Die Schweiz am Eurovision Song Contest: Highlights und Misserfolge
Wird dies "unser" Jahr? Wird Nemo den Eurovision Song Contest für die Schweiz gewinnen und damit eine 36-jährige Durststrecke beenden? In hoffnungsvoller Erwartung des Siegs werfen wir einen Blick auf einige Höhe- und Tiefpunkte der Schweiz bei diesem knallbunten Wettbewerb.
Ende Februar wurde Nemo (24) ausgewählt, um die Schweiz im schwedischen Malmö zu vertreten. Nemos Beitrag «The Code»Externer Link, eine angriffslustige Mischung aus Rap, Drum’n’Bass, Oper und Artcore, wurde gut aufgenommen.
Der Song behandelt die Reise, die mit Nemos Realisation begann, weder Mann noch Frau zu sein. Ob «The Code» Publikum und Jury in rund 140 Ländern im Halbfinale am 9. Mai und dann hoffentlich im Finale am 11. Mai überzeugen kann, bleibt abzuwarten, aber wir wünschen Nemo alles Gute.
Die britischen Buchmacher glaubenExterner Link, dass der Schweizer Beitrag eine valable Chance hat. Kroatien scheint dieses Jahr die Nation zu sein, die es voraussichtlich zu schlagen gilt.
Allerdings sollte man sich nicht zu grosse Hoffnungen machen. Ein Teil des Problems besteht darin, dass die Schweiz den ersten Eurovision Song Contest 1956 in Lugano gewonnen hat und es seitdem fast nur noch bergab ging. Lys Assia gewann damals mit «Refrain».
Sie vertrat die Schweiz auch 1957 und 1958. Sie reichte auch 2011 und 2012 (im Alter von 87 und 88 Jahren) Lieder ein, aber die Schweizer Auswahlkommission entschied sich für andere Musikschaffende. Ein Juror sagte, ihr Lied sei wie «Kreuzfahrtschiff-Futter», was einen bizarren Streit auslöste.
In den ersten zehn Jahren des Wettbewerbs nahm die Schweiz auch ausländische Sängerinnen und Sänger auf, sei es aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien. Oder aus anderen Ländern, wie 1963 Esther Ofarim aus Israel und zwei Jahre später Yovanna aus Griechenland.
Zunächst sah es so aus, als ob Ofarim mit ihrem Lied «T’en va pas» den Wettbewerb gewinnen würde, doch dann änderten die Norweger (angeblich) ihre Meinung und gaben Dänemark den Sieg, das die Schweiz um zwei Punkte überholte. Grr.
Dies hinderte Ofarim jedoch nicht daran, eine erfolgreiche Karriere hinzulegen und zusammen mit ihrem Ehemann Abi 1968 mit «Cinderella Rockefella» einen grossen internationalen Hit zu landen, der in Grossbritannien sogar Platz 1 erreichte.
Es folgten 20 Jahre Schweizer Sängerinnen und Sänger und 20 Jahre kein Erfolg. Obwohl es Daniela Simmons 1986 mit «Pas pour moi» in Bergen, Norwegen, immerhin auf den zweiten Platz schaffte.
Die Pepe Lienhard Band reiste 1977 nach London, um mit «Swiss Lady» einen flotten Schlager – eingängigen, gefühlvollen Pop – vorzutragen. Der Song erreichte einen respektablen sechsten Platz und war in der Schweiz ein grosser Hit. Nicht schlecht für ein Lied, das mit einem Alphornsolo beginnt.
Trotz des Titels war der Text auf Deutsch und entsprach damit einer Eurovisionsregel, die von 1977 bis 1999 galt: Ein Lied muss in einer der Landessprachen des Teilnehmerlandes gesungen werden.
Für die Schweiz bedeutete dies Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch. Der einzige rätoromanische Beitrag der Schweiz, «Viver senza tei»Externer Link von Furbaz, stammt aus dem Jahr 1989.
Und dann kam eine 20-jährige Kanadierin: 1988 sang Céline Dion «Ne partez pas sans moi» (Geht nicht ohne mich) live vor 600 Millionen Menschen an den TV-Geräten. Es sollte der zweite und letzte Schweizer Sieg am ESC sein.
Für die Jurys in 20 weiteren Ländern war es egal, ob es um das Flehen einer verschmähten Liebenden oder um einen verpassten Bus ging; sie erkannten Talent, wenn sie es hörten.
Mit Ausnahme der Jury des historischen Rivalen Österreich, die «Switzerland zero points» gab. Die Schweiz revanchierte sich übrigens, und Österreich wurde Letzter.
Auch das Nachbarland Frankreich war der Meinung, dass die Schweizer Leistung nur einen Punkt wert sei. Deutschland hingegen gab der Schweiz die Höchstnote von 12 Punkten, wie auch Portugal und Schweden. Geopolitik à la Eurovision.
Die Schweiz nahm 2001 nicht am Wettbewerb teil. Sie war aufgrund einer neuen Regelung wegen des letzten Platzes im Jahr 2000 abgestiegen und kehrte 2002 mit «Dans le jardin de mon âme» (Im Garten meiner Seele) zurück, geschrieben und vorgetragen von der Schlagersängerin Francine Jordi.
Auch der enttäuschende 22. Platz konnte Jordi das Dauerlächeln nicht verderben. Sie machte später eine erfolgreiche Karriere als Sängerin und Fernsehmoderatorin.
Für die Schweiz begann die dunkle Zeit des Eurovision Song Contest, in der sie sich nur selten für das 2004 eingeführte Finale qualifizieren konnte und meist irgendwo im unteren Mittelfeld landete.
Die Schweiz war so erpicht darauf, gut abzuschneiden, dass die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (die Muttergesellschaft von SWI swissinfo.ch) 2007 den in der Schweiz sehr bekannten Eurodance-Music-Star René Baumann, besser bekannt als DJ Bobo, als Vertreter auswählte.
«Es ist eine Schande, dass Schweizer Steuergelder aus den Fernsehgebühren für einen ausländischen Act verwendet werden, dagegen sollte sich das Volk wehren», sagte Bobo, angesprochen auf ausländische Künstlerinnen und Künstler, welche die Schweiz in vorigen Jahren vertreten hatten.
Die Hoffnungen waren gross – Bobo hatte weltweit bereits mehr als zehn Millionen Platten verkauft. Doch «Vampires Are Alive» floppte und schaffte es nicht einmal ins Finale. Selbst eine Kontroverse mit Christinnen und Christen, die sich über Satanismus beschwert hatten, sorgte nicht für genügend Interesse am Schweizer Song.
Die Überraschungen setzten sich 2013 fort, als eine Gruppe der Heilsarmee mit dem 95-jährigen Emil Ramsauer am Kontrabass als Schweizer Teilnehmerin ausgewählt wurde.
Es nahm bereits keinen guten Anfang, als ihnen im Vorfeld mitgeteilt wurde, dass sie nicht unter dem Namen «Heilsarmee» antreten und auch nicht ihre Uniform tragen dürften, weil das Reglement politische und religiöse Inhalte verbiete.
Also machten sie es wie damals PrinceExterner Link und nannten sich «Takasa» (The Artists Known As Salvation Army). Doch nichts half – auch sie konnten sich nicht für das Finale qualifizieren. Ramsauer, immer noch der älteste Eurovisionsteilnehmer aller Zeiten, starb 2021 im Alter von 103 Jahren.
Die Enttäuschungen setzten sich bis 2019 fort, als der ehemalige Maurer und heutige Popsänger Luca Hänni, der 2012 die TV-Sendung «Deutschland sucht den Superstar» gewonnen hatte, mit «She Got Me» den vierten Platz erreichte. Es war die erste Schweizer Top-Fünf-Platzierung seit 1993!
2020 wurde der ESC wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt. 2021 ging Gjon Muharremaj, bekannt als Gjon’s Tears, mit «Répondez-moi» (Antworte mir) an den Start und wurde sogar Dritter.
Nemo folgt nun auf Remo Forrer, dessen «Watergun», eine kraftvolle Ballade über Konflikte und Ohnmachtsgefühle, im vergangenen Jahr in Liverpool nicht vorne auf der Punktetafel landete – Platz 20.
2022 (der Schweizer Marius Baer landete auf Platz 17) hatte die Ukraine gewonnen, konnte die Veranstaltung aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht ausrichten. Es scheint, dass Forrer, ein guter Sänger, in einer Zeit, in der die Leute vielleicht ein bisschen Extravaganz und Eskapismus wollten, auf zu ernsthafte Politik gesetzt hatte. Wenn das immer noch so ist, könnte es für Nemo dieses Jahr gut ausgehen.
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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