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Der Staat als «Bankier wider Willen»

viele Leute vor einer bank
Bereits 1931 kam es zu einem Bankrun auf die Schweizerische Volksbank. Keystone

Die Rettung der CS war nicht die zweite, die der UBS nicht die erste Rettung einer Grossbank. Bereits in der Weltwirtschaftskrise musste der Bund die zusammenbrechende Schweizerische Volksbank retten – damals mit einem Parlamentsbeschluss im Rücken. 

Am Samstag, 18. November 1933, morgens um 11 Uhr, teilte das Finanzdepartement des Bundes mit, die Schweizerische Volksbank (SVB) werde «eine Reorganisation durchführen» und der Bund beteilige sich mit 100 Millionen Franken an der Bank. Ein bis dahin beispielloser Vorgang: Der Staat rettete eine Grossbank – mit einer Summe, die einem Viertel der jährlichen Bundesausgaben entsprach.

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Etwa einen Monat zuvor hatte die Direktion der SVB den Bundesrat um staatliche Unterstützung gebeten. Die Direktion war zur Überzeugung gelangt, dass eine Sanierung der in Schieflage geratenen Bank aus eigener Kraft aussichtslos sei und «nur mit Staatshülfe ermöglicht werden könne». 

Das Gesuch kam nicht überraschend: Auch der breiten Öffentlichkeit war schon länger klar, dass es um die SVB nicht zum Besten stand. Bereits Ende September 1931 hatten sich lange Schlangen vor den Filialen gebildet, weil verunsicherte Kunden in Zürich begannen, ihre Spargelder abzuheben. Sogar die «Frankfurter Zeitung» berichtete von einem «Run auf die Schweizer Volksbank». Doch dank beschwichtigenden Mitteilungen der Bankdirektion, der Behörden und auch der Zeitungsredaktionen kehrte einige Tage später wieder etwas Ruhe ein – zumindest oberflächlich.

Mittelstandsbank in Schieflage 

Die schweizerische Bankenlandschaft war damals schon ähnlich aufgebaut wie heute: Im schweizerischen Markt dominierten die staatlichen Kantonalbanken, im internationalen Geschäft die Grossbanken. Die grössten drei unter den damals noch acht Grossbanken bildeten die Schweizerische Kreditanstalt (SKA, die spätere CS), der Schweizerische Bankverein (SBV, ein Teil der späteren UBS) – und die SVB (die in den 1990er-Jahren in der CS aufgehen sollte).

Obwohl die SVB mit einer Bilanzsumme von rund 1,7 Milliarden Franken und rund 1600 Beschäftigten die zweitgrösste Bank des Landes war, galt sie nicht als «typische Grossbank»: Sie war nicht als Aktiengesellschaft, sondern als Genossenschaft organisiert, und mit ihrem engmaschigen Filialnetz im ganzen Land war sie deutlich stärker im Inland als im Ausland engagiert. Die SVB galt als «Mittelstandbank» für Kleinsparer und kleine Unternehmen. «Erfolgreiche Sparer erwarben Kassenobligationen, wurden Genossenschafter. Familien legten ihr gesamtes Vermögen bei der Volksbank an», erläuterte der Bundesrat später. 

Das war aber nicht die ganze Wahrheit. Längst hatte die SVB ihren Aktionsradius erweitert, vermehrt auch Kredite an grosse Firmen vergeben und grössere Investments im Ausland getätigt. Das stand nicht im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis als «Mittelstands-bank», sondern war vielmehr eine Folge davon: In den Krisenjahren nach dem Ersten Weltkrieg erlitt die SVB hohe Verluste, insbesondere durch ihre Kredite an Schweizer Familien-unternehmen im Stickerei-, Uhren- oder Hotelgewerbe. Da man die Verluste den eigenen Genossenschaftern nicht zumuten wollte, versuchte man sie im Auslandsgeschäft zu kompensieren. 

Diese Strategie ging anfänglich auf – doch die Auslandaktivitäten waren riskant. Es fehlte der SVB an Kompetenz für solche Abenteuer. Dies wurde unter anderem offenkundig, als 1929 ein grosser Betrug bei einem französischen Mühlekonzern aufflog und die SVB zu den grössten Geschädigten überhaupt gehörte. 

Die Genossenschafter forderten vehement eine Rückkehr zum klassischen «Volksbankgeschäft». Die SVB sei eben «keine Grossbank, sondern eine gross gewordene Mittelbank», hiess es an einer Delegiertenversammlung. Die neue Bankführung versuchte, das Ruder wieder herumzureissen. Doch die dazu ergriffenen Massnahmen hätten noch so gut sein können, es war längst zu spät: Der Börsencrash von 1929 in New York weitete sich immer mehr zu einer Weltwirtschaftskrise aus, die bei fast allen Grossbanken zu immensen Verlusten führte. 

Die staatliche Rettungsaktion

Spätestens nach dem «Bankrun» von 1931 stand die «Sanierung» der SVB auch laufend auf der Traktandenliste von Bundesrat und Nationalbank (SNB). Hinter den Kulissen griff man zunächst zu einer aus heutiger Sicht äussert ungewöhnlichen Massnahme: So wurde mit Alfred Hirs ein ehemaliger SNB-Kadermann als Krisenmanager bei der SVB eingesetzt, der der Nationalbank nun laufend über die internen Vorgänge der SVB berichtete. Man war grundsätzlich zu einer staatlichen Unterstützung bereit – wollte eine solche aber keinesfalls öffentlich diskutieren. Dies sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt «besonders gefährlich». 

Gegen aussen gab sich die SVB-Führung weiterhin zuversichtlich und es wurden sogar Dividenden an die Genossenschafter ausgeschüttet, während sich die Situation auf fast allen Ebenen immer weiter verschlechterte. Kredite wurden nicht zurückbezahlt, Kunden zogen ihre Einlagen und Genossenschafter ihre Stammanteile ab – und es gab keine andere Bank, die in der Lage gewesen wäre, helfend einzuspringen. 

Zunehmend wurde deutlich: Ohne rasche «Staatshülfe» würde die Bank bald vollständig zusammenbrechen. Die Behörden schlugen deshalb ein für damalige Verhältnisse fast abenteuerliches Tempo an. Von der Anfrage der SVB an den Bundesrat über die ausserordentliche Delegiertenversammlung von Ende November 1933 bis zum definitiven Parlamentsbeschluss «über die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Reorganisation der Schweizerischen Volksbank» vom 8. Dezember 1933 vergingen nicht einmal zwei Monate.

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Der Bund war jetzt also «Bankier wider Willen», wie die Tageszeitung «Der Bund» zusammenfasste. Wenn auch unter immensem Druck, so war das Vorgehen letztlich vom Parlament abgesegnet. Die Bundesversammlung überstimmte die Genossenschafter der SVB, gab dem Bundesrat weitreichende Kompetenzen und entzog den Entscheid einem möglichen Referendum. «Im Interesse der Aufrechterhaltung unserer Wirtschaft», habe man unbedingt zu diesen notrechtlichen Massnahmen greifen müssen, erklärte Bundesrat Edmund Schulthess später.

Die Notwendigkeit einer staatlichen Rettungsaktion für die SVB war bei allen Parteien und in der gesamten Presselandschaft so gut wie unbestritten. Dies hing stark mit der spezifischen Eigenschaft der SVB als Genossenschaft zusammen. «Kein anderes Kreditinstitut greift derart tief in alle Volkskreise hinein», fasste «Der Bund» zusammen. Von ganz links bis ganz rechts war man sich einig, dass die SVB gerettet werden müsse – «um zu verhindern, dass der kleine Sparer sein Geld verliert», so das linke «Basler Vorwärts». 

Weniger einig war man sich bei der sofort aufgenommenen Suche nach den Schuldigen für das Debakel: Während die linke Presse auf die FDP-Vertreter im Verwaltungsrat zeigte, sahen die liberalen Zeitungen das Problem eher allgemein in der genossenschaftlichen Organisationsform. Einig war man sich immerhin darin, dass eine solche staatliche Rettungsakttion nie mehr vorkommen durfte.

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60 Jahre nach der Rettung ging die Schweizerische Volksbank in der Schweizerischen Kreditanstalt auf – und wurde später Teil der Credit Suisse. Keystone / Str

Von hier aus schritt man also zur politischen Aufarbeitung, rechtliche Vorschriften wurden gefordert. Auch Finanzminister Jean-Marie Musy meinte, der Erlass des ersten schweizerischen Bankengesetzes könne «nicht mehr zu lange hinausgeschoben werden». Der seit längerem in der Schublade liegende Entwurf wurde nun hervorgeholt, kam bereits im Februar ins Parlament und wurde im September 1934 verabschiedet. Dieses Bankengesetz schrieb nicht nur erstmals das Bankgeheimnis, sondern auch erstmals eine möglichst griffige Aufsicht vor, die für mehr Sicherheit sorgen sollte. 

Eine notfallmässige Beteiligung blieb jedoch auch weiterhin ungeregelt. Für die nächsten 75 Jahre ging man davon aus, dass es sich dabei um eine einmalige Ausnahme gehandelt habe. Der Bund konnte seine Beteiligung an der SVB nach dem Zweiten Weltkrieg wieder abbauen, die SVB wurde 1993 von der CS übernommen – und wurde damit 2023 gewissermassen ein zweites Mal vom Staat gerettet.

Literatur:
•    Baumann, Jan: Bundesinterventionen in der Bankenkrise 1931–1947.Externer Link Eine vergleichende Studie am Beispiel der Schweizerischen Volksbank und der Schweizerischen Diskontbank, Diss., Universität Zürich, 2007
•    Mazbouri, Malik / Guex, Sébastien / Lopez, Rodrigo: Finanzplatz Schweiz, in: Halbeisen, Patrick / Müller, Margrit / Veyrassat, Béatrice (Hg.): Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, Basel 2012, S. 467–518.

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