Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Die (Radio)Stimme der Schweiz ist verstummt

Eine Redaktorin und ein Redaktor im Radiostudio von swissinfo/Schweizer Radio International (SRI) in Bern. Keystone

Eine fast 70-jährige Geschichte ist zu Ende: Schweizer Radio International (SRI) stellte am Samstag um Mitternacht seine Radiosendungen über Kurzwelle und Satellit ein.

Künftig informiert swissinfo/SRI auf seiner multimedialen, neunsprachigen Internet-Plattform www.swissinfo.org.

Im September 1935 war die erste Sendung des Schweizerischen Kurzwellendienstes (KWD) – wie Schweizer Radio International damals hiess – über den Sender des Völkerbundes in Prangins gegangen.

«Unser Ziel muss die Erfassung der ganzen Welt mit mindestens einem regelmässigen Wochenprogramm bilden (…) Es gilt nicht länger zu zögern, der Schweiz einen guten Platz im Kurzwellenbande zu sichern.»

So stand es geschrieben im Jahresbericht der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft von 1935 – so hiess damals die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG).

Vorerst richtete sich das Radioprogramm an die in Europa lebende Auslandschweizer-Gemeinde.

Mit Schwarzenburg nach Nord- und Südamerika

Am Vorabend der Eröffnung der Landesausstellung 1939 in Zürich nahm der Kurzwellensender Schwarzenburg den Betrieb mit täglich einer KWD-Sendung nach Nord- und Südamerika auf. Aber nur zwei Monate später wurden die Sendeanlagen von Schwarzenburg durch einen Grossbrand zerstört.

Ein Jahr später wurde der Betrieb wieder aufgenommen, erst mit Sendungen für Europa, 1941 dann in den drei Landessprachen, Englisch, Spanisch und Portugiesisch sowie auch wieder für Nord- und Südamerika.

Glaubwürdige Stimme im Zweiten Weltkrieg

Während dem Zweiten Weltkrieg entwickelte der KWD seine langdauernde Identität als neutrale und glaubwürdige Stimme in Zeiten internationaler Konflikte. Mehr als in jeder anderen historischen Periode war die Schweiz damals von Ländern isoliert, welche die gleichen Ideale und Rechtsauffassungen teilten.

«Nur die Kurzwellen-Sendungen erlauben es, in der ganzen Welt die Botschaft zu verbreiten, dass im Herzen Europas noch eine demokratische Insel existiert», schrieb Paul Borsinger, der erste KWD-Direktor, während des Zweiten Weltkriegs.

«Die 30er Jahre waren in Europa eine unruhige Zeit. Im Zweiten Weltkrieg sendeten wir als die neutrale Stimme der Schweiz», sagt der auf Ende Jahr zurücktretende Direktor von swissinfo/SRI, Nicolas Lombard.

Die Sendungen der beiden hervorragenden Journalisten Jean-Rodolphe von Salis und René Payot seien während dieser tragischen Epoche zu den einzigen «freien Stimmen» in Kontinentaleuropa geworden. «Im Vergleich zu unseren kleinen operativen Mitteln genossen wir eine recht grosse Wertschätzung», so Lombard.

Unparteiische Berichterstattung

1946 wurde das Sprachangebot durch Esperanto erweitert. 1954 wurde die Doppelaufgabe des KW-Dienstes in der neuen Konzession für die SRG bestätigt: «Die Kurzwellen-Sendungen sollen die Verbindung zwischen Auslandschweizern und der Heimat enger gestalten und die Geltung der Schweiz im Ausland fördern.»

Die neutrale Radio-Stimme der Schweiz hielt sich auch während des Kalten Krieges aufrecht. «Wir versuchten, aus der offenen, freien in die geschlossenen Gesellschaften hinein zu informieren. Es war eine Art Pionierzeit. Das war faszinierend. Dem Kurzwellendienst aus der neutralen Schweiz kam damals eine fast überdimensionale Bedeutung zu», sagt Nicolas Lombard.

Das Ende des Kalten Krieges

Am 1. August 1964 ging das arabische Programm erstmals über den Äther, und 1971 wurde das Sprachangebot durch Romantsch auf neun erweitert. 1978 wurde der KWD in Schweizer Radio International (SRI) umbenannt.

Nach dem Fall der Berliner Mauer Ende der 80-er Jahre und dem Abbau der Spannungen zwischen Ost und West konzentrierten sich die Medien auf die nationale Berichterstattung. Die internationalen Sender gerieten in eine Identitätskrise.

Plötzlich stand SRI vor einer neuen Herausforderung: «Jetzt wurde plötzlich eine unserer Hauptaufgaben überflüssig. Wir mussten uns fragen, was wir nun machen», sagt Lombard.

Von der Kurzwelle zum Internet

«Wir erkannten, dass es in der ‹Nach-Kalten-Kriegszeit› nicht mehr möglich war, auf internationaler Ebene gegenüber anderen Kurzwellen-Sendern, wie zum Beispiel der BBC, konkurrenzfähig zu bleiben», erklärt Lombard.

«Deshalb begannen wir uns auf das Konzept der ‹Swissness› zu konzentrieren. Wir wussten, dass wir im Bereich der weltweiten Information über die Schweiz Marktleader sein können.»

1998 zeichnete sich das Internet als neue Richtung ab. Im gleichen Jahr wurde der KW-Sender Schwarzenburg abgeschaltet. Ein Jahr später, am 24. Dezember 1999, wurde die strategische Neuausrichtung von SRI hin zur Multimedia-Plattform vom Bundesrat genehmigt – «ein richtiges Weihnachtsgeschenk», so Lombard.

swissinfo: Bereicherung des Angebots

30. Oktober 2004: Die Europa-Versorgung über Satellit und die restlichen Sendungen für die Versorgung von Nahost/Afrika und Südamerika werden eingestellt. Montsinéry, Jülich und Sottens strahlten mit gleichem Datum die letzten Radio-Sendungen für SRI aus.

Fazit von Nicolas Lombard zum Verstummen der Radio-Stimme der Schweiz: «Das Radio hört zu früh auf. Wir hätten niemals so schnell ausscheiden dürfen. Selbstverständlich kommt bei mir grosse Wehmut auf. Natürlich ist es ein schlechtes Gefühl.»

Und Lombard weiter: «Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, was wir heute bieten. Das ist keine Verarmung, sondern eher eine Bereicherung des Angebots. Das tröstet mich.»

Heute präsentiert www.swissinfo.org eine Website in neun Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Arabisch, Japanisch und Chinesisch.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

1935: Start des Schweizerischen Kurzwellendienstes (KWD)
1939: Einweihung des ersten eigenen KW-Senders der SRG
1978: Umbenennung des KWD in Schweizer Radio International (SRI)
30.10.2004: Einstellung des KW-Senders Sottens; Ende der Kurzwellen-Ära

Mit seinem Kurzwellenprogramm in acht Sprachen erreichte Schweizer Radio International (SRI) während des Kalten Krieges weltweit schätzungsweise zwischen 5 und 10 Millionen Zuhörerinnen und Zuhörer.

In Folge der Krise des Kurzwellenradios entschied SRI Ende der 90-er Jahre, auf die Ausstrahlung von Radioprogrammen weitgehend zu verzichten. Die letzte Sendung in englischer Sprache wurde am 12.April 2004 ausgestrahlt.

Am 30. Oktober 2004 wird das Kurzwellenradio vollständig eingestellt. SRI konzentriert sich künftig ganz auf die multimediale, neunsprachige Internet-Plattform www.swissinfo.org.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft