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Die Renaissance des Monte Verità

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Der legendäre Hügel Monte Verità ob Ascona, an dem vor 100 Jahren die ersten Aussteiger lebten und für Aufsehen sorgten, ist zu neuem Leben erwacht.

Mit viel Kultur und kulinarischem Genuss wird versucht, den utopischen Geist von einst herbeizurufen.

Ein aphrodisisches Nachtessen nach Rezepten von Giacomo Casanova. Ein italienisches Harfenorchester mit keltischen Melodien. Ein Film über Joseph Beuys› Installationen. Oder doch lieber ein indisches Buffet mit anschliessenden Mandala-Klängen?

Auf dem Monte Verità hat man sich im Jahr 2004 mächtig ins Zeug gelegt, um das Publikum anzulocken. Der ausgiebige Veranstaltungsreigen ist von der zuständigen Monte-Verità-Stiftung organisiert worden, um den traditionsreichen Hügel als Kulturzentrum neu zu lancieren.

Seit dem Umbau des Komplexes von 1989 war der Monte Verità praktisch nur als wissenschaftliches Seminarzentrum der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) genutzt worden.

Seinen Weltruhm erlangte der Monte Verità durch Aussteiger und Künstler, die dort in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebten oder auf Besuch weilten. Die ersten Lebenskünstler landeten im Jahr 1900 in Ascona – damals ein mausarmes Fischerdorf.

Gemüse und freie Liebe

Eine kleine Gruppe um den belgischen Industriellensohn Henry Oedenkoven und seine Lebenspartnerin, die deutsche Pianistin und Feministin Ida Hofmann, gründete eine lebensreformerische Kolonie.

Sie suchten den dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Nudismus und freie Liebe waren ebenso wie die vegetarische Ernährung Merkmale dieser Kolonie.

Bis 1920 lebten die Gründer auf dem Hügel – dann wanderten sie nach Brasilien aus. Ihr naturnahes Leben in Licht und Luft faszinierte vor allem Nordeuropäer und bildete den Ausgangspunkt für zahlreiche soziale und künstlerische Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Denker und Künstler gingen als Gäste ein und aus.

Die Schriftsteller Hermann Hesse und Erich Mühsam weilten dort, genauso wie der Maler Filippo Franzoni oder der Arzt und Anarchist Raphael Friedeberg. Nach der Übernahme des Monte Verità durch eine Bohèmegruppe 1923 wurde ein reiner Hotelbetrieb aufgezogen.

Von der Kunst zur Wissenschaft

Die Künstlergruppe «Der grosse Bär» mit Marianne von Werefkin und Otto Niemeyer fand sich dort zusammen. Die Einheimischen von Ascona beobachteten das Treiben auf dem Hügel stets mit Erstaunen. Und bis heute wird der Monte Verità von den italienischsprachigen Tessinern als etwas Fremdes, sprich Deutsches, erlebt.

1926 kaufte der deutsche Bankier und Kunstsammler Eduard von der Heydt das Gelände und liess von Emil Fahrenkamp ein neues Hotel im Bauhaus-Stil errichten. Nach seinem Tod 1964 ging der Besitz an den Kanton Tessin über.

Doch der Kanton tat sich stets schwer mit seinem Erbe. 1989 fand er eine Vereinbarung mit der ETH Zürich, die den Ort seither als Tagungszentrum für hochwissenschaftliche Seminare des Polytechnikums Centro Stefano Franscini nutzt. Für die einheimische Bevölkerung blieb der Ort jedoch weitgehend tabu.

«Relaunch» des Hügels

Erst vor zwei Jahren kam der Wille auf, den Monte Verità als Kulturzentrum neu zu beleben. Die Stiftung Monte Verità engagierte Claudio Rossetti, der bis anhin im Verkehrshaus von Luzern gearbeitet hatte, als Direktor.

«Es ging darum, diesen Ort nach aussen zu öffnen, die Auslastung und das gastronomische Angebot zu verbessern», beschreibt Rossetti sein Mandat.

Dabei will sich der neue Monte Verità nicht auf die Beschwörung der Vergangenheit beschränken. «Wir wollen mit eigenen Initiativen kulturelle Impulse geben», sagt Rossetti. Beispielsweise durch Musikgruppen, die in bisher unbekannten Kombinationen auftreten.

Die vielen Veranstaltungen von diesem Jahr sind bereits Ausdruck der neuen Strategie. Aber auch der Umbau des ehemaligen Schwimmbads in eine Tribüne unter freiem Himmel oder die Anlage eines grossen biologischen Kräutergartens, der vom Restaurant genutzt wird. Rossetti ist mit dem bisherigen Resultat zufrieden: «Wir haben sehr viele einheimisches Publikum gewonnen.»

Szeemann enttäuscht

Zukunftsmusik ist vorläufig noch die Renovation der Casa Anatta, dem ehemaligen Wohnhaus Oedenkovens, in dem eine Ausstellung über die Geschichte des Monte Verità untergebracht ist. Die nötigen 2,5 Millionen Franken sind noch nicht aufgetrieben.

Darüber ärgert sich der bekannte Ausstellungsmacher Harald Szeemann, dem diese Sammlung zu verdanken ist. Ihm gehören 90 Prozent der Exponate.

1978 hatte er mit der Ausstellung «Die Brüste der Wahrheit» die geistigen Hintergründe des Monte Verità einer breiten Öffentlichkeit in Ascona, Zürich, Berlin, Wien und München bekannt gemacht.

«Wenn sich kein Sponsor für die Renovation des Museums findet, ziehe ich alles ab», droht Szeemann, der sich nicht mehr viel länger vertrösten lassen will. Seit Jahren soll die Casa Anatta renoviert werden, nun wird es kaum vor 2006 sein – wenn überhaupt.

Trotz der neuen, lobenswerten Initiativen auf dem Monte Verità hat der Kanton Tessin den testamentarischen Willen des Erblassers von der Heydt bis heute missachtet.

Der deutsche Mäzen hatte verlangt, dass auf dem Monte Verità ein Kunstzentrum entstehen müsse. «Erst wenn ein PAC, Padiglione Arte Contemporanea, auf dem Hügel steht, ist das Testament erfüllt», sagt Szeemann.

swissinfo, Gerhard Lob, Ascona

1900: Aussteiger aus Belgien und Deutschland gründen auf dem Monte Verità eine «vegetabilische Cooperative»
1926: Übernahme des Monte Verità durch Baron Eduard von der Heydt
1964: Monte Verità geht an den Kanton Tessin über
1989: Centro Stefano Franscini der ETH führt erste Seminare durch
2000: 100-Jahr-Jubiläumskongress Monte Verità
Grösse des Parks: 70’000 Quadratmeter
Jahresbudget Stiftung: 2,5 Mio. Franken; Angestellte: 25
Stiftungspräsident: Staatsrat Gabriele Gendotti (FDP)

Der Monte Verità oberhalb von Ascona war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Fluchtort für Aussteiger und später die Geburtsstätte für viele künstlerische und soziale Bewegungen. Er wurde vor allem von Deutschsprachigen frequentiert.

Der Kanton Tessin erbte den Monte Verità 1964 und machte daraus gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich ein wissenschaftliches Seminarzentrum.

Die Stiftung Monte Verità hat sich entschieden, die Idee eines «Hügels der Utopien» zu erneuern, das Zentrum als Ort der Kultur, Reflexion und Gastronomie zu positionieren und damit auch das italienischsprachige, einheimische Publikum anzuziehen.

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