudem ein Residenzprogramm für Künstler:innen an (sechs pro Jahr), die im Palast untergebracht sind und finanziell unterstützt werden können.

Seit ein paar Tagen herrscht jedoch Aufruhr: Pro Helvetia hat gegenüber dem SonntagsblickExterner Link bestätigt, dass sie ihre Aktivitäten an diesem venezianischen Ort ab 2026 einstellen will.

Einsparungen von rund 250’000 Franken pro Jahr

Der Grund: Der Schweizer Kulturstiftung fehlt das Geld.

Im Rahmen des Sparprogramms 2024 hat die Regierung eine lineare Kürzung der Bundesausgaben um 2% in bestimmten Bereichen beschlossen, darunter auch in der Kultur.

Zudem sind die vom Bundesrat geplanten Mittel für die Kultur in der Vierjahresperiode 2025-2028Externer Link leicht tiefer als ursprünglich geplant angesetzt. So fasst es Ursula Pfander von der Kommunikationsstelle von Pro Helvetia zusammen.

Insgesamt geht es um 987 Millionen Franken, 14 Millionen weniger als ursprünglich geplant. Davon sollten 186,9 Millionen Franken an Pro Helvetia gehen.

Allerdings muss man den Konjunktiv verwenden. Denn über den Finanzen der Schweizer Kulturstiftung schwebt ein weiteres Damoklesschwert: Ende Juni forderte die zuständige Nationalratskommission im Rahmen der Prüfung der Kulturbotschaft 2025-2028 eine Kürzung von 6,5 MillionenExterner Link für die Auslandaktivitäten von Pro Helvetia.

Durch den Wegfall der Aktivitäten im Palazzo Trevisan würde Pro Helvetia nach Angaben von Ursula Pfander jährlich rund 250’000 Franken für die Betriebskosten, die künstlerischen Aktivitäten und die Residenzen einsparen.

Pro Helvetia unterhält im Ausland mehrere Aussenstellen zur Kulturförderung. Die Stiftung ist in Südamerika (mit fünf dezentralen Niederlassungen), in Johannesburg, Kairo, Moskau, New Dehli und Shanghai präsent. Sie betreibt auch das Schweizer Kulturzentrum in Paris.

Ob die Sparmassnahmen auch diese Filialen betreffen werden, ist derzeit nicht bekannt.

Auf unsere Frage nach einer möglichen Verkleinerung der Auslandaktivitäten erklärte Ursula Pfander, dass Pro Helvetia «angesichts der laufenden Diskussionen um die Budgetvoranschläge im Moment keine weiteren Auskünfte geben kann».

Steht der Palazzo bald zum Verkauf?

Doch das ist noch nicht alles. Neben der Einstellung der Aktivitäten von Pro Helvetia wird auch der Verkauf der Räumlichkeiten des Palazzo Trevisan befürchtet. Mehrere Millionen würden wohl in die Kassen des Bundes fliessen.

Der Konjunktiv ist in diesem Fall allerdings ein Muss. Denn noch ist nichts entschieden. Und Bern hat den Wunsch, sich von diesem historischen Gebäude zu trennen, nie bestätigt.

Zudem will der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), der Tessiner Ignazio Cassis, laut BlickExterner Link Druck auf das Bundesratskollegium ausüben, von einem Verkauf abzusehen.

Sollte der Verkauf des Palasts jedoch zustande kommen, würde die Schweiz ein prestigeträchtiges Schaufenster verlieren.

Wie es der ehemalige Präsident des Filmfestivals von Locarno Marco Solari in den Spalten des Corriere del TicinoExterner Link einmal beschrieb: «Ein Symbol, das von den historischen und kulturellen Bindungen Venedigs mit der Schweiz und dem Tessin erzählt.»

Kritik nicht nur südlich der Alpen

Der von Pro Helvetia angekündigte Schritt und der drohende Verkauf des Palazzo Trevisan sorgten für Aufruhr: «Ein unverzeihlicher Fehler», «ein unüberlegter Entscheid», «eine kurzsichtige Idee», kommentierten zahlreiche Persönlichkeiten aus Kultur und Politik.

Auch nördlich der Alpen wurden kritische Stimmen laut. So sprach die ehemalige Zürcher Nationalrätin Kathy Riklin von einer «Dummheit».

Die Tessiner Staatsrätin Marina Carobbio ihrerseits zeigte sich sehr besorgt über die Auswirkungen, welche die Aufgabe des Palazzo Trevisan auf das Image und die Bekanntheit der Schweizer Kultur hätte.

Die Zukunft des Palazzo Trevisan ist eines der Gesprächsthemen am Filmfestival Locarno, das am Mittwoch eröffnet hat.

Die Tessiner Staatsrätin Marina Carobbio erklärte, sie wolle das Thema mit den Bundesrät:innen Ignazio Cassis und Elisabeth Baume-Schneider (Vorsteherin der Abteilung Kultur) während des Filmfestivals diskutieren.

«Wir brauchen einen runden Tisch, um über die Zukunft des Palazzo Trevisan zu diskutieren», so Carobbio in einer Blick-Kolumne.

Giordano Zeli, Präsident der Fondazione Svizzera Pro VeneziaExterner Link, die vom Bundesrat 1972, sechs Jahre nach den verheerenden Überschwemmungen in der Lagunenstadt, gegründet wurde und sich bis heute für die Restaurierung von Bauwerken in der Serenissima einsetzt (zuletzt für die Fassade der Kirche San Stae), spricht ebenfalls von einem «improvisierten» und «völlig unverständlichen» Entscheid, sollte sich Bern überhaupt für den Verkauf des Palazzo entscheiden.

Wenn Venedig keine Priorität ist…

«Ich denke, Italien – aber nicht nur Italien – die kulturelle Welt im Allgemeinen, würde es nicht verstehen, wenn die Schweiz ihre Türen in einer europäischen und weltweiten Kulturhauptstadt wie Venedig schliessen würde. Es ist normal, Prioritäten zu setzen, aber wenn Venedig nicht dazugehört…», sagt Zeli.

Er weist auch auf die grosse Wertschätzung der Venezianer:innen und der italienischen Behörden für alles hin, was im Palazzo Trevisan stattfindet.

«Bei der letzten von uns organisierten Konferenz war der Präfekt, die höchste staatliche Autorität der Region, anwesend. Das ist ein Zeichen dafür, wie sehr das, was die Schweiz in Venedig tut, beachtet wird.»

Es stimmt auch, dass sich Pro Helvetia weiterhin um den Aufbau des Schweizer Pavillons an der Biennale kümmern wird, wie Ursula Pfander bestätigt.

«Wir investieren und werden weiterhin Ressourcen in Italien investieren, das nach Deutschland und Frankreich der drittgrösste Kulturmarkt für unsere Stiftung ist, sowohl durch Plattformen wie die Biennale in Venedig, die Buchmessen in Bologna und Turin und die Mailänder Designwoche, als auch durch die Unterstützung von jährlich über 100 Kulturprojekten im ganzen Land.»

Ein Gebäude von aussen, südländische Vegetation
Pro Helvetia wird weiterhin für die Gestaltung des Schweizer Pavillons (Bild) an der Biennale verantwortlich sein. Keystone / Christian Beutler

Der Palazzo lebt nicht nur dank Pro Helvetia

Die Schweizer Präsenz in Venedig würde in jedem Fall stark reduziert. Im vergangenen Jahr wurden von den 27 öffentlichen Veranstaltungen, die während eines oder mehrerer Tage im Palazzo Trevisan angeboten wurden, 14 von Pro Helvetia selbst organisiert, während zehn weitere vom Schweizer Generalkonsulat in Mailand und die letzten drei von Dritten organisiert wurden.

Die Hoffnung, dass der Palazzo Trevisan weiterlebt, ist noch nicht gestorben, auch dank der Bemühungen des Konsulats. «Zu jenen, die das Kulturzentrum das ganze Jahr über und nicht nur während der Biennale am Leben erhalten, zählt zuallererst das Konsulat», sagt Zeli. «Aber auch unsere Stiftung organisiert oft Vorträge und Präsentationen.»

Sollte Pro Helvetia den Entscheid dennoch bestätigen, «werden sich andere Wege finden», hofft Zeli, «um diese Präsenz lebendig zu halten, vielleicht sogar vielfältiger zu machen».

«Man kann sich nicht vorstellen, dass sich der Palazzo Trevisan degli Ulivi darauf beschränken kann, Konzerte, Konferenzen, Tagungen und ein paar in Venedig übernachtende Schweizer Forschende zu beherbergen», schrieb Renato Martinoni, ehemaliges Mitglied des Stiftungsrats von Pro Helvetia und Gastprofessor an der Universität Ca› Foscari in Venedig, in einem im Corriere del Ticino veröffentlichten Kommentar.

«Er muss schrittweise, aber rasch in ein dynamischeres und aktiveres Kultur-, Studien- und Konferenzzentrum umgewandelt werden.»

Der von der Schweizer Kulturstiftung ausgelöste Aufruhr hat zumindest etwas Gutes: Es ist eine Debatte über die Zukunft eines Gebäudes entbrannt, das in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Förderung der Schweizer Kultur im Ausland beigetragen hat.

Editiert von Mark Livingston, Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger

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