Die Schweiz, das Land der Familienwappen
Die meisten Schweizer Familien führen ein Wappen. Dies mag im Ausland erstaunen, wo die Kunst der Heraldik oft dem Adel vorbehalten ist. Die Wappenbegeisterung der Schweizerinnen und Schweizer lässt sich mit Tradition, aber auch mit Modeerscheinungen erklären.
In der Schweiz besitzt die überwiegende Mehrheit der einheimischen Familien ein eigenes Familienwappen.
«Der Anteil der Familien mit Wappen ist je nach Kanton unterschiedlich, aber immer hoch. Im Kanton Freiburg haben 80 bis 90 Prozent der Familien ein eigenes Wappen», sagt Heribert Bielmann, Präsident des Freiburger Instituts für Heraldik und GenealogieExterner Link.
Vom Ritter zum einfachen Volk
Die Heraldik hat ihren Ursprung im Mittelalter, als Wappen «als Unterscheidungsmerkmale der durch ihre Rüstung unkenntlich gewordenen Ritter» nötig wurden, wie das Historische Lexikon der Schweiz festhältExterner Link.
Im Lauf der Jahrhunderte breitete sich der Brauch auf andere Gesellschaftsschichten aus und erreichte schliesslich auch das gemeine Volk.
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Lange Zeit diente der Besitz eines Wappens Personen oder Gemeinschaften dazu, ihre Bedeutung oder Eigenständigkeit zu demonstrieren.
Das galt vor allem für Patrizierfamilien, reiche Bauern- oder Bürgerfamilien oder Mitglieder von Zünften. «Mit dem Besitz eines Wappens konnte man zeigen, dass man jemand ist», so Bielmann.
«Im 20. Jahrhundert wurde die Heraldik zu einer Modeerscheinung, die weite Kreise zog. Noch Mitte des Jahrhunderts sah man zum Beispiel auf Flohmärkten Heraldiker, die ihre Dienste anboten», erzählt er.
«Und die Leute liessen sich gerne ein Wappen anfertigen, weil es in Mode war und sie es für wichtig hielten, um sich als Familie zu fühlen.»
Keine offizielle Bedeutung
Familienwappen können in Wappenbüchern registriert werden. Solche führen in den meisten Fällen die Archive der einzelnen Kantone, aber auch jene von Städten, Gemeinden oder Regionen.
Dieser Eintrag verleiht dem Wappen jedoch keinen offiziellen Status, da es in der Schweiz nicht von einer Behörde verliehen wird. «Sie sind ein persönliches Zeichen ohne offiziellen Wert», heisst es bei der Stadt Genf.
Da Rüstungen schon lange aus dem helvetischen Arsenal verschwunden sind, hat auch das Wappen keinen grossen praktischen Nutzen mehr.
Man könnte das Familienwappen auf einen Siegelring gravieren, um damit Briefe zu versiegeln. Aber auch diese Verwendung erscheint heute etwas antiquiert.
Lange Zeit hatten Wappen vor allem eine dekorative Funktion. Die Verwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: Haustür, Zinnkrug, Kirchenfenster, Visitenkarte, Briefpapier oder sogar Bügeleisen. Auch hier geht es um Mode.
Strenge Regeln und eine eigene Sprache
Für Familien ohne Wappen ist es nicht unmöglich, ein eigenes Wappen zu entwerfen.
Natürlich kann man es selbst gestalten, aber es ist immer ratsam, sich an eine Fachperson zu wenden. Denn die Heraldik hat ihre eigene Sprache und ihre eigenen Regeln.
Die wichtigste Regel betrifft die Überschneidung der Farben. Das Wappen wird auch in eine bestimmte Sprache übersetzt (Blasonierung).
Das Wappen des Verfassers dieses Artikels lautet beispielsweise: «In Silber ein Rotes-Sprungtuch, oben begleitet von einer blauen Taube und unten von einer Rote-Rose, rechts und links flankiert von einem schwarzen halben Flug».
Aber vielleicht sagt in diesem Fall eine Zeichnung mehr als tausend Worte:
Nachdem die Regeln festgelegt sind, muss das Thema bestimmt werden. Dann kann man nach symbolischen Elementen suchen, die den Namen, die Herkunft oder auch die Tätigkeit der Person veranschaulichen, für die das neue Wappen bestimmt ist.
Und manchmal muss man gar nicht lange suchen: «Die Farbe Rot für eine Familie Roth oder ein Arm mit einer Axt für eine Familie Bielmann», gibt Heraldiker Bielmann als Beispiele.
Eine Tradition in Gefahr
In der Schweiz hat die Heraldik die Jahrhunderte erfolgreich überdauert. Doch diese Tradition ist in Gefahr.
Erstens fehlt es an Fachleuten, die diese Kunst noch beherrschen. So gibt es in der Westschweiz nur noch einen Heraldiker, der Wappen von Hand anfertigtExterner Link.
Aus dem Archiv von RTS: Begegnung mit dem letzten Heraldiker der Romandie (von 2015, auf Französisch):
Vielleicht noch schlimmer: Das Interesse nimmt ab: «Junge Leute scheinen sich kaum noch für Heraldik zu interessieren. Das ist heute eher etwas für Ältere. Wie in der Philatelie fehlt auch hier der Nachwuchs», bedauert Bielmann.
Aber wie gesagt, die Heraldik funktioniert nach Moden. Da Moden oft zyklisch verlaufen, ist vielleicht noch nichts verloren für diese Tradition, die aus dem Mittelalter stammt.
Editiert von Samuel Jaberg
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