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Die Uhr der Präsidenten

Montre Vulcain
Gabriel Heim

1947 brachte die Schweizer Uhrenmarke Vulcain die erste serienreife Armbanduhr mit eingebautem Wecker auf den Weltmarkt. Die "Cricket" wurde zu einem Symbol der Nachkriegszeit und ist als "the President's watch" in die Uhrengeschichte eingegangen.

Gross ist die Freude bei Michel Ditisheim, als er Ende Dezember 1990 vor seinem Kiosk in La Chaux-de-Fonds das Titelfoto des US-Nachrichtenmagazins TIME im Aushang entdeckt: Michail Gorbatchow in Grossaufnahme, den Kopf in die Hand gestützt. Nicht die Schlagzeile, sondern die gut sichtbare Armbanduhr am Handgelenk des Staatspräsidenten der Sowjetunion fasziniert ihn.

Es ist jene Vulcain, Modell Cricket, die er vor etwa drei Jahren dem damals letzten Generalsekretär der KPdSU als Geschenk nach Moskau hat überbringen lassen. Noch heute, Michel Ditisheim stellt längst keine Uhren mehr her, schwärmt der ehemalige Inhaber und Erbe der Schweizer Traditionsmarke Vulcain von diesem Erlebnis.

swissinfo.ch publiziert regelmässig Artikel aus dem Blog des LandesmuseumsExterner Link, die historischen Themen gewidmet sind. Die Artikel sind immer in deutscher und meistens auch in französischer und englischer Sprache verfasst.

Sein Vater, Robert Ditisheim, der die Uhrenfabrik schon in der dritten Generation führte, hatte Anfang der 1940er-Jahre einen Traum. Eine wasserdichte, verlässliche und auch elegante Armbanduhr konstruieren in die ein gut hörbarer Wecker eingearbeitet ist. An dieser Herausforderung waren schon etliche Konstrukteure vor ihm gescheitert.

Fünf Jahre werden er und seine Ingenieure Henry Robert und Blaise Fivaz an dieser Komplikation arbeiten. Erst der Hinweis eines Freundes auf das intensive Zirpen der Heuschrecken, die mit ihren feingliedrigen Körpern eine beachtliche Resonanz erzeugen, bringt den Durchbruch. Der Schlag des kleinen Wecker-Hammers im Uhrwerk wird durch eine elastische Membran verstärkt. Das Gehäuse wird zum Resonanz-Kasten, der den Ton nach aussen trägt.

Couverture du magazine Time avec Gorbatchev
Blog du Musée national suisse

Die Uhr begeisterte die amerikanischen Präsidenten

Die Cricket (Heuschrecke) wird 1947 serienreif und entwickelt sich in kürzester Zeit zu einem Welterfolg. Besonders die Amerikaner stürzen sich auf die erste «alarm wrist watch». Der innovative «Show-Effekt» des lauten Weckers wird zu einem verlässlichen Begleiter: Nie mehr den Zug verpassen, nie mehr ein Meeting überziehen, nie mehr den «power nap» verschlafen!

Die Cricket ist auf der Höhe der Zeit und so kommt es, dass fast alle US-Präsidenten jener Jahre die «alarm watch» aus La Chaux- de-Fonds am Handgelenk tragen: Harry Truman, Dwight Eisenhower, Richard Nixon und als letzter 1964, Lyndon B. Johnson. Die Cricket wird als «President’s Watch» berühmt. Sie hat Geschichte geschrieben und ihr schriller Ton ist sogar in manchem Hollywood-Film zu hören.

1987 hatte der letzte Vulcain-Patron, Michel Ditisheim – ganz im Sinn der Cricket-Saga – die Idee, dem Reformer der Sowjetunion eine President‘s-Watch zu schenken. Durch die Vermittlung des damaligen Bundespräsidenten Pierre Aubert (auch der Neuenburger war ein Cricket-Fan) wurde ein vergoldetes Exemplar nach Moskau gebracht und im Kreml überreicht.

Der Dank blieb aus; eine Krise jagte die nächste, «Gorbi» war wohl mit anderen Dingen beschäftigt. Doch vielleicht hat ihn auch erst sein berühmter Ausspruch von 1989 «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben» wieder an seine Cricket erinnert. Mit ihr am Handgelenk – könnte er gedacht haben – kann mir das das Dank dem kleinen Wecker aus der Schweiz, nie mehr passieren.

Das mechanische Uhrwerk der Vulcain Cricket wurde von 1947 bis heute weit über 100’000 Mal unverändert hergestellt.

Vulcain Uhr
Die VULCAIN Cricket wurde nicht nur von vielen US-Präsidenten getragen, sondern auch von Michail Gorbatchow, dem Staatspräsidenten der Sowjetunion. Gabriel Heim

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