Die Geschichte von Barbie beginnt in der Schweiz
Seit dem 20. Juli ist der Film über die ikonische Puppe, die die Kindheit mehrerer Generationen geprägt hat, in die Kinos gekommen. Eine lange Geschichte, die in den 1950er-Jahren begann – in der Schweiz.
Diesen Sommer werden Sie, ob Sie wollen oder nicht, von einer riesigen rosa Welle mitgerissen. Sie werden diese Farbe fast überall sehen, und sie wird sich in Ihren Alltag einschleichen. Das ist das Ergebnis einer gross angelegten Marketingkampagne, die seit Monaten den Kinostart von «Barbie» begleitet.
Der Spielfilm von Greta Gerwig mit Margot Robbie und Ryan Gosling in den Hauptrollen ist mehr als nur ein Film: Er ist ein Erlebnis, das vor allem die Generation der Millennials anspricht (aber nicht nur, denn Mädchen und Jungen spielen auch heute noch damit), die mit der ikonischen Puppe, dem Haus mit Aufzug, dem Whirlpool, den verschiedenen Outfits, den Pferden aufgewachsen ist – kurz: ein echter Blick in die Vergangenheit.
Aber es ist auch eine Art, Sie auf den neusten Stand zu bringen, dank einer gross angelegten Strategie in den sozialen Medien und verschiedener Kooperationen mit Mode- und Kosmetikmarken, die der amerikanische Spielzeughersteller Mattel ins Leben gerufen hat.
Auf Tiktok sind die Hashtags #barbiecore und #kencore in aller Munde. Mit dem Barbie-Selfie-Generator kann man sich mit einem Klick in eine Barbie oder einen Ken verwandeln. Und auf Airbnb kann man eine Übernachtung in Barbies Haus in Malibu buchen (in Wirklichkeit gibt es keine Verfügbarkeit bis 2025). Kurzum: Wer will, kann in die bunte Welt von Barbie eintauchen.
Barbie wurde in der Schweiz «geboren»
Aber wie und wo ist diese Puppe entstanden? Nicoletta Bazzano, ausserordentliche Professorin für moderne Geschichte an der Fakultät für Geisteswissenschaften, Sprachen und Kulturerbe der Universität Cagliari und Autorin des Buchs «La donna perfetta. La storia di Barbie», weiss es.
Barbie wurde im März 1959 von Ruth Handler erfunden, der Ehefrau von Elliot Handler, der zusammen mit seinem Partner Harold «Matt» Matson die Firma Mattel gegründet hatte (der Name setzt sich aus den Namen Matt und El von Elliot zusammen).
Und sie wurde auf einer Reise in die Schweiz geboren. Dort sah Ruth Handler mit ihrer Familie zum ersten Mal eine Puppe, die es so in den USA nicht gab.
«Als sie mit ihren Kindern und ihrem Mann in Zürich oder Luzern spazieren ging, sah sie in einem Geschäft eine Puppe, die ihre Tochter Barbara sofort haben wollte. Es war Lilli, eine 29,5 cm grosse Puppe, die in einem von Männern frequentierten Geschäft verkauft wurde und einer Comic-Figur aus der ‹Bild›-Zeitung nachempfunden war» erzählt Bazzano.
«Es handelte sich nicht um eine Spielzeugpuppe, sondern eher um eine Dekoration. Ruth Handler nahm sie mit nach Hause und nannte sie Barbie, benannt nach ihrer Tochter Barbara.» (Ken wurde später nach ihrem Sohn Kenneth benannt, Anm. d. Red.)
«Die Diva»
Barbie war jedoch nicht die typische Puppe, mit der kleine Mädchen zu spielen pflegten, sie hatte die Züge einer erwachsenen Frau, oder besser gesagt, einer Filmdiva.
«Barbie ist eine Diva, Ruth Handler hatte als junge Frau bei Paramount gearbeitet, war also mit der Welt des Kinos vertraut. Und die Welt des Kinos beeinflusste unweigerlich auch die Fantasie der Kinder in den Vereinigten Staaten. Barbie ist ein Model mit einer reichen Garderobe», so Bazzano.
«Die Puppe war sofort ein Erfolg, wurde aber auch kritisiert, weil kleine Mädchen eine Puppe mit üppigen Brüsten und sehr langen Beinen bekamen – eine Puppe, die repräsentierte, was sie werden wollten.»
Barbies Wandel
In ihren frühen Jahren war Barbie ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie lebte: «Sie hatte einige Berufe wie Babysitterin, Flugbegleiterin, rein weibliche Tätigkeiten, und sie hatte auch Küchen- und Brautkleider, die sie im Lauf der Jahre behalten sollte.»
Doch nach der Kritik der Feministinnen in den USA und in Europa emanzipierte sich die blonde Puppe und wurde «zum Mädchen, das alles kann, und begann, Berufe zu sammeln: Es gab die Feuerwehrfrau Barbie, die Astronautin, die amerikanische Präsidentschaftskandidatin…», so die Expertin.
In den Jahren, die uns näher liegen, begann Mattel auch an ihrer Figur zu arbeiten. Nicht mehr die Grösse 99-55-83, sondern kleinere, rundere Barbies oder solche mit Beeinträchtigungen wurden im Rahmen eines Diskurses der Inklusion auf den Markt gebracht.
Barbie und die Gesellschaft
«Barbie hat alles, was sie produziert hat, aus der westlichen Welt übernommen und ist deshalb nie über sich hinausgewachsen, sondern hat sich immer den Werten angepasst und weiterentwickelt. Im Orient hingegen war sie so innovativ, dass sie dämonisiert wurde. Sie wurde in der gesamten muslimischen Welt verboten, weil sie das Ideal einer unabhängigen Frau vermittelte», sagt Bazzano.
«Es ist kein Zufall, dass ihre Zwillingsschwester Jasmine erfunden wurde, die streng verschleiert ist und einen Gebetsteppich als Accessoire trägt; sie hat all diese Eigenschaften, welche die kleinen Mädchen, die mit ihr spielen, dazu bringen können, ein weibliches Ideal zu entwickeln, das in dieser Gesellschaft akzeptiert wird», fügt sie hinzu.
Barbie und die Welt
Barbie hat sich im Lauf der Jahrzehnte verändert: Von der Frau am Herd ist sie zu einer Frau geworden, die alles kann und möglichst alle Sehnsüchte kleiner Mädchen repräsentiert. Auch im Film wird Barbie mit einer beispiellosen Herausforderung konfrontiert.
Sie entdeckt, dass sie Plattfüsse hat – ein Novum, denn ihre klassische Figur basiert auf einer besonders gewölbten Sohle, die für einen sehr hohen Absatz konzipiert ist. «Das verändert ihre Perspektive», sagt Bazzano, «denn sie trägt keine rosa Absätze mehr, sondern ganz normale Schuhe – und das verändert zwangsläufig ihre Sicht auf die Welt.»
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