Desinfizierte Briefe
Von Cholera bis Corona – Epidemien hatten stets auch Auswirkungen auf den Postbetrieb in der Schweiz. Ein Blick in die Archive der PTT zeigt, wie vergangene Krisensituationen bewältigt wurden.
Während sich im Frühjahr 2020 Corona-bedingt Tausende im Homeoffice einbunkerten, gingen Schweizer Pöstler weiter täglich von Haus zu Haus. Die postalische Grundversorgung muss auch in Ausnahmesituationen sichergestellt werden.
Um die Kontakte zu den Menschen zu minimieren und eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, wurden auch bei der Post Schutzkonzepte erstellt. Paketboten gingen in der Folge gestaffelt auf ihre Tour. Und wer eingeschriebene Post empfing, bemerkte möglicherweise, dass die sonst übliche Unterschrift aus hygienischen Gründen wegfiel.
Probleme bereitete die Krise der Post aber vor allem hinter den Kulissen: Abstandsregeln in Verarbeitungszentren bei gleichzeitig nie dagewesenen Paketbergen führten zeitweise zu Verzögerungen in der Zustellung. Grundsätzlich funktionierten Kommunikation und Transport über den Postweg in der Schweiz aber ohne grosse Einschränkungen; keine Selbstverständlichkeit, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.
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Machtlos gegen die Grippe
Auch als sich die Spanische Grippe im Sommer 1918 über Europa ausbreitete, fürchtete man sich vor einer Verbreitung der Krankheit über die Postwege. Die Kreispost-Direktionen ergriffen deshalb eine Reihe präventiver Massnahmen. Schon damals ging man wo immer möglich auf Abstand. So war es Pöstlern verboten, die Wohnungen von erkrankten Personen zu betreten.
Auch die Empfehlungen zum häufigen Händewaschen oder Anordnungen zur regelmässigen Desinfektion von Diensträumen oder Bahnpostwagen erinnern an das Corona-Zeitalter. Heute nicht mehr zeitgemäss wäre dagegen ein ausdrückliches Ausspuckverbot auf den Boden – oder die allgemeine Empfehlung der Oberpost-Direktion, «ruhiges Blut zu bewahren», da der Körper im Erregungszustand anfälliger für Infektionen sei.
Tatsächlich war, aller Massnahmen zum Trotz, gegen die Grippe kein Kraut gewachsen. Die Krankheit, die landesweit schätzungsweise 25’000 Menschenleben kostete, traf auch die Postdienste mit voller Härte. Die durch ihre Tätigkeit stark exponierten Pöstler fielen reihenweise aus: Insgesamt rund die Hälfte des gesamten Personals dürfte sich bis im Sommer 1919 mit der Grippe angesteckt haben.
Trotz Einstellung zahlreicher Aushilfen – sogar Kinder wurden mancherorts zu Temporärpöstlern –, gelang es nicht überall, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Manche Poststellen mussten auf dem Höhepunkt der Pandemie zeitweise schliessen. Betroffen war unter anderem die Stadt Solothurn.
Am 19. Oktober 1918 ging bei der Kreispost-Direktion die Meldung ein, dass für die Aufrechterhaltung des Betriebs in der Poststelle Solothurn Industriequartier mindestens drei Beamte fehlen würden. Eine fieberhafte Suche nach Ersatz blieb erfolglos, zwei Tage später wurde die Poststelle geschlossen. Und selbst auf der Solothurner Hauptpost mussten die Öffnungszeiten reduziert werden.
Nicht nur in Solothurn, sondern in der ganzen Schweiz blieben die Schrecken der Spanischen Grippe noch lange präsent. Bei der PTT hatten die einschneidenden Erfahrungen betriebliche Konsequenzen: Um für künftige Grippewellen besser gerüstet zu sein, informierte der in den 1920er-Jahren aus Post und Fernmeldewesen zusammengesetzte Staatsbetrieb seine Mitarbeitenden fortan regelmässig über Verhaltensweisen bei Influenza-Fällen. Erst 1943 wurde der Grippe-Paragraf aus den «Dienstlichen Mitteilungen» gestrichen.
Die Seuche und das liebe Vieh
Zumindest für die menschliche Gesundheit weit weniger gravierend war die Maul- und Klauenseuche, die in der Schweiz bis ins späte 20. Jahrhundert immer wieder ausbrach. Doch auch hier hatten Massnahmen zur Eindämmung der Krankheit jeweils erhebliche Auswirkungen auf den Postbetrieb.
Beispielsweise 1920, als ein besonders verheerender Seuchenzug die Schweiz durchquerte: Betroffene Gebiete wurden damals als so genannte Bannzonen abgeriegelt, auch ganze Gemeinden waren betroffen. Ausgehende Post wurde desinfiziert sowie entsprechend gekennzeichnet. In Bern erliess der Kantonstierarzt für Banngebiete die Weisung, wertlose Korrespondenz sofort nach Erhalt zu verbrennen.
Mancherorts sorgte die Maul- und Klauenseuche aus heutiger Sicht für unvorstellbare Zustände, so etwa im bernischen Suberg: Da ein betroffener Bauer gleichzeitig auch Posthalter der Gemeinde war, wurde mit dem Bauernhof gleich auch das Postbüro samt Pöstler Baumann für drei Wochen unter Bann gesetzt. Eine temporäre Poststelle wurde daraufhin im örtlichen Schulhaus installiert, zum Briefträger kurzerhand der Landjäger bestimmt.
Improvisieren war einige Monate später auch in der Seeländer Gemeinde Finsterhennen gefragt. Da das Dorf über keine eigene Poststelle verfügte, die Nachbarsgemeinde Siselen, wo sich die zugehörige Post befand, jedoch zur Bannzone erklärt wurde, musste eine temporäre Postablage geschaffen werden. Fündig wurde man wiederum im Schulhaus, die Postgeschäfte besorgte in diesem Fall jedoch der Dorflehrer. Wie der Landjäger in Suberg galt er als vertrauenswürdig genug, wenn es etwa um die Wahrung des Postgeheimnisses ging.
Bannzonen und Dorfpolizisten als Aushilfspöstler – auch wenn die Post gegenwärtig erneut durch eine Pandemie herausgefordert wird: Solch spektakuläre Massnahmen wie vor 100 Jahren waren bislang glücklicherweise nicht nötig.
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