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Die Fahnen-Pionierin mit viel Schwung

Erna Fischbacher 2010 vor dem Eidgenössischen Schwingfest Frauenfeld. Am Samstag in Interlaken werden die Ränge gefüllt sein. Keystone

Freunde des Schweizer Brauchtums kommen in Hochstimmung: Von Donnerstag bis Sonntag findet in Interlaken das 28. Eidgenössische Jodlerfest statt. Mit dabei: Erna Fischbacher, erste Fahnenschwingerin in der Geschichte des Grossanlasses.

Im Zentrum des alle drei Jahre stattfindenden Jodlerfestes stehen – neben der Festfreude natürlich – die Wettvorträge der rund 11’000 teilnehmenden Jodlerinnen und Jodler, Fahnenschwinger und Alphornbläser.

Vom Tenue – weisses Hemd und Chüjermutz (Sennenkutte) für die Männer, Trachten für die Frauen – bis zu den Elementen des Vortrags: Am Jodlerfest ist fast alles reglementiert. Eine Wettbewerbs-Jury wacht über die Einhaltung der Vorgaben und benotet die Darbietungen.

Das Jodlerfest zwischen Thuner- und Brienzersee als Hort der Tradition also? Ja sicher. Aber nicht nur. Denn in diesem Jahr werden die Besucherinnen und Besucher im Berner Oberland Zeuge einer kleinen Revolution: Erna Fischbacher ist die erste Fahnenschwingerin, die sich für ein Eidgenössisches Jodlerfest qualifiziert hat.

«Hohe Zwei» als Ziel

Die 47-jährige Krankenpflegerin aus Frauenfeld ist stolz und «happy», dies als Erste geschafft zu haben. Aber die Thurgauerin reist nicht nach Interlaken, nur um einfach dabei zu sein. «Ich bin sehr glücklich, wenn ich mein Niveau von 24 bis 25 Punkten erreichen kann», umreisst sie gegenüber swissinfo.ch ihre realistische Zielsetzung.

Gelingt ihr dies, wird sie von der vierköpfigen Jury die erhoffte «hohe Zwei» erhalten. Die Eins gibt es für 26 bis 30 Punkte, dem Maximum. Die Bestnote ist dann das nächste sportliche Ziel der Pionierin.

Erst die Banane, dann die Bratwurst

Am Samstagvormittag um 10.04 Uhr muss Erna Fischbacher parat sein. Dann setzt sie hochkonzentriert zu ihrem dreiminütigen Vortrag an. «Bisher ist es gut gegangen, aber langsam spüre ich Nervosität,» räumt sie ein.

Dazu trägt nicht nur die sich aufbauende innere Wettkampf-Spannung bei, sondern auch das sprunghaft gestiegene Interesse der Medien. Allein an Pfingstsamstag und –Sonntag hätten sich fünf Journalisten bei ihr gemeldet, sagt sie. Dazu kommt, dass die Pflegerin ausgerechnet wenige Tage vor ihrem Auftritt noch mehrere Nachtdienste absolvieren musste.

Ein eigentliches Rezept gegen Lampenfieber hat die Fahnenschwingerin nicht. «Vor dem Wettkampf esse ich aber mineralstoffreiche Nahrungsmittel, vor allem Bananen, Nüsse, Mandeln und Rosinen», gibt Fischbacher dann aber doch eines preis. Sie freut sich aber schon jetzt darauf, sich nach ihrer Vorstellung eine Festbratwurst zu gönnen.

Der Fahnenschwing-Vortrag ist eine Choreografie aus 49 möglichen Schwüngen. Da sind die Tellerschwünge über den Kopf, die zu Fischbachers Spezialitäten zählen. Bei den Schwüngen aber, bei denen sie ihre Fahne hoch in die Lüfte zu schwingen hat, ortet sie dagegen noch Verbesserungspotenzial.

Spezifisches Krafttraining absolviert sie aber keines. Als gelernte Bäckerin/Konditorin und als Bergsteigerin ist Fischbacher das Zupacken gewohnt.

Lob für die Kollegen

Frauen, die in eine Männerdomäne einbrechen, müssen besser als ihre Konkurrenten sein, lautet eine oft zitierte Regel. «Fähnlerin» Fischbacher kann sie nicht bestätigen. «Ich werde absolut korrekt bewertet. Das bedeutet aber auch, dass ich keinen Bonus erhalte.»

Überhaupt zollt die Pionierin der erdrückenden männlichen Mehrheit unter den Fahnenschwingern Lob. Diese hätten sie von Anfang an akzeptiert und ernst genommen. Dumme Sprüche habe sie nie gehört.

«Im Freundeskreis dagegen wurde ich teilweise schon belächelt», sagt sie. Einige hätten gemeint, sie sei eine Fahnenträgerin. «Heute aber sind sie begeistert, dass ich das Fahnenschwingen so gut beherrsche.»

Hosen statt Rock

Schwünge, bei denen die Fahne zwischen den Beinen hindurch geschwungen wird, werden für die Pionierin kein Problem darstellen. Diese so genannten Unterschwünge waren der Grund, weshalb das Fahnenschwingen gut ein Jahrhundert lang den Männern vorbehalten blieb.

Das «technische Regulativ für das Fahnenschwingen», wie das fünfseitige Reglement heisst, schreibt zwar immer noch einen Vortrag in «korrekter Tracht» vor. Und zu dieser zählte für die Frauen ein Rock sowie ein enges Oberkleid. Ersterer bildete für den Unterschwung ein unüberbrückbares Hindernis, während Letzteres den für die oberen Schwünge wichtigen Einsatz von Armen und Oberkörper behinderte.

Seit der Modernisierung des Reglements 2009 dürfen nun auch Frauen explizit in schwarzen Hosen und Trachtenkutte antreten, wie dies den Männer vorgeschrieben ist. In Jeans dagegen dürfte Erna Fischbacher nach wie vor nicht «fähnlen», sind diese doch ausdrücklich verboten.

Tägliches Training als Wunschtraum

Ihren Optimismus über ein gutes Abschneiden im Berner Oberland schöpft Erna Fischbacher aus dem Training, das sie intensiviert hat. Fünf Stunden hat sie den letzten beiden Wochen «gefähnelt». Das Normalpensum liegt bei einer Stunde pro Woche.

«Ich würde gerne täglich trainieren,» sagt sie. Doch die Turnhalle ist nur einmal wöchentlich verfügbar, und draussen verunmöglichen Windeinflüsse ein sinnvolles Training. Fahnenschwingen ist eben eine Randsportart, sowohl für Frauen wie für Männer.

Der Vortrag der Fahnenschwinger an einem Jodlerfest dauert drei Minuten und ist eine Choreografie aus 49 möglichen Schwüngen.

Es gibt Boden-, Körper-, Kopf-, Mittelhoch- und Hochschwünge.

Erlaubt sind nur die Schweizer- oder Kantonalfahnen.

Die Fahne misst 1,2

auf 1,2 Meter. Die Länge des Fahnenstockes ist frei, das Gewicht der Fahne kann deshalb differieren.

Alle Schwünge müssen sowohl links- wie rechtshändig ausgeführt werden. Der führende Arm muss möglichst gestreckt sein, die ruhende Hand muss sofort in die Hüftstütze gehen.

Die Fahne darf nie stillstehen, soll immer offen bleiben und darf weder Körper noch Boden berühren.

Jeder Ausfallschritt oder Anheben der Fersen werden mit Punkteabzug bestraft.

Vier Jurymitglieder bewerten den Vortrag.

Note 1 oder «sehr gut»: 26 bis 30 Punkte (Maximum).

Note 2 («gut»): 20 bis 25.75 Punkte.

Note 3 («befriedigent»): 10 bis 19.75 Punkte.

Note 4 («ungenügend»): 0 bis 9.75 Punkte.

Das 28. Eidgenössische Jodlerfest in Interlaken findet vom 16. bis 19. Juni statt.

Im Berner Oberland werden rund 11’000 aktive Jodlerinnen und Jodler, Fahnenschwinger und Alphornbläser sowie rund 200’000 Besucher erwartet.

Im Zentrum stehen die Wettvorträge, die von einer Jury bewertet werden. Rund 500 Jugendliche nehmen an Nachwuchswettbewerben teil.

Hauptgast am offiziellen Festakt vom Sonntag ist Bundesrat Johann Schneider-Ammann.

Den Abschluss bildet ein Festumzug durch Interlaken.

In den Gruppenwettbewerben treten über 480 Jodlerchörli, 241 Fahnenschwinger-Formationen und 46 Alphorn-Ensembles an.

Die rund 1500 Darbietungen werden von 140 Jurorinnen und Juroren bewertet.

Der Anlass wird teilweise vom Schweizer Fernsehen übertragen.

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