Die Schweiz: Eine pittoreske Filmkulisse, die nun lernen muss, sich zu verkaufen
Ob koreanische Serienfans, die an den Brienzersee pilgern, ein indisches Filmteam in Interlaken oder James-Bond-Besuche: Die Schweiz und ihre hübschen Kulissen sind für ausländische Produktionen attraktiv. Doch der Wettbewerb ist hart und man muss lernen, sich zu verkaufen, um in diesem lukrativen Markt zu bestehen.
Die Schweiz und das Kino – das ist eine Liebesgeschichte, die lange anhält. Viele denken zuerst an James Bond mit seinem Spaziergang über den Furkapass in «Goldfinger» und seinem Sprung von einer Tessiner Staumauer in «Goldeneye». Aber auch an Marion Cotillard am Ufer des Genfersees in «Contagion» von Steven Soderbergh oder Juliette Binoche in Graubünden in «Sils Maria» von Olivier Assayas.
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Mit spektakulären Landschaften, schneebedeckten Bergen, idyllischen Flüssen und romantischen Orten bietet die Schweiz eine ganze Reihe von Kulissen, die für ausländische Produktionen attraktiv sind. In asiatischen Filmen taucht das Land überall auf.
Ein Steg, der die Tourist:innen in Panik versetzt
Vor kurzem war es eine südkoreanische Serie, die einen weltweiten Erfolg erzielte. Fast ganz Asien sah die berühmte Szene aus «Crash Landing on you», einer Netflix-Serie, die 2019 veröffentlicht wurde, in der sich zwei Liebende am Brienzersee treffen.
Seitdem ist der Steg in dem kleinen Dorf Iseltwald berühmt geworden und die Tourist:innen kommen zahlreich. Viele Asiat:innen würden sich diesen Ort nicht entgehen lassen: «Wir sind für unsere Hochzeitsreise hierhergekommen und das ist ein ganz besonderer Moment für mich», sagte Son Ye-Jin, eine südkoreanische Touristin, die denselben Namen wie die Hauptdarstellerin trägt, in der Fernsehsendung Fokus und erklärte, dass dieser Ort in ihrem Land «sehr besonders» geworden sei.
«Es ist aussergewöhnlich, ich liebe diese Serie, ich wollte das unbedingt sehen», stimmte eine Frau von den Philippinen zu.
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Das kleine Berner Dorf ist nun Opfer seines Erfolgs geworden; so sehr, dass die örtlichen Behörden beschlossen haben, von Tourist:innen eine Gebühr für den Zugang zum Steg zu verlangen, um den Andrang zu begrenzen. Einige Einwohner:innen bemängelten ausserdem, dass die Tourist:innen sich den Ort ansehen und direkt wieder abreisen, ohne etwas auszugeben.
Für einige ist es jedoch ein gutes Geschäft. Im Restaurant des Dorfes, wo die Südkoreaner:innen gerade ein Tagesgericht verzehrt haben, ist man nicht unglücklich über die Gäste aus Fernost. «Das ist sehr positiv für ein kleines Dorf wie Iseltwald. Die Nachfrage ist so gross, dass die Leute nur deswegen in die Schweiz kommen, das ist sehr interessant», berichtet der Restaurantbesitzer Joe Wyrsch.
Indische Produktionen mit Schweizer Bergen
Nicht weit von Iseltwald entfernt, in Interlaken, ist gerade ein indischer Produzent eingetroffen, um die Gegend für einen zukünftigen Film zu erkunden. Sharoz Ali Khan sucht nach Orten, an denen der Regisseur zwei Personen filmen kann, die Steine ins Wasser werfen, mit einer helvetischen Kulisse und vorbeifahrenden Zügen im Hintergrund.
Der Produzent sagt, er suche die Schönheit der Schweiz und ihr Klima. «Und vor allem ist die Schweiz für uns eine Marke», bekräftigt er. Diese Anziehungskraft von Bollywood begann vor fast 30 Jahren mit dem Film «Dilwale Dulhania Le Jayenge» von Yash Chopra. Diese romantische Komödie aus dem Jahr 1995 stellte Interlaken in den Mittelpunkt und war ein grosser Erfolg. Und da Chopra in Indien ein Star ist, lockte der Film bald viele Tourist:innen in die Schweiz.
Danach folgten indische Filme, die die helvetischen Landschaften in Szene setzten. «Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Filme die Werbung für ein Land, den Tourismus, die Wirtschaft und den kulturellen Austausch verbessern können. Das ist sehr wichtig», kommentierte Sharoz Ali Khan. Er fügte hinzu, dass es in Indien einen Witz gebe: Wenn ein Junge einem Mädchen einen Heiratsantrag macht, würde das Mädchen nur dann zustimmen, wenn ihr Zukünftiger sie in die Flitterwochen nach Interlaken mitnimmt.
Eine wachsende Konkurrenz aus dem Ausland
Die Romanze zwischen der Schweiz und dem asiatischen Film ist jedoch nicht mehr so stark wie früher. Zwar sind die Tourist:innen immer noch da, aber die Filme werden immer seltener. Das liegt daran, dass andere Länder im Gegensatz zur Schweiz eine sehr attraktive Politik verfolgen, um ausländische Produktionen anzuziehen.
«Sie fingen an, Rabatte zu geben, Erleichterungen anzubieten, zum Beispiel Unterkunft, kostenlose lokale Teams, Transport, ein ganzes System von Rückerstattungen. Deshalb sind viele Regisseure woanders hingegangen, vor allem nach Ungarn, das gute Angebote macht, oder nach Italien, Österreich und in letzter Zeit nach Norwegen, Finnland und sogar nach Frankreich», betont Sharoz Ali Khan.
2015 hätten einige Szenen des James-Bond-Films mit dem Titel Spectre in den Berner Alpen gedreht werden sollen, aber das Team hatte aus wirtschaftlichen Gründen schliesslich Österreich vorgezogenExterner Link.
Archivbeitrag: Die Dreharbeiten für den James-Bond-Film («Im Dienste ihrer Majestät») auf dem Schilthorn aus dem Jahr 1968:
Der Wettbewerb wird immer härter und jedes Land verkauft sich mit Rabatten, insbesondere während des Filmfestivals von Cannes, der jährlichen Messe der Filmindustrie. Für jeden Franken, der in einen Film investiert wird, zahlt das Gastland das Geld direkt an die Produzent:innen aus, neben anderen finanziellen Vorteilen.
Filme fast kostenlos
Tristan Albrecht arbeitet für die Walliser Filmkommission, eine neu gegründete Einrichtung, die audiovisuelle Produktionen im Kanton unterstützen soll. Die Produktionen wählen aus verschiedenen Kombinationen aus und erhalten bis zu 500’000 Franken zurück.
«Es gibt viele Filme, Produktionen, die weiterziehen und in mehreren Ländern drehen, aber nicht aus künstlerischen Gründen», fügt er hinzu. Sie ziehen von einem Land ins andere, weil sie in dem einen Land etwas bekommen und in einem anderen etwas anderes, eine Koproduktion oder Partnerschaften zum Beispiel. «Geben und Nehmen, am Ende haben sie fast einen kostenlosen Film. Oder zumindest zu einem grossen Teil zurückerstattet.»
Die Walliser Filmkommission ihrerseits bietet Rückerstattungen zwischen 15% und 35% an. Im ersten Jahr ihrer Tätigkeit wurden so 500’000 Franken zurückerstattet. Auf ihrer Website schlägt sie sogar direkt Drehorte mit Gletschern und Hütten vor.
Erst seit kurzem hat man in der Schweiz begriffen, dass man sich verkaufen muss. Für Tristan Albrecht hat die Schweiz keine Filmindustrie und man beginnt erst langsam zu begreifen, dass der Film eine Industrie und damit eine Wirtschaft ist. «In der Schweiz liebt man das Geld, aber man steckt es woanders hin als in den Film. Und da sieht man, dass es ein Interesse gibt.» In seinen Augen wird man sich im Wallis bewusst, dass die Wirtschaft nicht nur mit dem Tourismus verbunden ist, sondern dass Tourismus, Wirtschaft und Kultur zusammenarbeiten können. Und mit dem Aufkommen der Streaming-Plattformen steht viel Geld auf dem Spiel.
Sich abheben und zusammenarbeiten
Die Schweiz steht also an einem Wendepunkt: Das Land hat ein Gesetz verabschiedet, das Streaming-Plattformen dazu verpflichtet, in die Länder zu investieren, in denen sie streamen. Das Gesetz wird zwar erst am 1. Januar in Kraft treten, aber die Bewegung ist bereits in vollem Gange.
So haben in einem ehemaligen Hotel in Caux, oberhalb vom waadtländischen Montreux, die Dreharbeiten für die Serie «Winter Palace» begonnen. Das Budget für diese acht Episoden in historischen Kostümen beläuft sich auf mehrere Millionen Franken. Neben RTS hat auch der Gigant Netflix Geld in die Hand genommen, während eine französische Firma den Vertrieb im Ausland übernehmen wird.
Für den Regisseur Pierre Monnard «ist es eine Chance für die Schweiz als Drehort und auch eine Chance für die Schweizer Techniker:innen, weil man uns grössere Mittel für ehrgeizigere Projekte zur Verfügung stellen wird».
Der Produzent der Serie David Rihs, Direktor von Point Prod, betont ebenfalls, dass sich die Schweiz nun endlich «für Champions League der Serien qualifizieren kann». Er weist darauf hin, dass das Risiko für die Schweiz darin besteht, unter dem Radar zu fliegen, da das Land klein ist, es drei Sprachen gibt und nicht jedes Mikrogebiet für einen grossen internationalen Sender von Bedeutung ist. Aber «die Tatsache, dass wir einen Anreizfonds haben, führt dazu, dass wir plötzlich auf dieser Karte existieren».
Die Serie, die in einem Jahr erscheinen wird, wird weltweit ausgestrahlt. Eine Gelegenheit für die Schweiz, ihre Symbole und Berge zur Schau zu stellen, international erwähnt zu werden, ihre Kultur zu verbreiten und ihren Einfluss direkt auszuüben.
Übertragung aus dem Französischen: Janine Gloor
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