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Des Thai-Königs unbeschwerte Jugend in Lausanne

König Bhumibol und seine Verlobte, die zukünftige Königin Sirikit, 1949 im Garten der Villa in Pully. Un roi en Suisse

Bevor er in Thailand einen fast göttlichen Status erhielt, war König Bhumibol in Lausanne gewöhnlicher Gymnasiast und Student. Ein Buch geht den Spuren des leicht verschlossenen, aber wissens-durstigen Jugendlichen nach, der Jazz und schnelle Autos liebte.

«Eure Schönheit übertrifft jene von Blumen, Eure Hautfarbe lässt Rosen und Eure Haut Seide erblassen. Ihr seid ein Engel, eine Mensch gewordene Tüte…ääh, Blüte!»

Poesie von Heranwachsenden, erfrischende Gefühle und gleichzeitig eine gehörige Portion Schülerhumor: Diese wenigen Zeilen zweier Pubertierender an ihre ältere 18-jährige Schwester stehen für die glücklichen Jahre einer Familie im Exil.

Pully, elegantes Lausanner Aussenquartier direkt am Genfersee, in der Zeit des Zweiten Weltkriegs: Die beiden Jungen heissen Ananda und Bhumibol. Der erste ist bereits König von Thailand, aber ein König im Exil. Ende 1945 wird er auf seinen Thron zurückkehren, um nur sechs Monate später unter ungeklärten Umständen ermordet zu werden. Der zweite, Bhumibol, folgt ihm 1950 nach.

Geschichte im Kleinen und im Grossen

«Heute erinnert sich nur noch die Generation der über 60-Jährigen daran, dass hier einst eine königliche Familie gewohnt hat», sagt Olivier Grivat, Autor eines gut dokumentierten Buchs über die Lausanner Jahre des jungen Monarchen. «Aber diese Geschichte hat mich seit je her fasziniert.»

Während zwei Jahren hat der Journalist Archive durchgegraben, Presseartikel und Polizeirapporte aus einer anderen Ära gelesen, mit Leuten gesprochen, Erinnerungen und Anekdoten zusammengetragen: Ein Zusammenstoss mit einem Taxifahrer, ein Hundebiss, ein diebischer Übergriff in Nachbars Garten, Ausflüge in die Berge und ein schüchternes Klopfen an den Fensterläden einer schönen Prinzessin.

Neben diesen kleinen Alltags-Details erzählt Grivat auch die grossen Kapitel der Geschichte: 1932 wird die absolute Monarchie in Thailand durch einen Staatsstreich gestürzt. König Pajadhipok muss eine Verfassung und ein Parlament akzeptieren. Drei Jahre später gibt er den Thron ab, bleibt aber ohne direkten Nachkommen. Die Nachfolge fällt deshalb an Ananda, den Sohn des älteren Bruders, der die Krone erbt.

Doch der minderjährige Ananda kann den Thron noch nicht besteigen, und eine Regentschaft wird eingesetzt. Der Halbwaise lebt mit seiner Mutter, seiner Schwester Galyani und seinem Bruder Bhumibol in Lausanne. «Ich bin nicht glücklich, König zu werden, weil ich mich noch etwas vergnügen möchte», gibt der damals Zehnjährige zu Protokoll.

Er kehrt nach Thailand zurück, nur um tragisch getötet zu werden, und Bruder Bhumibol erbt die Krone. Bhumibol, damals 19-jährig, studiert an der Uni Lausanne, wo er als brillanter Kopf gilt.

Unter den Disziplinen sucht er sich die Rechts- und die politischen Wissenschaften aus, die ihm für seine künftigen Aufgaben am nützlichsten erscheinen. Ein Semester verbringt er gar mit dem Studium des Marxismus. «Genau das, was meinem Volk nicht zusagt», bemerkt er am Schluss dieses Abstechers.

«Die beiden jungen Prinzen und ihre Schwester haben ihrer Mutter viel zu verdanken», sagt Grivat. «Sie bestand auf einer strengen Erziehung.» Ein König habe gebildet zu sein und müsse viel arbeiten können, bevor er selber befehlen wolle. «Das waren neue Töne. Niemand hätte es gewagt, den vorangegangenen Königen solche Forderungen nahezulegen.»

Jazz, Sport und Autos

Zwar fleissig, seriös und arbeitsam, ist Bhumibol eben doch ein junger Mann seiner Generation: Er liebt das Skifahren, Segeln und schnelle Autos. Eine Leidenschaft, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Am 4. Oktober 1948 fährt er seinen bescheidenen Fiat Topolino auf der Strasse zwischen Lausanne und Morges in einen Lastwagen.

Am Lenkrad von grösseren Boliden, sei er, hiess es, fähig gewesen, von Lausanne mit 140 Stundenkilometern nach Genf zu rasen – wohlverstanden damals noch ohne Autobahnen. Heute würde man ihn als «Raser» betiteln – damals gab es diesen Ausdruck noch nicht. «Es gab noch keine Geschwindigkeitsbeschränkungen, der Verkehr war viel geringer und die Mentalität ganz anders», sagt Grivat.

«Damals galt das Fahren mit hohen Geschwindigkeiten nicht als Delikt, sondern als sportliche Aktivität.»

Ebenfalls mit dem Auto setzte er sich des öfteren nach Paris ab, um Jazz-Konzerte zu besuchen. Schon in jungen Jahren mit klassischer Musik vertraut, entdeckt er übers Radio die Rhythmen aus Amerika, die seine Leidenschaft werden. Er lernt Saxophon spielen. Und spielt – nicht mehr und nicht weniger – mit Grössen wie Benny Goodman, Stan Getz, Lionel Hampton oder Benny Carter.

Er komponiert sogar, rund 40 Titel gehen auf ihn zurück, von Blues bis zum Walzer.

Aus dem Student wird ein Halbgott

Im Frühling 1950 kehrt Bhumibol nach Hause zurück. Er zählt 23 Jahre, von denen er 17 in der Schweiz verbracht hat. Er spricht besser Französisch als Thai. Er heiratet die bezaubernde Prinzessin Sirikit, die er in Lausanne kennen gelernt hat, und besteigt den achteckigen Thron im prächtigen Palast von Bangkok.

Und hier endet die Geschichte von Olivier Grivat. Und eine andere beginnt. «In Thailand vergöttert man seinen König in einer Art und Weise wie man sich das hierzulande kaum vorstellen kann», sagt der Autor. Er gelte als Halbgott, sein Porträt hänge überall, auch auf den Briefmarken, den Geldscheinen, an Verkehrskreuzungen, in Läden und Restaurants, sogar zuhause im familiären Rahmen.

«Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob er sehr zufrieden damit ist, dass die Leute ihn derart vergöttern und sich ständig vor seine Füsse werfen. Aber er lässt es zu.»

Seine Majestät hat seine Jahre in der Schweiz aber keineswegs vergessen. Als Grivat Bhumibol zum ersten Mal traf, erzählte dieser ganz gerührt davon. Eine Foto im Buch zeigt den König, wie er Grivat die Hand reicht – völlig undenkbar für einen Thai.

«Ich wollte keine Bhumibol-Publikation voller Bücklinge. Ich schreibe über einen fast schweizerischen jungen Mann, dessen Familie besonders während des Kriegs jeweils Ende Monat auch schon ins leere Portemonnaie schauen musste.»

Ein König in der Schweiz – die helvetischen Jugendjahre des Königs Bhumibol von Thailand.

(Un roi en Suisse – La jeunesse helvétique du roi Bhumibol de Thaïlande), französisch, Olivier Grivat, Editions Favre, Lausanne. 230 Seiten, wovon 65 Fotos aus jener Zeit.

Erschienen im September 2011.

König Bhumibol wird am 5. Dezember 2011 84-jährig. Damit ist er der älteste Monarch der Erde.

Obschon seit Monaten im Spital, wird er bestimmt die Feierlichkeiten dieses Jubiläums begehen.

Denn im Buddhismus haben die Vielfachen der Zahl 12 eine besondere Bedeutung.

Bhumibol ist der 9. König der Dynastie Chakri, die Thailand seit 1782 regiert. Ihr Gründer hat die Hauptstadt Bangkok ausgebaut.

Als Staatsoberhaupt und Beschützer der Religionen hat der König wenig konstitutionelle Macht. Aber sein Prestige und sein Reichtum sind riesig.

In seinen 65 Jahren als Monarch hat Bhumibol einiges erlebt: Eine beschleunigte Entwicklung seines Landes, 18 Staatsstreiche, 23 Premierminister und 16 Verfassungswechsel.

Der Journalist und Autor Olivier Grivat ist der ehemalige stv. Chefredakteur der Waadtländer Tageszeitung 24 heures.

Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung der UNO, Frank La Rue, hat Thailand aufgefordert, das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung zu ändern. Die derzeitige Anwendung des Gesetzes sei unvereinbar mit den internationalen Menschenrechts-Verpflichtungen des Landes.

Artikel 112 des thailändischen Strafgesetzbuches zum Delikt «Majestätsbeleidigung» lautet: «Wer den König, die Königin, den Thronfolger oder den Regenten diffamiert, beleidigt oder bedroht, soll mit 3 bis 15 Gefängnis bestraft werden.»

Laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) heisst das in der Praxis, dass jede Kritik am Königshaus oder der königlichen Familie verboten ist. Wer gegen das Gesetz verstosse, werde als Schwerverbrecher betrachtet, weil er die nationale Sicherheit gefährde.

In den 80er- und 90er-Jahren seien jedes Jahr nur wenige wegen Majestätsbeleidigung angeklagt worden. Doch seit dem Putsch im Jahr 2006, bei dem die Armee Ministerpräsident Thaksin Shinawatra aus dem Amt entfernt hat, seien Hunderte von Thais unter dem Artikel 112 angeklagt oder verurteilt worden, schreibt die NZZ.

(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

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