Der Werbe-Cowboy als Kunst
Die Fotostiftung Schweiz hat ihre Ausstellungsräume in Winterthur in eine Prärie für die Bilder von Hannes Schmid verwandelt. Der Schweizer Fotograf hat das Bild des Zigaretten rauchenden Cowboys von 1993 bis 2002 im Auftrag des Philip Morris Konzerns geprägt.
Die Besucher der hohen, lichtgedämmten Räume blicken aus verschiedenen Perspektiven auf eine Foto-Kampagne, die im Verlauf von sechzig Jahren bis in den hintersten Winkel des Planeten vorgedrungen ist.
In der Ausstellung der Werke von Hannes Schmid im Fotomuseum spielt die Zigarette als beworbenes Produkt keine Rolle mehr. Ausgestellt sind an massiven, Raum trennenden Wänden bis ins Letzte inszenierte und konstruierte Bilder eines amerikanischen Traums von Freiheit, von Unabhängigkeit und landschaftlicher Weite.
Im Zentrum der Schau ist der Schweizer Fotograf Hannes Schmid in einer Installation zu sehen und hören, wie er über eine der teuersten, aufwändigsten und nachhaltigsten Kampagnen redet, welche die Werbewirtschaft je gekannt hat.
Bilder ohne Skrupel
Hatte Hannes Schmid je Skrupel, ein Produkt, das heute in der Kritik der Weltöffentlichkeit steht, zu bewerben? «Es lag als Werbe-Fotograf nicht an mir, darüber zu entscheiden, ob ein Produkt zu Recht oder nicht in der Gesellschaft verankert ist. Es gibt nicht nur Zigaretten, die schädlich sind, es gibt auch Alkohol und Autos, die töten», meint der Fotokünstler im Gespräch mit swissinfo.ch.
Am Anfang der Kampagne, deren Bilder in der Fotostiftung – zum ersten Mal überhaupt – zu sehen sind, stand eine Unmöglichkeit, wie der Kurator des Projekts, Peter Pfrunder, erzählt. Als in den 1950er-Jahren der Zusammenhang zwischen Krebs und Rauchen aufgedeckt wurde, hätten die Tabakmultis versucht, filterlose Produkte durch Filterzigaretten zu ersetzen. «Diese waren jedoch Damensache».
Die Tabak-Multis standen vor der Aufgabe, die Filterzigarette sexuell umzupolen, in der Art, dass die Raucherstängel auch für ein männliches Publikum attraktiv waren. Eine erste Kampagne scheiterte. Erst der souveräne Held des Cowboys schaffte die Trendwende, der seiner sicher und viril ist bis in die Fussspitzen, und der nie zurückschaut. 1975 war die mit dem Cowboy beworbene Marlboro die meistverkaufte Zigarette der Welt.
Gigantischer Aufwand für konstruierte Bilder
Die fiktiven Cowboyhelden, die den Fotografen für die Kampagne in den weiten Landschaften von Nevada, Utah oder Wyoming zur Verfügung standen, hiessen Chuck, Billy, Darell, Dean oder Jerry. Der eine oder andere starb an Krebs. Jeder hatte seine Spezialität: Gesten, Haltungen, einen Ausdruck – alle verkörperten den fiktiven und perfekt inszenierten Traum von Freiheit, Ungebundenheit – und Authentizität.
Hannes Schmid stand immer wieder auf Sets, die mit der Logistik von Dutzenden von Trailern und mit 100 bis 120 Mitarbeitenden in unverwechselbaren Landschaften der USA aufgebaut wurden. Diese Sets bestanden aus Pferdeherden, herbei gekarrtem Lehmstaub sowie aus dem ganzen Land zusammengetragenen Sätteln, Lassos, Schnallen und Stiefeln.
«Ich hatte bei der Marlboro-Kampagne eine künstlerische Aufgabe. Von mir verlangte man Kunstbilder. Mich faszinierte die Ikone, der Cowboy. Die Verbindung zum Brand, zur Zigarette, war für mich dabei nicht entscheidend», erinnert sich Hannes Schmid.
Lachen Ja – zurückschauen Nein
In der Zeit als der Schweizer Fotokünstler die Marlboro-Kampagnen mitgestaltete, hatte der Philip-Morris-Konzern seine «Headquarters» in Lausanne. In der Schweiz fand nach den Foto-Shootings die Qualitätskontrolle von Schmids Bildern und anderer Fotografen statt.
Hannes Schmid regte in einer der Kampagnen an, ein Cowboy könne auf dem Set vielleicht auch mal lachen. «Es hat Jahre gedauert, bis Billy oder Chuck auf einem Bild lachen d u r f t e n», erinnert sich Schmid.
Sein Vorschlag, der Held, der ultimative Cowboy, könne auf seinem Ritt ins Abendrot zurückschauen, fiel dagegen bei den Werbestrategen durch. «Philip Morris hat das Projekt sehr konsequent verfolgt; man konnte nur ganz wenig verändern am Cowboy-Bild. Bei anderen Kampagnen wären vielleicht Motorräder oder Cowgirls dazu gekommen; nicht bei der Marlboro-Kampagne».
Fiktiver Cowboy überlebt Generationen
Seit Beginn des neuen Jahrhunderts ist die Welt für die Tabakwerbung hart geworden. Das bekam auch Hannes Schmid zu spüren: «Alle Tabakmultis mussten sich fast vollständig aus der Werbung zurückziehen. Es lag ein Prozess auf dem Tisch mit einer Klagesumme von 400 Mrd. US-Dollar. Und die Tabakfirmen hatten sich darauf geeinigt, in einem Zeitraum von zehn Jahren 200 Mrd. Dollar an Schadenersatz zu bezahlen.»
Geblieben ist der Mythos des legendären, aber inszenierten Werbe-Cowboys, den es weder in Amerika noch sonst wo in der abgebildeten Form je gegeben hat.
Andere Cowboy-Ikonen, wie diejenigen von Old Shatterhand oder Winnetou in den (verfilmten) Büchern von Karl May, wurden vom Zigaretten-Cowboy verdrängt. Dieser hat sich nach dem Werbeverbot selbstständig gemacht, wie Hannes Schmid feststellt. «Heute können sie einen schmutzigen Absatzstiefel zeigen, und die Leute setzen das Bild intuitiv mit Freiheit, Unabhängigkeit – und erst in zweiter Linie – mit einem Produkt in Verbindung.»
Erwin Dettling, Winterthur, swissinfo.ch
Hannes Schmid, 1946 geboren, fotografierte den Marlboro-Man zwischen 1993 und 2002 im Auftrag von Philip Morris.
Vorher hatte er sich bereits einen Namen als Modefotograf für Vogue, Elle, Cosmopolitan, Haper’s Bazaar und Stern gemacht. Hannes Schmid fiel im Verlauf seiner Karriere immer wieder durch seine kreativen Inszenierungen auf.
Nicht nur die Bilder des Cowboy-Man sind arrangiert. Er wendet die Technik immer wieder an, um kollektive Fantasien anzustacheln.
Seit 2004 bis 2010 hat Hannes Schmid mehr als 60 fotorealistische und grossformatige Ölbilder gemalt, die auf Motive seiner Marlboro-Kampange zurückgehen.
Er bringt in monatelanger Feinarbeit akribisch ausgewählte Cowboy-Szenen auf die Leinwand, die einst in einem Bruchteil einer Sekunde entstanden waren.
Der Schweizer Fotograf realisiert neben kommerziellen Aufträgen immer wieder künstlerische Projekte, so «Maha Kumbh Mela», 2001, und «For Gods only», 1998-2006).
Mehrere Kampagnen der Behinderten-Organisation Pro Infirmis stammen ebenfalls von Hannes Schmid.
Der amerikanische Konzept-Künstler Richard Prince (Appropriation Art) eignete sich verschiedene Werke von Hannes Schmid an, so dass der Schweizer Fotograf bereits in den 90er-Jahren – verfremdet und signiert – in Galerien und Museen zu sehen war.
Der Aufstieg des Cowboys zum Helden geht auf das Jahr 1954 zurück. Der Werber Leo Burnett sollte im Auftrag von Philip Morris eine unbekannte, «feminine» Zigarette publizistisch mit einem noch konturlosen Cowboy für ein männliches Publikum aufbrezeln. Einmal war er Playboy, dann Intellektueller mit Brille, schliesslich Muskelprotz.
Die Kampagne kam nicht vom Fleck – bis der souveräne, unverwüstliche wieder erkennbare Held mit Freiheitsdrang in offener Landschaft in Szene gesetzt wurde. Er machte 1975 aus der Marlboro-Filterzigarette das meistverkaufte Tabakprodukt der Welt.
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