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Die Musik der Vielfalt

Montreux - auch für Schweizer Jazz-Musiker zuweilen ein Sprungbrett. RDB

Die Schweizer Kultur-Szene ist dynamisch und leistungsfähig. Jazz und improvisierte Musik sind dabei keine Ausnahmen. Verschiedene, im Alpenland geborene und ausgebildete Musiker, sind international bekannt.

Noch vor wenigen Jahren trat er in kleinen Provinzclubs auf, wo Musiker nach der Vorstellung den Hut herumreichten. Heute gibt Colin Vallon Konzerte in renommierten Sälen in Paris oder Berlin.

Der 1980 in Lausanne geborene und an der Swiss Jazz School von Bern ausgebildete Pianist und Komponist begleitete während Jahren andere Musiker, nahm seine ersten CDs auf, um 2011 das Mekka der Jazzmusiker zu erreichen: das legendäre deutsche Label ECM. Vallon ist jedoch nicht der einzige Schweizer, der es auf die kompetitive internationale Jazz-Bühne geschafft hat.

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Der Wegbereiter

Höchstwahrscheinlich war Erik Truffaz einer der ersten der jüngeren Generation, der über die Schweizer Grenzen hinaus bekannt wurde. Diesem 1960 in Chêne-Bourgeries in der Nähe Genfs geborenen Trompeter ist es gelungen, sein eigenartiges Universum aus Jazz, elektronischen Rhythmen und Ethnomusik in die halbe Welt hinauszutragen.

Obwohl er vor allem in Frankreich bekannt ist, hat er enge Beziehungen zur Heimat. Nicht selten hört man ihn am Jazz Festival von Montreux  oder am Festi Neuch. Seine neuste CD, El Tiempo de la Revolucion, hat er zusammen mit der Basler Sängerin Ana Aaron aufgenommen.

Die Popularität unter Musikliebhabern verdankt Erik Truffaz seinem Eklektizismus und seinem Talent, Tendenzen zu übernehmen, ohne sich in Purismen zu verschliessen. Für ihn ist es kein Problem, mit einem DJ oder Rapper zusammen zu spielen, mit Musikern aus Indien oder dem Maghreb aufzutreten, dem besten amerikanischen Jazz zu huldigen oder mit dem einzigartigen Sound seiner digitalisierten Trompete zu arbeiten.

Die Geschichte des Schweizer Jazz geht auf die 20er Jahre zurück, als die ersten Aufnahmen und Tanzorchester entstanden. Angesichts der starren sozialen Codes des Bürgertums bedeutete der Jazz für die damalige Jugend eine Art der Rebellion und ein Hauch von Freiheit.

1966 gründet der kürzlich verstorbene Claude Nobs das Montreux Jazz Festival und pflegt internationale Kontakte auf höchster Ebene. Unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union für Rundfunk (UER) in Genf wird der europäische Wettbewerb für Jazz-Bands ins Leben gerufen.

1974 wird in Genf die Vereinigung zur Förderung der improvisierten Musik (AMR) gegründet und erhält öffentliche finanzielle Unterstützung.

Zu erwähnen ist auch das seit 1975 stattfindende Jazz-Festival von Willisau (Luzern), das sich in der internationalen Jazz-Szene profilieren konnte. Es ist ein unverzichtbares Treffen für Liebhaber des zeitgenössischen und Free Jazz. Für den Pianisten Keith Jarrett ist Willisau «einer der besten Orte der Welt, um Musik zu machen.

Seit 1976 vergibt die Swiss Jazz School in Bern akademische Diplome an Jazz-Musiker, die denjenigen der Konservatorien für klassische Musik gleichwertig sind.

Der Klang des Samurai

Es ist Montag und wir befinden uns in Zürich West, dem neuen Modequartier, das die unruhigste Zürcher Jugend anlockt. Im Club Exil spielt Nik Bärtsch mit seiner Gruppe Ronin. Der Pianist und Komponist tritt in einem Kimono ähnlichen schwarzen Gewand auf. Das ist nicht Zufall. Im Japan des Mittelalters nannte man die Samurais ohne Lehnsherrn Ronin.

Der 1971 in Zürich geborene Bärtsch lebte als Liebhaber der japanischen Kultur ein Jahr im Land der aufsteigenden Sonne, um seinen Musikstil zu perfektionieren, den er als Zen-Funk definiert. Es ist eine hypnotische und repetitive Musik mit obsessiven Rhythmen und unerwarteten Improvisationen, die ein junges Publikum anzieht und in Skandinavien, Südafrika und den USA Furore macht.

Laut Bärtsch gründet seine Musik auf den «Prinzipien der Wiederholung und Reduktion», was seine Arbeit dem Minimalismus annähert. Doch dank der Improvisationen kann sie auch dem Jazz zugeordnet werden. Der Pianist streitet die Schweizer Wurzeln seiner Musik ab und bezeichnet sie als «auf der Tradition des urbanen Raums und dem Sound der Stadt begründet».

Jazz von Einzelpersonen komponiert

«Es gibt keine schweizerische Art, Musik zu verstehen. Diese Künstler sind unter sich sehr verschieden. Jazz in der Schweiz ist wie unser Land: zersplittert und zerstreut», sagt der Musik-Kritiker der Zeitung Le Temps, Arnaud Robert. «Die Schweiz bildet Einzelpersonen aus und gründet keine Schulen oder Bewegungen. Dasselbe lässt sich von den bildenden Künsten sagen.»

Der aus einer Musikerfamilie stammende Colin Vallon entwickelt gegenwärtig zusammen mit der Sängerin Elina Duni, einer jungen in Bern ausgebildeten Albanerin, eine faszinierende Arbeit. Mit der Schallplatte Matanë Malit bearbeiten sie mit einem Stil zwischen Jazz und zeitgenössischer Musik Lieder der Balkan-Folklore.

Vallon ist zusammen mit Nik Bärtsch einer der bevorzugten Künstler für von Pro Helvetia unterstützte Auslandauftritte und hat bereits mehrere Solo-CDs aufgenommen. 2004 kam die erste CD mit dem Titel Les Ombres heraus und die CD Ruga machte ihn international bekannt. Vallon vertritt einen Jazz, der eher eine Erforschung von Räumen und intimistische Reflexion, als exhibitionistische Virtuosität vermittelt.

«Die beiden Pianisten Vallon und Bärtsch sind zwar Schweizer und arbeiten beide mit ECM, doch ihre Wege und ihre Ausbildungen sind vollkommen anders. Sie kommen aus verschiedenen Schulen, haben aber etwas gemeinsam: beide beherrschen die Sprachen des Jazz und der zeitgenössischen Musik», bemerkt Arnaud Robert.

Teddy Stauffer (1909 -1991).Bandleader und in Deutschland als König des Swings bekannt.

George Gruntz (1932 – 2013). Jazz-Pianist, Komponist und Bandleader.

Franco Ambrosetti (*1941). Jazz-Trompeter und Komponist.

Pierre Favre (*1937). Schlagzeuger und Perkussionist.

Irène Schweizer (*1941). Jazz-Pianistin und spezialisiert auf freie Improvisation.

Musiker ohne Grenzen

Zwei weitere Musiker prägen die Gegenwart: die Sängerin und Akkordeonspielerin Erika Stucky und der Pianist Thierry Lang. Die in San Francisco geborene Stucky mit Schweizer Eltern ist eine schwer einzuordnende Sängerin. Sie tritt in Begleitung von Jazz-Musikern auf und ihr Stil steht irgendwo zwischen dem Jodel und amerikanischer Musik.

Der Veteran Thierry Lang (*1956, Romont) ist einer der wenigen lokalen Musiker, der für sein eigenes Projekt auf die traditionelle Schweizer Musik setzt. Der Professor am Konservatorium von Montreux hat für das amerikanische Label Blue Note aufgenommen und wurde 2008 zum Ritter der Kunst und Literatur der französischen Republik ernannt.

«Um auf die Anfangsfrage zurückzukommen, was denn an den Musikern des Landes überhaupt schweizerisch ist, glaube ich, dass das einzig Gemeinsame ist, dass sie alle Zugang zu einer ausgezeichneten Musikausbildung hatten. Zusammen mit der unserem Land eigenen kulturellen Durchmischung brachte dies eine Künstlergeneration mit internationaler Anerkennung hervor,» meint Arnaud Robert.

«In der Tat ist es den Schweizer Jazz-Musikern am besten gelungen, die schwierigsten Grenzen zu durchbrechen und das sind nicht die äusseren, sondern die inneren. Musiker aus dem Tessin, der deutschen und der welschen Schweiz arbeiten problemlos zusammen.»

Erik Truffaz

1960 in Genf in einer Musikerfamilie geboren, entdeckt er mit 8 Jahren die Trompete. Unter dem Einfluss von Miles Davis elektrifiziert er seine Trompete und beginnt Klangterritorien vom Rap über indische Musik bis zu elektronischer Musik zu erforschen.

Corin Vallon

1980 in Lausanne geboren, verbringt er seine Jugend  in Yverdon-Les-Bains. Er studiert an der der Swiss Jazz School in Bern, wo er heute Professor ist. 2009 gewinnt er den Preis der Stiftung Schweiz und ist bereits auf allen Kontinenten aufgetreten.

Nik Bärtsch

 

1971 in Zürich geboren, beginnt er mit 8 Jahren sein Musikstudium. Zusätzlich studierte er Linguistik, Philosophie und Musikwissenschaft. Bevor er 2001 die Gruppe Ronin gründete, lebte er ein Jahr in Japan. Er ist der Gründer und Besitzer des Clubs EXIL in Zürich.

Elina Duni

 

1981 in Tirana (Albanien) geboren, kommt sie mit 10 Jahren in die Schweiz. Sie studierte klassische Musik und Jazz. Nach ihrer ersten CD 2008 hat sie zahlreiche Preise gewonnen. Seit 2012 hat sie einen Vertrag mit EMC.

Thierry Lang

1956 in Romont (Freiburg) geboren, begeistert er sich mit 15 für Jazz und ist einer der wichtigsten Musiker der Schweizer Jazz-Szene. Er ist der erste Schweizer, der von Blue Note unter Vertrag genommen wurde.

Erika Stucki

1962 in San Francisco (USA) geboren, studiert sie in Paris und San Francisco Jazz und Filmwissenschaft. 1985 gründet sie ihre erste Band.

(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

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