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Infiltratoren für den Staatsschutz

Ermittler vor Bildern
Viktor, der Undercover-Polizist im Film "Moskau Einfach", gespielt von Philippe Graber. Vinca Film

Die Komödie "Moskau einfach" hat viel zu Reden gegeben. Der Film, der in den Monaten vor dem Publikwerden des Fichenskandals spielt, hat keine historiographischen Ambitionen, sondern orientiert sich an den tatsächlichen Ereignissen.

Er eröffnete die letzten Solothurner Filmtage und sorgte für viel Diskussionsstoff: Die Rede ist vom Film «Moskau Einfach» des Regisseurs Micha Lewinsky, der die Geschichte des Polizisten Viktor Schuler (Philippe Graber) erzählt, dessen Aufgabe es ist, angebliche Komplotte gegen den Staat durch linke Aktivisten in der Stadt Zürich aufzudecken.

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Der Film

Der Film spielt im Jahr 1989, kurz vor Auffliegen des Fichenskandals. Die antikommunistische Paranoia scheint in der Schweiz kein Ende zu finden. Kommissar Maroog (Mike Müller) lädt seinen Untergebenen Viktor ein, das Schauspielhaus in Zürich im Auge zu behalten. 

Um dieses Ziel am besten zu erreichen, muss der ungeschickte Protagonist eine falsche Identität annehmen – er mimt einen jungen progressiven Aktivisten, der sich der Bewegung für die Abschaffung der Armee und den Ausstieg aus der Atomkraft verschrieben hat – und sich vom Theater als Statist anstellen lassen. Die Schauspieler des Ensembles bereiten Shakespeares Zwölfte Nacht vor, eine Komödie, in der Verkleidung und Täuschung im Überfluss vorhanden sind. Während der Proben für das Stück verliebt sich Viktor unerwartet in die junge Schauspielerin Odile Jola (Miriam Stein) und wirft seine Pläne des Staatsschutzes über den Haufen.

Die Leichtigkeit und Ironie des Films wurden von Kritikern und Publikum gleichermassen geschätzt. Es gab aber auch kritische Stimmen. Einigen Kommentatoren erscheint «Moskau einfach» zu versöhnlich; der Film laufe Gefahr, die Dramatik der historischen Ereignisse zu verniedlichen oder gar zu verleugnen. Aber auf welche Fakten und Zahlen bezieht sich der Film?

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Undercover-Polizisten

Die Figur des Undercover-Polizisten ist keine Erfindung der Autoren des Films. Eine der Methoden zur Überwachung von Aktivisten und Aktivistinnen in der Stadt Zürich war –zumindest seit den 1970er-Jahren – der Einsatz von Infiltratoren. Diese Personen mussten für eine gewisse Zeit ihre Identität wechseln, mit verschiedenen politischen Bewegungen in Kontakt kommen und so tun, als würden sie deren Ideen unterstützen. Wie viele Polizisten an solchen Operationen beteiligt waren, ist unbekannt, viele wollten anonym bleiben. Immerhin eine Geschichte eines solchen Polizisten kennen wir aber: Willy Schaffner.

Schaffner lebte fünf Jahre lang als Anhänger der Jugendprotestbewegung in der Stadt Zürich. Dazu musste er nicht nur seinen Namen ändern (Willi Schaller), sondern auch sein Aussehen komplett verändern und bei unbequemen Fragen von linken Aktivisten eine fertige fiktive Biografie hervorspucken. Die Anwesenheit von Infiltratoren innerhalb der Bewegung war bekannt, und die Gefahr, entdeckt zu werden, war sehr gross.

Im Buch «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.» (Wörterseh Verlag, 2016) der Journalistin Tanja Polli, erzählt Schaffner, wie er zum Infiltrator wurde, seine Jahre der verdeckten Arbeit und die Jahre danach. Das Werk ist reich an Anekdoten, aber es ist auch ein Zeugnis davon, wie ein Beruf plötzlich existenzielle Fragen rund um die Identität aufwirft.

Zu Beginn der 1980er-Jahre, in der Zeit der berühmten Opernhaus-KrawalleExterner Link in der Stadt Zürich, wird Schaffner von seinen Vorgesetzten ohne besondere Vorbereitung eingeladen, ein Undercover-Informant zu werden.

Jahrelang lebt er in engem Kontakt mit Menschen, die völlig anders waren als er und nahm an zahlreichen politischen Demonstrationen teil, wobei es ihm sogar gelang, bei einer davon verhaftet zu werden. 1986 wurde Schaffner von einem Journalisten der Wochenzeitung WOZ enttarnt und musste für eine Weile verschwinden. 

Nach Bekanntwerden des Fichenskandals gelang es ihm, einen kritischen Blick auf seine vergangenen Aktivitäten zu werfen, und nach einiger Zeit wurde er sogar zu einem wichtigen Vermittler zwischen der Polizei und den verschiedenen Bewegungen in der Stadt. Nach der Vergangenheitsbewältigung – bald werden wir auf den SRG-Kanälen den ihm gewidmeten Dokumentarfilm «Der Spitzel und die Chaoten. Die Zürcher Jugendunruhen» sehen können –geniesst er heute den Ruhestand in seinem Haus im Kanton Uri.  

Der Spionageapparat

Philippe Graber, der Hauptdarsteller, arbeitete bei der Vorbereitung der Figur eng mit Schaffner zusammen. Das hat ihm geholfen, seinem Charakter näherzukommen und den damaligen Spionageapparat besser zu verstehen, wie er einem NZZ-Journalisten erzählteExterner Link

In «Moskau einfach» arbeitet der Protagonist, wie Schaffner, für das berüchtigte, inzwischen abgeschaffte Kriminalkommissariat III in Zürich, auch bekannt als KK3. Die Spionagetätigkeit dieses Amtes wurde 1991 durch einen Bericht einer UntersuchungskommissionExterner Link des Zürcher Parlamentes ausführlich dokumentiert.

Die Unterlagen dieses Amtes, etwa 55’000 Akten, werden heute im Stadtarchiv aufbewahrtExterner Link. Sie sind eine wichtige Quelle zur Erforschung der Geschichte der politischen Bewegungen in Zürich und der Schweiz dar.

Die in den Zürcher Dokumenten sowie in Bundesdokumenten enthaltenen Informationen sind nicht alle zuverlässig. Aber wenn man sie mit anderen Quellen kombiniert, enthüllen sie neben der Funktionsweise des staatlichen Schutzapparats auch die Aktivitäten des komplexen politischen, sozialen und kulturellen Milieus, das in Zürich zwischen Mitte der 1960er- und Ende der 1980er-Jahre präsent war.   

(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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