Die Schweiz als ein grosses Open-air-Studio
Obwohl viele Holly- und Bollywood-Szenen in der Schweiz gedreht werden, hat es das Land bisher versäumt, sich als Drehort zu vermarkten. Urban Frye, der neue Chef von "Film Location Switzerland", will ausländische Filmproduzenten gezielt anlocken.
Ein Kinoschlager, der ein Land in einem positiven Licht porträtiert, kann das Image weit mehr prägen, als irgendeine Werbekampagne. Dessen ist sich die Schweizer Tourismus Industrie sehr wohl bewusst. James Bond hat dazu während Jahrzehnten beigetragen – ob als Skiakrobat auf dem Schilthorn oder als Bungee-Jumper an der Staumauer im Verzascatal.
Noch wirkungsvoller für den Schweizer Tourismus ist aber Bollywood – die indische Hindi-Filmindustrie. «Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen den Filmen und der Anzahl Touristen, die in die Schweiz reisen», sagt Federico Sommaruga von Schweiz Tourismus gegenüber swissinfo.ch.
«Vor zehn-zwanzig Jahren gingen viele Inder zwei-drei Mal pro Woche ins Kino. Und wenn ihnen der Liebesfilm gefallen hatte und sie feststellten, dass die Aufnahmen ihrer Lieblingsschauspieler in der Schweiz gemacht worden waren, dann hatten sie das Bedürfnis, diesen Ort selber zu besuchen. Für uns war das ausgezeichnete Werbung.»
Laut Schweiz Tourismus stieg die Zahl der jährlichen Übernachtungen indischer Touristen in der Schweiz zwischen 1993 und 2010 von 71’000 auf 393’000. Inder geben durchschnittlich 300 Franken pro Tag aus und liegen damit deutlich über den Durchschnittstouristen, die 174 Franken ausgeben.
Anden-Drama aus der Jungfrau-Region
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden mehr als 200 Bollywood-Filme in der Schweiz gedreht. Saftige Alpweiden sind ein beliebter Ort, um der Sari tragenden Freundin die unsterbliche Liebe zu versprechen.
Und im Zentrum von Bern gehen nicht selten eindrückliche indische Tanzchoreografien über die Bühne, die nur unterbrochen werden, um ein Tram der städtischen Verkehrsbetriebe passieren zu lassen.
«Die Schweiz ist zwar als teures Land bekannt, hat aber den Vorteil, dass der gesamte öffentliche Raum meistens gratis zur Verfügung steht. Anders als New York, Mumbai oder sonst wo, stellen die Städte in der Schweiz für Aufnahmen nichts in Rechnung», sagt Produzent Heinz Dill, der für Steven Spielbergs «Wir waren wie Brüder» (Band of Brothers) arbeitete, als für die Serie in der Schweiz gedreht wurde.
«Auf einem Schweizer Flughafen zu filmen, ist leichter als auf jedem andern. Und Privatbahnen sind sehr filmfreundlich.» Für den französischen Thriller «Agents secrets» mit Monica Bellucci und Vincen Cassel in den Hauptrollen wurden die meisten Stunts und Szenen einer Auto-Verfolgungsjagd in Genf und Lausanne gedreht, wo das Filmen auf der Strasse und auf Autobahnen viel einfacher möglich ist als in Frankreich.
Viele Szenen von «Sturz ins Leere» (Touching the Void), ein preisgekröntes Dokumentarfilm-Drama verunglückter britischer Bergsteiger in den peruanischen Anden, wurden in Tat und Wahrheit in der Jungfrau-Region gedreht, weil die Berner Alpen leichter zugänglich sind.
In der Filmproduktion seien die Vorbereitungen lebenswichtig, sagt Dill gegenüber swissinfo.ch, vor allem in den Städten. «In Genf muss man eine Erlaubnis von der Polizei drei Wochen im Voraus beantragen, für den Fall, dass man in einer Strasse drehen will, wo Bauarbeiten stattfinden. In Lausanne sind es vier Wochen – jede Stadt hat ihre eigenen Regeln.»
Nicht nur fantastische Landschaften
Um das Leben ausländischer Filmproduzenten leichter und attraktiver zu machen, will die in Zürich domizilierte Organisation «Film Location Switzerland» (Vgl. rechte Spalte) Dienstleistungen anbieten wie Verhandlungen mit Behörden, administrative Verfahren, Zutrittsbewilligungen, Verzeichnisse von Schauspielern, oder die Suche von Drehorten, Technikern und Produktionspartnern.
«Die Schweiz hat eine Menge Dinge anzubieten, von denen viele ausländische Produzenten nichts wissen – nicht nur fantastische Landschaften», sagt Urban Frye von Film Location Switzerland gegenüber swissinfo.ch. Firmen, die ihren Sitz ausserhalb der Schweiz haben, können zum Beispiel die Mehrwertsteuer zurückverlangen.
«Die Schweiz hat eine sehr gut organisierte Infrastruktur und wenn wir für jedes Filmprojekt massgeschneiderte Pakete anbieten können, werden wir uns auf dem internationalen Markt behaupten.»
Wilhelm Tell aus Rumänien
Film-Location-Büros gibt es zwar in Zürich, Genf, Luzern – und auch das Tessin hofft, in diesem Jahr eines zu eröffnen – aber die Schweiz ist eines von wenigen Ländern, die keine offizielle Filmkommission mit professioneller und langfristiger Struktur haben.
An den wichtigsten internationalen Filmfestivals wie Cannes, Berlin, Toronto und Mumbai ist die Schweiz auch nicht präsent, was den Eindruck erwecken könnte, dass sich das Land nicht für internationale Produktionen interessiert. Ein Beispiel: Die jüngste Hollywood-Produktion über Wilhelm Tell mit Brendan Fraser in der Hauptrolle wird in Rumänien gefilmt. «Das muss sich ändern», sagt Frye, und weist daraufhin, dass Filmequipen bis zu 30’000 Franken pro Tag ausgeben. Davon profitiere nicht zuletzt auch die lokale Wirtschaft.
Für Heinz Dill ist es entscheidend, kreativ zu sein: «Ich glaube, man muss in diesem Markt einen klugen Weg finden – wie jenen mit Schweiz Tourismus. Nicht unbedingt wegen des grossen Geldes, aber es kann für asiatische Produzenten sehr attraktiv sein, ein wenig Hilfe zu erhalten. Zum Beispiel: ‹Kommen Sie in der Schweiz drehen und Sie kriegen ein paar Hotelnächte oder Flugtickets gratis», sagt Dill.
Authentisches aus der Schweiz
Sommaruga ist überzeugt, dass die Schweiz alles hat, um auf internationalem Niveau Erfolg zu haben. «Wir haben echte Berge, echte Seilbahnen, echte Wiesen, echte Holzbrücken – sie wurden nicht in einem Studio kreiert.»
Und echte Fünfsterne Hotels wie das Dolder Grand in Zürich, das Drehort des Hollywood-Kassenschlagers «Das Mädchen mit dem Drachentattoo» (The Girl with the Dragon Tattoo) war.
Der Film hat das Zeugs am Sonntag ein paar Oskars zu holen, und das Hotel macht Kasse mit dem Angebot eines speziellen Pakets (Siehe link), das u.a. die Fahrt mit einer Limousine ins Kino und zurück, das Filmticket sowie eine Kopie des Buchs, auf dem der Film basiert, beinhaltet, plus zwei Nächte im Hotel für bis zu 10’440 Franken – alles inbegriffen, wenn man Glück hat.
Die 1999 gegründete «Film Location Switzerland» ist eine nationale Koordinationsstelle, die ausländisches Filmschaffen in der Schweiz fördern will.
Wegen fehlender Geldmittel hatte sich das Angebot aber im Wesentlichen auf eine Website und einen Auskunftsservice beschränkt.
An der Jahresversammlung 2011 wurde entschieden, dass die Organisation eine neue, professionelle Struktur brauche.
Während eines dreijährigen Pilotbetriebs stehen der Organisation 240’000 Franken zur Verfügung. Die Mittel stammen von Schweiz Tourismus, regionalen Tourismusbüros, Swiss Films, Präsenz Schweiz, und der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft SRG.
Das Geld ist vorgesehen für die örtliche Infrastruktur (Büro, Mitarbeiter), Werbematerial (Website, DVD), Präsenz an internationalen Filmfestivals und Unterstützung laufender Projekte.
Die Trilogie «Herr der Ringe» (Lord of the Rings) dürfte mitverantwortlich sein dafür, dass in Neuseeland zwischen 2000 und 2006 die Zahl der Gäste von 1,7 Mio auf 2,4 Mio anstieg. Laut Schätzungen haben die Filme dem Land eine Medienpräsenz im Wert von 25 Millionen Dollar beschert.
Das Tourismus Büro von Queensland bestätigt, dass der Film «Crocodile Dundee» Australien zu weltweiter Popularität verholfen habe. Die Besucherzahlen hätten sich innerhalb von drei Jahren verdoppelt.
Als der James-Bond-Film «The Man with the Golden Gun» 1974 in Phuket gedreht wurde, hatten die meisten Menschen im Westen noch nichts von dieser Insel in Thailand gehört. Heute ist es einer der grössten Tourismusorte in Asien.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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