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Die Faszination Schweizer Alltagsgegenstände

Schweizer Rösti-Raffel aus Stahl. Franco Mattei, Claro

Der Architekt Riccardo Blumer verfügt über eine aussergewöhnliche Sammlung: Er besitzt 400 Fabrikate für den Hausgebrauch, die zwischen 1930 und 1970 in der Schweiz hergestellt wurden oder "Swissness" verkörpern. Ein Teil davon wird derzeit ausgestellt.

Bügeleisen, Kochtöpfe, Nähmaschinen, Schlüssel und Schlösser: Alltagsgegenstände, die wir in der Regel nicht besonders beachten. Anders Riccardo Blumer: Der Schweizer Architekt und Designer, der in Italien aufwuchs und dort lebt, hat eine regelrechte Leidenschaft für diese Gegenstände entwickelt – insofern sie mit einem «Label Schweiz» versehen sind.

Um Eingang in die Sammlung zu finden, müssen die Fabrikate mindestens eines der folgenden vier Marken-Kriterien erfüllen: Entweder wurden sie in der Schweiz hergestellt oder tragen ein Schweizer Kreuz als Symbol oder ein Schweizer Markenzeichen (wie die Armbrust) oder eine Schweizer Patent-Nummer.

Blumer war und ist insbesondere vom Schweizer Kreuz fasziniert. In seiner Sammlung befindet sich sogar ein Kehrichteimer aus Stahl mit dem nationalen Symbol auf dem Deckel. Dieser Eimer mit seinem Bügel stand praktisch in allen Schweizer Haushaltungen und wurde von 1926 bis 1972 von der Firma Ochsner hergestellt.

Der Anstoss für die Sammlung

Aber warum hat Blumer eine Leidenschaft für diese «wertlosen» Objekte entwickelt? «Ich bin in Bergamo aufgewachsen. Meine Grosseltern waren dorthin ausgewandert. Sie wohnten unter uns, sprachen Schweizerdeutsch, und ich verstand nichts. Vielleicht hat das meine Neugierde geweckt, mehr über mein Ursprungsland und den dortigen Alltag zu erfahren.»

Tatsächlich spiegeln die Fabrikate die Kultur eines Alltags, der auf Werten wie Nachhaltigkeit, Effizienz und Beständigkeit fusst. Oder wie Blumer sagt: «In der Modernität hat sich das Schweizer Handwerk und die Schweizer Industrie mit ihren Produkten ausgezeichnet.»

Blumer hat insgesamt 400 Objekte gesammelt – von Schuhspikes bis zu Kinderspielen. Normalerweise stehen sie in seinem Architekturbüro in Varese (Italien). 80 dieser Gegenstände werden nun erstmals in der Schweiz ausgestellt – in den Schaufenstern aller Filialen der Bank BSI.

Nach Themen geordnet

Blumer hat seine kuriose Sammlung thematisch aufgeteilt: Arbeit, Heim (kochen – waschen – bügeln), Landwirtschaft, Verteidigung/Militär, Spiele. Und so finden sich Schnellkochtöpfe neben Waschbrettern, Einweggläsern, Schuhen, Messern und Toast-Apparaten.

«Ich schaue diese Gegenstände gerne an, aber möchte auch wissen, was sich hinter diesen Fabrikaten verbirgt», sagt Blumer – und nimmt einen Kartoffelschäler zur Hand. «Eine Kartoffel möglichst dünn zu schälen, war in den Nachkriegsjahren eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Es gab kaum Nahrung, und daher musste der Schalenrest möglichst gering sein.»

Natürlich kann auch das multifunktionelle Messer, besser als Schweizer- oder Militärmesser bekannt, in der Sammlung nicht fehlen. «Die Idee, ein Schneidewerkzeug mit mehreren Klingen zu entwickeln, war nicht militärisch, sondern landwirtschaftlich. Es war eine Idee der Bauern.» Sie brauchten tagsüber ein Messer, das sie beim Transport nicht in Gefahr bringen durfte.

Geschichte der technologischen Entwicklung

Eine ganze Sektion ist dem Schweizer Militär gewidmet. Die Mechanik der Militärschuhe ist ein Spiegel der Morphologie des Schweizer Geländes, welche die Schwierigkeiten der Fortbewegung aufzeigt. Die Tricouni-Schuhbeschläge für Eis und Schnee tragen beispielsweise das nationale Markenzeichen mitsamt Patentnummer.

Auch die Perfektion von Schlüsseln und Schlössern fasziniert Blumer, «obwohl es diese in einem sicheren Land wie der Schweiz eigentlich gar nicht geben müsste». Und doch zeigen gerade die Verschlussmechaniken in besondere Weise die Qualitäten Schweizer Präzisionsarbeit auf, die sich mit Uhren weltweit einen Namen gemacht hat.

«Durch einfache Gegenstände, die das alltägliche Leben erleichtern, erzählt die Sammlung ‹Branded Swiss› die Geschichte einer technischen Evolution, die sich aus ihrer ethno-kulturellen Umgebung ergibt, in welcher der Mensch lebt und arbeitet», bilanziert der Historiker Luigi Zanzi von der Universität Pavia in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog.

Gerhard Lob, Lugano, swissinfo.ch

Riccardo Blumer wird 1959 in Bergamo geboren. 1982 schliesst er sein Architekturstudium in Mailand ab. Er entwirft Grossgebäude, Fabriken und Einfamilienhäuser und widmet sich zudem Design und Innenarchitektur.

Von 1983 bis 1988 arbeitet er beim bekannten Tessiner Architekten Mario Botta in Lugano. Danach macht er sich als Architekt und Designer selbständig. Er arbeitet mit Firmen wie Alias, Artemide, Desalto oder Poliform zusammen und beteiligt sich an internen Restaurationen wie dem Teatro alla Scala von Mailand.

1997 gewinnt er den «Design Preis Schweiz» und 1998 den «Goldenen Kompass». Er unterrichtet Architektur und Design an der Architekturakademie von Mendrisio der Universität der italienischen Schweiz. Er lebt und arbeitet in Varese (Italien).

Die Ausstellung ‹Branded Swiss› wird von der Bank BSI bis zum 30. April 2010 gezeigt. Sie ist in den Schaufenstern der Niederlassungen Bellinzona, Chiasso, Genf, Locarno, Lugano, St. Moritz und Zürich zu sehen.

Die BSI organisiert seit Jahren im Rahmen ihres Projekts ‹BSI Album› Ausstellungen in den Niederlassungen. Sie sollen die Möglichkeit geben, an den Schaufenstern vorbei zu laufen und dabei ein Bilderalbum aus anderen Zeiten zu sehen.

Die BSI wurde 1873 gegründet und ist somit die älteste Tessiner Bank. Sie hat ihren Sitz in Lugano. Seit 1998 wird sie vollständig von der italienischen Versicherungs-Gruppe Assicurazioni Generali kontrolliert.

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