Die Gämse nervt nicht mehr
Vor fünf Jahren wurde die neue deutsche Rechtschreibung eingeführt. Noch heute löst die Reform zum Teil heftigen Widerstand aus.
Die lauten Töne kommen aber eher aus Deutschland. In der Schweiz regt sich niemand mehr gross auf, denn Deutsch sei mehr als nur Rechtschreibung.
Vincent Rast vom Büro für Sprachen in Bern war Mitarbeiter beim «Leitfaden zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung» des Bundes und findet die Reform gut. Sie sei der Ausdruck eines langen Weges, der eigentlich schon um 1900 einsetzte, um die Schreibweise der deutschen Sprache zu vereinfachen.
«Mit der nun fünf Jahre alten Reform ist zum ersten Mal eine generelle und auch rechtliche Relevanz der Rechtschreibung erreicht worden», sagt Rast. Schon deshalb werte er die Reform positiv.
Rast nennt zwei Beispiele, um seine Aussage zu untermauern: Das Stammprinzip das nun gelte: Brennnessel, Schifffahrt oder auch nummerien. Da sei nun klar, wie geschrieben werde.
Oder auch die Substantivierung bei der Gross- und Kleinschreibung. Sie sei klar durchgezogen: im Allgemeinen, im Übrigen oder im Dunkeln tappen.
Hauptgegner in Deutschland
Die positive Einschätzung von Vincent Rast wird nicht überall geteilt. Vor allem in Deutschland sind immer noch schrille Töne gegen die Reform zu hören.
Einer der Hauptgegner, Matthias Dräger, der Sprecher der Initiative «Wir gegen die Rechtschreibereform» höhnt: «Inzwischen schreibt jeder, wie er will, das hätte man auch einfacher haben können.»
Die Gegner verweisen denn auch auf den «Spinnefeind» den es nicht mehr gebe und auch der «Alleinstehende existiere wieder neben dem «allein Stehenden».
Der in Deutschland als Rechtschreiberebell bekannt gewordene Deutschlehrer Friedrich Denk fordert zum fünften Jahrestag der Rechtschreibereform kurz und bündig «den Rückbau der Reformruine.»
Pragmatische Schweiz
In der Schweiz dagegen hält sich die Aufregung in Grenzen oder anders gesagt, es gibt keine mehr. Auch wenn hier längst nicht alle mit der Rechtschreibereform einverstanden sind.
Hanspeter Kellenberger, Korrektor bei der Neuen Zürcher Zeitung findet sie gar «zu 80 Prozent schlecht». Doch bei der NZZ habe man «mit Ausnahmen» die neue Rechtschreibung übernommen. «Nicht aus Überzeug, sondern aus pragmatischen Gründen.»
Und wenn in Deutschland Matthias Dräger die Reform anklagt und sich fragt «was sollen die Kinder eigentlich lernen», ist diese Frage in der deutschsprachigen Schweiz längst beantwortet: Was im Schulbuch steht!
Othmar Mani ist Produzent des Deutschlehrmittels «Sprachwelt – Deutsch» bei der Schulverlag AG in Bern. Die neue deutsche Rechtschreibung sei im Lehrmittel, das in der gesamten Deutschschweiz verbreitet ist, berücksichtigt. «Wir haben keine Probleme mehr damit».
Zudem lerne der Schüler und die Schülerin die deutsche Sprache schreiben. «Das ist doch denen egal, ob das neue oder alte Rechtschreibung ist, wichtig ist, dass alle ‹Stängel› gleich schreiben», sagt Mani.
Verlagsleiter Peter Uhr ist gleicher Meinung und findet: «Für die Kinder ebenso wichtig ist, dass sie sprachliche Kompetenz erlangen und Lust daran finden, sich auszudrücken. Das ist genau so wichtig, wie Rechtschreibung!»
Klein schreiben
Aus Zürich meldet sich dazu Rolf Landolt zu Worte. Er bietet den Ausweg aus dem ganzen Palaver rund um die Reform der deutschen Rechtschreibung an: die Kleinschreibung.
Landolt ist Präsident des «Bundes für die vereinfachte Rechtschreibung». Auch für ihn ist die jetzige Reform ein Erfolg: «Weil sich überhaupt etwas bewegt hat.»
Eigentlich habe die Reform-Kommission ursprünglich die gemässigte Kleinschreibung – wie sie die französische oder englische Sprache kennt – einführen wollen. Landolt war als Beobachter dabei.
Da könne ja im Ernst niemand dagegen sein, war die Kommission der Meinung, erinnert sich Landolt. Zumal etliche Umfragen in der Öffentlichkeit immer eine Mehrheit für die Kleinschreibung ergeben hätten. «Doch die Kommission hat nicht mit den deutschen Fundis gerechnet», sagt Landolt.
Die hätten die Kleinschreibung mit dem Hinweis, dass sei eine marxistische Forderung gebodigt. Gemeint sei damit nicht, Karl Marx habe die Kleinschreibung der deutschen Sprache gefordert.
«Aber die Absicht, die Kleinschreibung einzuführen, erschien denen als revolutionär und das nannten sie halt marxistisch», sagt Landolt, der übrigens der Meinung ist, es werde keine hundert Jahre mehr dauern bis zur nächsten Reform der deutschen Rechtschreibung. «Dann wird die Kleinschreibung eingeführt», ist Landolt überzeugt.
swissinfo, Urs Maurer
Stationen der Reform
1876: Erste Orthografische Konferenz in Berlin.
1931: Reformvorschläge des Leipziger Lehrer-Vereins.
1954: «Stuttgarter Empfehlungen» zur Rechtschreibe-Reform.
1986: Erste «Wiener Gespräche». Staatliche Vertreter der vier deutschsprachigen Länder beschliessen die Regeln zu vereinfachen.
1996: Absichtserklärung über die Einführung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wird in Wien unterzeichnet.
1998: Am 01.08.1998 tritt die neue Rechtschreibung in den Schulen sowie den staatlichen Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz in Kraft.
Die Übergangszeit dauert bis zum 01.08.2005.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch