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Die Kunstwelt im Bann des israelisch-palästinensischen Kriegs

Der Genfer Kurator Mohamed Almusibli
Almusibli ist ein in Genf geborener und aufgewachsener Kurator und Mitgründer eines unabhängigen Offspaces namens Cherish. Courtesy of Yumna Al-Arashi

Die Terroranschläge der Hamas am 7. Oktober und die folgende israelische Offensive in Gaza haben die Kunstwelt gespalten. In der Schweiz verteidigt die Kunsthalle Basel ihren neu gewählten Direktor, der Briefe für einen Waffenstillstand unterzeichnet hat. Andere Künstler:innen unterstützen öffentlich Israels Recht zur Selbstverteidigung.

Kurz nachdem die Kunsthalle Basel, eines der ältesten Museen für Gegenwartskunst in der Schweiz, angekündigt hat, dass Mohamed Almusibli ab März ihr neuer Direktor wird, hat die Basler ZeitungExterner Link diese Entscheidung hinterfragt.

Sie brachte die Frage auf, ob es problematisch sei, dass Almusibli, ein Kurator aus Genf mit teilweise jemenitischen Wurzeln, zwei offene Briefe unterzeichnet hat, die mit den Palästinenser:innen sympathisieren.

Einer der Briefe, unterzeichnet von mehr als 4000 Künstler:innen weltweit, unter anderem Tilda Swinton und Regisseur Mike Leigh, wirft Regierungen vor, in Gaza Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu leisten und fordert ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe und einen sofortigen Waffenstillstand.

Der andere Brief, veröffentlicht vom einflussreichen Magazin ArtForum, ist 8000 Mal unterzeichnet worden. Dieser Brief fordert, dass Kulturinstitutionen ihr Schweigen zum Krieg beenden. Weiter drückt er Unterstützung für die «palästinensische Befreiung» aus.

Beide Briefe erwähnen das Massaker durch Hamas-Terroristen am 7. Oktober nicht, bei dem etwa 1200 Menschen gestorben sind. Der Brief von ArtForum wurde später darum ergänzt.

Schauspielerin Tilda Swinton
Die Schauspielerin Tilda Swinton gehört zu den prominentesten Künstler:innen, die einen offenen Brief von Artists for Palestine UK unterzeichnet haben. Invision

In Basel nannte Joël Thüring, ein kantonaler Parlamentarier der rechten SVP, Almusibli auf X (ehemals Twitter) einen «Israel-Hasser» und verlangte, dass die Kantonsregierung ihre Unterstützung der Kunsthalle einstellt, wenn die Kunsthalle die Ernennung des neuen Direktors nicht rückgängig macht.

Die Kontroverse, die letzte Woche startete, zeigt die Lager in der Kunstwelt auf. Einige Künstler:innen und Institutionen drücken ihre Unterstützung für die Palästinenser:innen aus, während andere Israels Recht auf Selbstverteidigung unterstützen.

Angst, seine Meinung zu sagen

Offene Briefe von Schweizer Künstler:innen zeigen diese Spannungen. Einer, von französischsprachigen Künstler:innen gestartet, drückt die Trauer und Verzweiflung im Hinblick auf die Attacken am 7. Oktober aus, aber erklärt, dass das Grauen dieser Attacke «in keiner Weise dieses neue Massaker» rechtfertigt – damit gemeint ist die Bombardierung Gazas durch die israelische Armee. Bereits sind über 13’000 Menschen in Gaza gestorben, gemäss der dortigen Hamas-Behörden.

Der Brief fordert weiter einen sofortigen Waffenstillstand und von der Schweizer Regierung «alle militärische Kooperation mit dem Staat Israel zu beenden» und im Nahen Osten «auf der Einhaltung der Genfer Konventionen zu bestehen». Die Schweizer Regierung forderte seit Kriegsbeginn mehrfach von «allen Parteien», dass sie internationales humanitäres Recht einhalten.

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Andere Künstler:innen haben eine offen pro-israelische Haltung eingenommen. Autor:innen in der Schweiz, Deutschland und Österreich haben einen Brief in Solidarität mit Israel und jüdischen Menschen unterzeichnet und Antisemitismus verurteilt.

«Wir sehen das Leiden der palästinensischen Zivilist:innen und fordern humanitäre Hilfe, aber wir stellen uns dagegen, das Leiden der Menschen im Gazastreifen zu nutzen, um Hamas-Terror zu relativieren und Israels Selbstverteidigung zu delegitimieren», heisst es in diesem Brief.

Seit dem 7. Oktober herrsche Schweigen in der literarischen Welt, finden die Unterzeichnenden: Sind die Schriftsteller:innen zu ängstlich, um einen Fehler zu machen oder angreifbar zu werden, weil sie sich positionieren, fragen sie.

Einige Institutionen weichen jeder Situation aus, die eine Gegenreaktion auslösen könnte. Die deutsche Literaturorganisation LitProm beschloss kurz nach den Anschlägen vom 7. Oktober, die Verleihung eines Preises an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli auf der Frankfurter Buchmesse zu verschieben – ein Schritt, der in einem von mehr als 1500 Schriftsteller:innen unterzeichneten Brief kritisiert wurde.

Unterdessen wurden die Ausstellungen des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei in Paris, London und New York abgesagt. Dies geschah, nachdem Ai Wei Wei in den sozialen Medien von einem «jüdischen Einfluss» auf die Entscheidungen der USA zur Unterstützung Israels schrieb.

Entlassungen und Rücktritte

In der Schweiz sollte der türkische Pianist Fazil Say Ende Oktober im Rahmen von Konzerten auftreten, die von der grossen Supermarktkette Migros organisiert wurden. Doch die Migros, die viele Kulturveranstaltungen in der Schweiz finanziert, zog ihre Einladung zurück. Auslöser war ein von Say weiterverbreiteter Beitrag des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf X, in welchem dieser Israel für einen Raketenangriff auf das Al-Ahli-Krankenhaus im Gazastreifen verantwortlich machte.

Die Migros sagte dem öffentlich-rechtlichen SRF, dass die Position von Say «unhaltbar» sei. Say seinerseits sagte, er glaube, dass die Meinungsfreiheit in Europa etwas bedeute und dass alle seine öffentlichen Äusserungen im Geiste des Friedens erfolgt seien.

Türkischer Pianist Fazil Say
Dem Pianisten Fazil Say wurde die Einladung, in der Schweiz zu spielen, entzogen, nachdem er einen Beitrag des türkischen Präsidenten Erdogan geteilt hat. Keystone / Angelika Warmuth

Einige Kulturschaffende verloren ihren Job, weil sie sich positioniert haben. Auch David Velasco, der Chefredaktor von ArtForum, ist entlassen worden. Der Verlag erklärte, dass die Veröffentlichung des offenen Briefes «nicht mit dem redaktionellen Prozess [des Magazins] vereinbar» gewesen sei. Andere haben sich entschlossen, von sich aus zu gehen, etwa die Kommissionsmitglieder der renommierten Documenta in Deutschland, der weltweit bedeutendsten Kunstausstellung im Fünf-Jahres-Turnus. Einer von ihnen, der Kunstkritiker Ranjit Hoskoté, hatte sich kurz davor pro-palästinensisch geäussert.

«Es ist mir klar, dass in dieser giftigen Atmosphäre kein Platz für eine nuancierte Diskussion ist», erklärte er nach seinem Rücktritt. «Man verlangt von mir, eine pauschale und unhaltbare Definition von Antisemitismus zu akzeptieren, die das jüdische Volk mit dem israelischen Staat in einen Topf wirft und dementsprechend jede Sympathiebekundung für das palästinensische Volk als Unterstützung für die Hamas missversteht.»

In Basel bleibt die Kunsthalle standhaft und weigert sich, die Ernennung ihres neuen Direktors zurückzunehmen. Der Basler Kunstverein, der das Museum verwaltet, zeigte sich in einer Stellungnahme schockiert über die teilweise «offen rassistischen und hasserfüllten Reaktionen» und erklärte: «Wir hoffen, dass die Basler Öffentlichkeit Mohamed Almusibli die Chance gibt, sein grosses Talent als Kurator zu beweisen.»

Eine Petition zur Unterstützung der Kunsthalle und ihres künftigen Direktors hat fast 2500 Unterschriften von Mitgliedern der Kunstszene erhalten.

Almusibli seinerseits sagte, er lehne Antisemitismus in all seinen Formen ab, berichtete die Zeitung BZ BaselExterner Link. Er habe die Briefe aus «tiefer Besorgnis über das aktuelle Leiden im Nahen Osten auf allen Seiten» unterzeichnet.

Editiert von Virginie Mangin

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