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Die Schweiz im Land der Schwarzen Pharaonen

Die Ausgrabungen von Doukki Gel in Kerma legen ägyptische und nubische Strukturen an den Tag, die von grösster Bedeutung sind. Michel Bührer

Die Ausgrabungsstätte Kerma im Sudan wird seit bald 40 Jahren von der Schweiz durchwühlt. Die jüngsten Entdeckungen öffnen ganz neue Perspektiven auf die Geschichte Nubiens. Das sagt der Genfer Archäologe Charles Bonnet, der im Alter von 82 Jahren immer noch Ausgrabungen vor Ort macht.

«Where is Charlie?» Mit dem Handy am Ohr lenkt der Chauffeur den Minibus über die Strasse, die das Dorf Bourgeg im Zentrum von Nubien im Norden des Sudans durchquert. Er sucht das Haus von «Charlie», der auf den Besuch von drei Journalisten aus der Schweiz wartet. Charlie, alias Charles Bonnet, ist mehrfach ausgezeichneter Archäologe und ehemaliger Professor an der Universität Genf.

Latenium Neuenburg

Das Latenium (Archäologie Park und Museum) von Neuenburg beherbergt bis am 17. Mai eine Ausstellung unter dem Titel «Zu den Wurzeln der Schwarzen Pharaonen». Sie ist auf die Ausgrabungen der Stadt Kerma und deren Nekropole fokussiert.

Zu besichtigen sind auch exakte Kopien der berühmten Statuen der Schwarzen Pharaonen, die 2003 in einem Grab der Ausgrabungsstätte von Doukki Gel entdeckt wurden.

Aber hier ist er in erster Linie ein unermüdlicher Erforscher der antiken Stadt Kerma, ihrer weiträumigen Nekropole und ihrer sieben monumentalen Pharaonenstatuen aus schwarzem Sandstein, die jetzt die Besucher des Museums auf der historischen Stätte empfangen. Die Baustelle von Doukki Gel, wo die Statuen ausgegraben worden waren, ist daran, Daten zu liefern, die von grosser Bedeutung für die Geschichte Nubiens und die Beziehungen zwischen den lokalen Königreichen und dem Ägypten der Pharaonen sind.

Kerma, ägyptisch und nubisch

Die Ausgrabungsstätte Kerma befindet sich auf halbem Weg zwischen Khartum und der ägyptischen Grenze, etwas südlich des dritten Wasserfalls des Nils. Ausgegraben wurde die Stadt zwischen 1913 und 1916 vom amerikanischen Ägyptologen George Andrew Reisner. Gemäss seiner Auslegung, die lange Zeit tonangebend war, war Kerma ein einfacher ägyptischer Handelsplatz. Die Schweizer Expeditionen, die ab 1977 am gleichen Ort durchgeführt wurden, zeigten, dass es sich in Tat und Wahrheit um die Reste der Hauptstadt des nubischen Königreichs von Kouch handelt, das in ägyptischen Texten oft erwähnt wird.

Die Stadt war 2500 v. Chr. gegründet worden. 1450 v. Chr. wurde sie von den ägyptischen Pharaonen der XVIII. Dynastie erobert. Diese zerstörten sie, um in einer Entfernung von nur einem Kilometer die zeremonielle Stadt Doukki Gel zu gründen. Das erklärt die Konzentration von Tempeln und Palästen, die durch die gegenwärtigen Ausgrabungen freigelegt werden.

Die Verantwortung für die verschiedenen offenen Baustellen in der Region von Kerma wurde 2002 von der Universität Genf auf jene von Neuenburg übertragen. Aber vor drei Jahren hat Charles Bonnet eine unabhängige Mission gegründet, zu der Schweizer, Franzosen und Sudanesen gehören. Die Mission kümmert sich insbesondere um die Stätte Doukki Gel, die zu Kerma gehört. Die Universität Neuenburg konzentriert sich – unter der Leitung von Professor Mathieu Honegger, der auch Direktor des Lateniums ist – auf die anderen Ausgrabungen der Region.

Kein lupenreines Arabisch

Charles Bonnet, der jedes Jahr während zwei-drei Monaten vor Ort ist, lässt sich nicht zweimal bitten, die Besucher auf die weiträumige Baustelle von rund 400 auf 300 Metern zu führen. Im Wissenschaftler steckt auch ein erfahrener Pädagoge. Der ehemalige Professor gibt seine Kenntnisse gerne an ein Laienpublikum weiter. Trotz seiner 82 Jahren kraxelt er immer noch auf den Mauern aus rohen Backsteinen herum, hält hier und dort ein paar Minuten für Erläuterungen inne, jongliert dabei mit Jahrzahlen und Ereignissen, zeigt auf eine Tür oder einen Prozessionsweg und vergisst dabei nicht, unterwegs die Arbeiter in einem arabischen Dialekt – mit einer Prise Genfer Akzent – zu grüssen.

Der Genfer Archäologe Charles Bonnet auf der Ausgrabungsstätte Doukki Gel. Michel Bührer

«Die Ausgrabungen gestalten sich sehr schwierig», sagt er. «Alles besteht aus rohen Backsteinen, was die Bergung der Böden und der darüber liegenden Strukturen erschwert.» Sein Team fertigt jedes Jahr 120’000 Backsteine aus Lehm, um die Stätte zu unterhalten und zu verhindern, dass diese erodiert. Rund 100 Personen arbeiten mit, drei Viertel von ihnen an den Ausgrabungen, ein Viertel an der Restaurierung.

Die Mission profitiert von der Zusammenarbeit mehrerer Spezialisten und Doktoranden aus der Schweiz, Frankreich, Belgien und Sudan. Finanziert wird sie seitens der Schweiz vom Bundesamt für Kultur, dem französischen Aussenministerium und dem sudanesischen Dienst für Antiquitäten.

Koalition gegen Ägypten 

«Doukki Gel wirft ein völlig neues Licht auf die Region. Man sieht, dass die ägyptischen Pharaonen von den Leuten aus Kerma mit Unterstützung, die aus dem Süden kam, weggejagt worden sind.» Die Ägypter kamen aber zurück, und zwischen 750 und 650 übernahmen die Könige aus den Regionen Kerma und Jebel Barkal, die weiter südlich liegt, die Macht in Nubien und Ägypten. Das waren die berühmten Schwarzen Pharaonen. Bei jeder Eroberung zerstörten die Sieger die Bauwerke der Besiegten, zum Leidwesen der Archäologen und ihrer Forschung.

Den Menschen auf der Strasse sagt dieser Machtkampf zwischen Ägyptern und Nubiern nicht viel. Für den Genfer Archäologen ist es aber eine Offenbarung. «Ich stellte plötzlich fest, dass man in Kerma eine Koalition gegen Ägypten gebildet hatte, die so gut organisiert war, dass die Leute von sehr weit herkamen.»

Die grossartigen Befestigungsanlagen aus zwei Stadtmauern, die von den Ägyptern in Doukki Gel errichtet worden waren, und deren Höhe auf acht Meter geschätzt wird, zeigen laut Charles Bonnet, dass sie einer echten nubischen Bedrohung ausgesetzt waren.

Zur politischen und militärischen Kraft kam eine kommerzielle hinzu. «Die Leute verfügten über ein Netzwerk, um Gold, Elfenbein und Ebenholz aus dem Süden zu importieren und nach Norden zu exportieren.» Diese Entdeckung nährt, was Charles Bonnet die sudanesische «Gegen-Geschichte» zur bekannten ägyptischen Geschichte nennt, für die er Experte ist.

Die afrikanische Identität des Ortes wird von der Architektur bestätigt. Bei den Ausgrabungen ist der Plan eines oval-förmigen, von 1400 Säulen getragenen, monumentalen nubischen Palasts mit einer Grösse von 45 auf 55 Metern ans Tageslicht gekommen. «Ein zu diesem Zeitpunkt einzigartiger Palast», sagt der Archäologe.

Laut seiner These war Kerma/Doukki Gel mit anderen Königreichen in der Region von Khartum, Kordofan, Darfur oder Puntland am Roten Meer verbunden. «Um die Zusammenhänge zu bestätigen, sollte man auch dort unten Ausgrabungen machen, wo man jahrelang zu tun hätte…». Wie auch immer: «Es handelt sich um eine fundamentale Entdeckung für den Sudan.»

Die sieben Statuen der Schwarzen Pharaonen, die 2003 zerbrochen in einem Grab der Ausgrabungsstätte Doukki Gel gefunden wurden. Michel Bührer


Volksmuseum

Laut Charles Bonnet wecken die historischen Stätten von Kerma und Doukki Gel mehr und mehr das öffentliche Interesse des Landes. Nach seiner letzten Ausgrabungskampagne von Ende Januar hat Bonnet in Karthum eine Reihe Vorträge gehalten, an denen bis zu 1600 Personen teilnahmen, unter ihnen zahlreiche Minister und Botschafter.

Dem Archäologen liegt viel daran, dass die Stätten öffentlich zugänglich bleiben, weil «sich die Sudanesen ihrer Vergangenheit annehmen müssen». Rund 25’000 Personen besuchen den Ort jedes Jahr. Das Museum von Kerma, das neben der Stätte gebaut wurde, hat den gleichen Auftrag.

Kurz nach der Einweihung im Jahr 2008 hat der Archäologe festgestellt, dass nur Männer herkamen, wie es die Tradition verlangte. Dank seiner Popularität in der Region, die er sich über Jahrzehnte hinweg erworben hatte, machte er den Vorschlag, eine Führung nur für Frauen durchzuführen.

Seither ist das Museum ein gesellschaftlicher Ort, an den man sich im Kreis der Familie begibt, wo man auch Picknick macht oder heiratet.

Kerma besuchen

Nubin erstreckt sich auf einer Strecke von fast 1300 Kilometern dem Nil entlang zwischen Khartum, der sudanesischen Hauptstadt, und Assuan in Ägypten. Kerma liegt ungefähr auf halbem Weg und gehört zu Unternubien, das vom zweiten Wasserfall des Nils fast bis nach Khartum reicht.

Besichtigungen der zahlreichen archäologischen Stätten Unternubiens finden meistens während mehrerer Tage in geführten Gruppen statt, die vom Ausland aus oder vor Ort organisiert werden. Kerma gehört zu jenen Stätten, die man nicht auslassen darf, obwohl sie weit entfernt und schlecht ausgestattet ist. Die Sudanesen, die von Khartum kommen, verbinden den Besuch meistens damit, ihren familiären Verpflichtungen in der Region nachzugehen.

Der Sudan hat sich dem Tourismus geöffnet. Der schlechte Ruf, den das Land seinem Regime verdankt, wird der liebenswürdigen Bevölkerung nicht gerecht. Ausserhalb der wichtigsten Städte fehlt es dem Land an touristischen Einrichtungen. Bei den grossen historischen Stätten gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, zum Beispiel auch in Zelten.

Das gilt aber nicht für Kerma. Besucher müssen zuerst eine Strecke von 500 km zurücklegen, um die nächstgelegene Stadt Dongola zu erreichen, anschliessend während rund einer Stunde auf einer Nebenroute, die den Nil überquert, weiter ins Dorf Burgeg fahren. Das Dorf hat, abgesehen von einigen Gästezimmern, keine Unterkunft für Touristen.

Zu den wenigen touristischen Unterkünften in Dongola gehört ein riesiges Hotel aus dem Jahr 2011. Dessen einziges Angebot scheint ein TV-Gerät zu sein, das im Erdgeschoss rund um die Uhr eingeschaltet ist. Kürzlich sei ein Guest House eröffnet worden, erzählt der Genfer Archäologe mit einem Schmunzeln. Es heisst «Das Nubische Dorf Charles Bonnet».

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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