Die Bobbahn St. Moritz und ihr Eismeister
Der Olympia Bobrun St. Moritz ist das "Monaco" der Bobpiloten: Die älteste und traditionellste Bahn der Welt ist zugleich die letzte aus Natureis. Christian Brantschen, seit 20 Jahren der Eismeister, erzählt.
«Der Unterschied zwischen St. Moritz und den anderen Bahnen ist sehr gross. Die Bahn von St. Moritz hinunter nach Celerina ist in die Talstufe hineingewachsen, man fährt also in der Natur.
Eine Natureisbahn wird jeden Winter neu aus Schnee aufgebaut und danach mit Wasser vereist. Die Kunsteisbahn dagegen ist ein vorgegebener Betonbau. Dieser wird dann jeweils mit einer vier bis sechs Zentimeter dicken Eisschicht überzogen.
Mit dem Bau beginnen wir immer in der letzten Novemberwoche. Wir sind ein eingespieltes Team von 15 Personen, in dem jeder am richtigen Platz ist.
Das Spezielle ist, dass sich die Gruppe der Bahnbauer über Jahrzehnte gebildet hat. Sie stammen praktisch ausnahmslos aus Naturns im Südtirol. Im Winter kümmern sie sich hier um den Bau und den Unterhalt der Bahn. Im Sommer arbeiten sie daheim auf dem Bau, als Forstwart oder als Hirte auf einer Alp.
Schlitten einbremsen
Zuerst sammeln wir Schnee. Wenn noch keiner liegt, stellen wir diesen mit Schneekanonen selber her. Dann wird die Bahn sektorweise abgesteckt, um den Rohbau zu erstellen. In einer zweiten Phase kommt der Feinausbau, das sind die Rundungen und die Kurvenüberhänge. Dann wird die Bahn Abschnitt für Abschnitt zusammengesetzt. Um Weihnachten beginnt der Fahrbetrieb.
Sunny Corner und Horse Shoe sind für die Piloten anspruchsvoller als für uns Bahnbauer, denn die weiteren Kurven mit den grösseren Radien sind schwieriger zu bauen.
Weil der Horse Shoe zu gefährlich wurde, mussten wir 1996 den Kurvenradius von 15 auf 18 Meter öffnen – die Kräfte waren so gross geworden, dass die Bobs mit ihren Kufen Spurrillen in die Bahn schnitten. Wegen der höheren Geschwindigkeit war auch der Zieleinlauf nicht mehr adäquat. Heute haben wir eine 300 Meter lange Schlussgerade, die leicht ansteigt.
Top-Eis
Punkto Eisqualität sind wir international heute voll dabei. St. Moritz ist den Kunsteisbahnen diesbezüglich ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Das Eis wurde feiner, auch dank der Werkzeuge. Wir hobeln das Eis genau so, wie dies auf einer Kunsteisbahn geschieht.
Ich kenne die Bahn nicht nur als Bahnbauer, sondern auch aus der Sicht des Piloten. Selber habe ich aber nur ältere Bobs gesteuert. In neueren Schlitten bin ich nur mitgefahren. Aber die Crestabahn gleich daneben kenne ich natürlich bestens, denn ursprünglich komme ich vom Skeleton.
Der Olympiarun vermittelt ein besonderes Gefühl, weil man in den Kurven grossen Fliehkräften ausgesetzt ist, den sogenannten G-Forces. Dazu kommt natürlich die Geschwindigkeit – die schnellsten Viererbobs erreichen heute knapp 150 Kilometer pro Stunde!
Klimaerwärmung noch keine Gefahr
Der Klimawandel ist eine Frage, die uns alle beschäftigt, insbesondere mich. Ich bin seit über 30 Jahren bei Cresta-Run und Bobbahn voll am Puls, im Winter Tag für Tag. Da spürt man die Veränderungen. Die Temperaturstürze sind heute intensiver und erfolgen schneller als vorher.
Aber wir sind auf 1800 Meter über Meer, und da wird es noch eine Weile dauern, bis der Bahnbau gefährdet wäre. Zudem können wir heute dank der Kanonen den Schnee selber produzieren. Dieser ist sogar noch besser als natürlicher Schnee, weil er viel resistenter ist als natürlicher Schnee.
Saisonschluss ist in der ersten Märzwoche. Danach räumen wir noch ein, zwei Tage auf, bevor wieder alle nach Hause zurückkehren.»
Der Olympia Bobrun hat Generationen von erfolgreichen Schweizer Bobpiloten hervorgebracht. Lesen Sie dazu in der Reubrik Zum Thema den Artikel «Hans Hiltebrand, ein Schweizer Goldpilot in St. Moritz»
Aufgezeichnet von Renat Künzi, swissinfo.ch
Der Eiskanal in St. Moritz wird jedes Jahr von Grund auf neu gebaut. Deshalb gibt es alle Jahre minime Änderungen in der Linienführung.
Der Olympia Bobrun ist zugleich die grösste Schneeskulptur der Welt, die vom rund 15-köpfigen Bahnbauer-Team aus 5000 Kubikmeter Schnee, 4000 Kubikmeter Wasser und viel Schweiss errichtet wird.
Der Eiskanal ist 1722 Meter lang; der Höhenunterschied beträgt 129 Meter, was einem durchschnittlichen Gefälle von 8.1% entspricht.
Der Bobrun ist praktisch unverändert. Weil die Bobs immer schneller wurden, mussten aber die Radien mehrerer Kurven vergrössert werden. Trotzdem erreichen die Schlitten Spitzengeschwindigkeiten von an die 150km/h.
Während seiner über 100-jährigen Geschichte war der Olympia Bobrun St. Moritz-Celerina Austragungsort an zwei Olympischen Winterspielen (1928 und 1948).
Der Oberengadiner Eiskanal war zudem Schauplatz von 22 Weltmeisterschaften (18 im Bob, 3 im Skeleton und 1 im Rennrodeln).
Letztes Highlight war die Bob-WM 2007, als der Vierer von Pilot Ivo Rüegg den Titel holte.
Die Bahn von St. Moritz ist zudem fixer Bestandteil des Weltcup-Kalenders der Disziplinen Zweier-und Viererbob, Skeleton und Rennrodeln.
2012 wird St. Moritz erneut Austragungsort der Bob- und Skeleton-WM.
Die Schweiz ist eine Bob-Grossmacht. Dies verdankt sie auch gerade dem Olympia Bobrun St. Moritz-Celerina als «Hausstrecke».
Die Betreiber bieten jeden Winter eine Bob- und eine Skeletonschule an.
Aus ihr gingen erfolgreiche Piloten wie Martin Annen, Daniel Schmid, Martin Galliker, Urs Hefti und bei den Frauen Sabina Hafner und Maya Bamert hervor.
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