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Design als Bollwerk gegen Katastrophen

Eine grosse Wanduhr
Ein Blick auf die neue Ausstellung 'We Will Survive. Die Prepper-Bewegung“ im Musee cantonal de design et d'arts. Keystone / Jean-Christophe Bott

Rund 40 internationale Designerinnen und Designer, darunter auch aus der Schweiz, werfen einen ernsten und zugleich humorvollen Blick auf die "Prepper"-Bewegung. Ihre Werke sind bis zum 9. Februar 2025 in einer Ausstellung in Lausanne zu sehen.

Im letzten Raum der Ausstellung spielt die riesige Uhr an der Wand verrückt. Ihre Zeiger schlagen in alle Richtungen aus, die Zeit läuft aus dem Ruder, die Maschine gerät in Panik.

Die symbolische Bewegung des Schreckens bringt das Thema der Ausstellung ‹We Will Survive› im Musée cantonal de design et d’arts appliqués contemporains (Mudac) in Lausanne auf den Punkt.

Die Uhr ist die letzte Etappe auf dem Weg, den die Besuchenden zurückgelegt haben, um Raum für Raum die Antworten der Überlebenskünstlerinnen und -künstler auf die zahlreichen Störungen zu entdecken, die wir kennen: Klima, Wirtschaft, Politik, aber auch Gesundheitskrisen, Kriege und Naturkatastrophen.

Ein globales Phänomen

Skulpturen, Fotos, Videos und eine Vielzahl von Überlebensgegenständen bilden den Inhalt dieser Ausstellung, die sich auf die «Prepper»-Bewegung konzentriert, die in den 1960er-Jahren während des Kalten Kriegs in den USA entstand.

Damals sorgten sich die Regierungen der westlichen Länder um die nukleare Bedrohung. Man musste sich schützen. Schutzräume und Bunker entstanden.

Heute ist die Prepper-Bewegung ein globales Phänomen, «das aber nur die reichen Länder betrifft. Die Menschen in diesen Ländern haben immer noch Angst vor einer ungewissen Zukunft und verbarrikadieren sich nicht mehr hinter Bunkern, sondern hinter Versicherungsverträgen und anderen Schutzmassnahmen, weil sie glauben, alles unter Kontrolle zu haben», schmunzelt die Basler Kuratorin Jolanthe Kugler.

Tragische Fantasie

Aber unsere Ängste sind nicht neu. Sie reichen bis in die Antike zurück. Die Kuratorin zeigt eine assyrische Steintafel, auf der das Ende der Welt angekündigt wird. Sie stammt aus dem Jahr 2800 vor Christus!

Man darf nicht vergessen, dass die Kollapsologie ihre Eiferer hat, die Erben des Nostradamus, welche die «Freude an der Katastrophe» kultivieren.

«Bloggerinnen, Youtuber, Unternehmerinnen oder Geschäftsleute, sie alle spielen mit der Angst der Menschen», kommentiert Jolanthe Kugler, als wir einen unerwartet dekorierten Raum betreten.

Die Ähnlichkeit mit einem Erste-Hilfe- und Überlebensladen ist verblüffend. Die Exponate stammen von Designerinnen und Designern verschiedener Nationalitäten.

Das gilt auch für eine Reihe von Miniaturskulpturen, die im Nebenraum zu sehen sind. Sie spiegeln eine vergangene Katastrophe wider: den Einsturz des World Trade Centers in New York, den Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021 und die gläserne Darstellung des Sars-CoV-2-Virus.

Die Reaktion der Regierungen

Doch die Panikmachenden haben auch ihre Gegenseite, die optimistisch Eingestellten, die mit viel Humor die Panik auf die Schippe nehmen.

Ein Beispiel dafür ist eines der Objekte in jenen Ausstellungsräumen, die sich mit der Reaktion verschiedener Regierungen auf drohende Katastrophen beschäftigen.

Unter dem Titel «Traum vom perfekten Schutz in der Schweiz» haben die Ausstellungsmachenden die Einrichtung eines Schutzraums nachgebaut: Stockbetten, Toiletten und zylinderförmige Blechdosen mit Lebensmitteln für den Notfall.

Im Zentrum der Szenografie steht eine ungewöhnliche Papiertüte, die einer Einkaufstasche gleicht und die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Darauf steht: «Diese Tüte ist ein Tütenbunker. Im Fall eines Atomangriffs: Bunker auffalten, über den Kopf ziehen und bis zum Ende ausharren.»

Ernsthafter sind die Bunker, die in den Schweizer Alpen gebaut wurden und deren Bilder die Wände desselben Raums füllen. Was für ein Kontrast!

Jede Regierung hat ihre eigenen Verteidigungsmittel. Während die USA während des Kalten Kriegs ihre Bürgerinnen und Bürger aufforderten, in ihren Gärten Atombunker zu bauen, rief Japan die Einwohnerinnen und Einwohner Tokios dazu auf, im Fall eines Erdbebens auf Spielplätzen Zuflucht zu suchen.

Und Finnland baute eine ganze unterirdische Stadt unter ihrer Hauptstadt Helsinki. Ein Zufluchtsort mit allen Annehmlichkeiten.

Die Schweizer Identität hinterfragt

Die Schweiz ist bekannt für ihr Befestigungssystem, das Anfang der 1940er-Jahre in den Bergen errichtet wurde. Diese Verteidigungslinie, das so genannte Réduit national, war ein Zeichen des helvetischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus.

Der Waadtländer Künstler Leo Fabrizio fotografierte Schweizer Bunker und andere Festungen wie die als Wohnhaus getarnte Villa Rose in Gland (Waadt). Seine Bilder sind in ebenfalls der Ausstellung zu sehen.

Ein Bunker in den Schweizer Alpen
Leo Fabrizio, Serie Bunker, 2002. Leo Fabrizio

«Mein Blick auf den Survivalismus ist weder kritisch noch selbstgefällig. Mit diesen Bildern wollte ich einfach die Schweizer Identität hinterfragen, die stark mit der alpinen Landschaft verbunden ist. Unsere Beziehung zu den Bergen ist stärker als in jedem anderen Land der Welt», sagt Fabrizio.

«Die Schweiz liegt im Herzen Europas, umgeben von beeindruckenden Gipfeln, die ihr eine natürliche Festung verleihen und sie vor ihren Nachbarn schützen. Sie ist gewissermassen eine Insel. Mit ihrer Verteidigungslinie überspielt sie ihren Inselcharakter.»

Vorsicht und Entdramatisierung

Ist Design hier nicht eine zweischneidige Waffe: ein Aufruf zur Vorsicht, aber auch zur Entdramatisierung?

«Ich würde nicht von einer Waffe sprechen», antwortet Marco Costantini, Direktor des Mudac. «Ich würde eher sagen, dass das Design unsere Grenzen im Umgang mit Katastrophen aufzeigt. Gleichzeitig ist es aber auch ein Werkzeug gegen den Fatalismus. In diesem Sinn gibt es Hoffnung auf eine bessere Welt.»

Bildredaktion: Helen James, Text editiert von Samuel Jaberg

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