Schweizer Botschafter in Washington schreibt Kochbuch
Interessiert an einer Wilhelm-Tell-Suppe? Oder an General Ulysses S.Grants Reispudding? Was brachte den Vertreter der Schweiz in Washington dazu, seiner Rolle als Botschafter etwas Würze zu verleihen und ein Kochbuch zu schreiben?
«Bevor ich in die Vereinigten Staaten kam, hatte ich darüber nachgedacht, wie ich die Schweiz in kulinarischer Hinsicht am besten vertreten könnte», erklärte Martin Dahinden jüngst bei einem Besuch im Büro von swissinfo.ch in Zürich.
Sein Buch Schweizer Küchengeheimnisse: Gesichter und Geschichten hinter bekannten GerichtenExterner Link wurde im Juli auf Deutsch veröffentlicht.
Der BotschafterExterner Link, der sein Amt 2014 antrat, erklärte, er sei überzeugt, dass es in Zusammenhang mit der Schweizer Küche mehr gebe, als Schokolade, Käse und Fondue.
Das Buch ist eine faszinierende Mischung aus Rezepten – Gerichte und Speisen, die seinen Gästen in der Botschaft aufgetischt wurden – und aus Geschichte, gewürzt mit Anekdoten eines Diplomaten, der ohne Zweifel eine Leidenschaft für die Schweizer Küche hat.
Wie fand ein beschäftigter Botschafter die Zeit, ein Buch zu schreiben? «Ich war immer interessiert an kulinarischen Fragen und hatte bereits eine Rezeptesammlung, bevor ich damit anfing», räumte Dahinden ein. «So konnte ich das Buch in relativ kurzer Zeit zusammenstellen.»
Testkochen und Zeitvorgaben
Das Testkochen von Rezepten erfolgte bei Mittag- und Abendessen in der Schweizer Botschaft in Washington, wobei Dahinden und der Küchenchef der Botschaft zusammen Menus entwickelten. «Manchmal waren die Gäste – ich sollte nicht sagen Versuchskaninchen – sondern die Glücklichen, die in den Genuss kamen, solche Gerichte zu probieren», sagte Dahinden mit einem Lächeln.
Gewisse Gerichte waren leicht zuzubereiten, ältere Rezepte enthalten aber oft nur einfache Beschreibungen und keine genauen Angaben zu Zutaten und Zubereitung.
Es war der Schweizer Renaissance-Koch Maestro Martino der die Zeitangaben in Rezepten einführte. «Es ist faszinierend, dass es ein Mann aus der Schweiz war, die für ihre Uhrenindustrie bekannt ist», erklärte Dahinden.
Nicht dass es zur Zeit des Maestros, der im Verlauf seiner Karriere für zwei Päpste gekocht hatte, Uhren gegeben hätte. Für die Rezepte wurde die Zeit in Intervallen gemessen, die es brauchte, um ein Pater Noster zu sagen.
Unbekannte Helden
Der Botschafter stiess auf nicht wenige Schweizer, die eine kulinarische Spur in der Geschichte hinterlassen haben: Da war zum Beispiel Napoleons Chef, Dunand, mit dem von ihm entwickelten Poulet Marengo (ein Lieblingsrezept Dahindens aus dem Buch), oder die Delmonicos, eine Familie aus dem italienischsprachigen Tessin, deren Restaurant die Essgewohnheiten im New York des 19. Jahrhunderts veränderte. Bis heute ist das Delmonico Steak vielen Menschen in Amerika ein Begriff.
Der Schweizer Henry Haller war Küchenchef für fünf US-Präsidenten, von Johnson bis zu Reagan, wobei er gekonnt Schweizer Gerichte mit dem unterschiedlichen Geschmack der jeweiligen Familie im Weissen Haus zu kombinieren wusste.
Doch viele dieser Pioniere sind mehr oder weniger unbekannt geblieben, die Ursachen bleiben auch Dahinden ein Rätsel. «Dies ist ein Grund, weshalb ich dachte, es wäre gut, das Wort «Küchengeheimnisse» im Titel des Buchs zu haben», sagte der Botschafter.
Die Chefs stellten oft typische Schweizer Fähigkeiten wie Präzision und Organisation unter Beweis, manchmal bis zum Punkt der Besessenheit. Dies zeigt sich in der traurigen Geschichte des Schweizer Küchenchefs von König Ludwig XIV. Es heisst, François Vatel habe sich aus Scham das Leben genommen, nachdem eine Ladung mit frischem Fisch nicht rechtzeitig für ein Festmahl am königlichen Hof eingetroffen war.
Küche und Diplomatie
Anders als in Frankreich oder Italien gibt es keine eigentliche nationale Schweizer Küche. Der Grund liege darin, dass die Schweiz nie einen Königshof hatte, wie Versailles, mit seinem ausgeprägten Stil, was Essen und Service anging, erklärte Dahinden. Stattdessen gibt es viele regionale Küchenspezialitäten mit Verbindungen zu den Nachbarländern.
Davon abgesehen sind Schweizer Gerichte offenbar exzellent geeignet für kulinarische Diplomatie; Dahinden liebt es, «Gerichte zu machen, die Ausgangspunkt für eine Diskussion sein können». Zum Beispiel hatte die Schweiz im 19. Jahrhundert entschieden, ihre Beziehungen zu den USA, zu der Zeit damals die einzige andere Republik, mit einem Wandbild in ihrem Parlamentsgebäude zu unterstreichen. Der Schweizer Maler Frank Buchser wurde in die Vereinigten Staaten geschickt, um Führungskräfte aus dem Bürgerkrieg zu malen, das Wandbild wurde allerdings letztlich nie realisiert.
Die Porträts der Generäle William T. ShermanExterner Link und Robert E. LeeExterner Link hängen in der Schweizer Botschaft in Washington. Dahinden freute sich, als er entdeckte, dass die Delmonicos einige Gerichte nach diesen Figuren benannt hatten (zum Beispiel Seezungenfilet à la General Sherman). Die Botschaft habe eine Veranstaltung mit Gästen organisiert, bei der nicht nur darüber diskutiert worden sei, was die USA und die Schweiz im 19. Jahrhundert gemeinsam gehabt hätten, sondern was es heute bedeute, Schwesterrepubliken zu sein, erzählte der Botschafter.
Potage à la Guillaume Tell nach Ferdinand Grandi
Bereiten Sie zwei Pürees zu, eins aus Gerste sowie eins aus Ente (canard royal). Kurz vor dem Servieren vermengen Sie die beiden Pürees miteinander und runden das Ganze mit etwas frischer Butter ab. Machen Sie kleine Klösschen aus Wild (gibier au cornet) und geben Sie diese in die Suppenschüssel mit dem Püree.
(Mit freundlicher Genehmigung: Schweizer Küchengeheimnisse: Gesichter und Geschichten hinter bekannten Gerichten, Nagel & Kimche)
Eine andere Delikatesse der Botschaft – die ebenfalls auf die Delmonicos zurückgeht – ist nach Ulysses S. GrantExterner Link benannt, dem General und späteren 18. Präsidenten der USA. Im Original ging es um einen grossen Reispudding, der mit Champagner, Aprikosenkonfitüre und einer Quittengelée-Sauce serviert wurde. Heute werde eine Miniversion davon zum Frühstück, Tee oder als Dessert serviert, heisst es in dem Buch.
Helden und Klassisches
In Dahindens Buch finden sich auch Rezepte aus der Schweiz wie Birchermüesli, oder Speisen mit der klassischen Zutat Schweizer Schokolade. Dahinden hofft, dass das Buch ins Englische und Französische übersetzt werden wird.
Auch Schweizer Ikonen haben ihren Auftritt. So findet man etwa eine «Wilhelm-Tell-Suppe», die auf die Idee eines italienischen Spitzenkochs aus dem 19. Jahrhundert zurückgeht. Eine der Zutaten ist Fleisch, das sich das einfache Volk zur Zeit Tells zwar wohl nicht hätte leisten können. «Eine Referenz an Tell, der es wohl kaum abgelehnt hätte, das Fleisch in seine Suppe zu tun», sagte Dahinden.
Kommen auch Äpfel in die Suppe, wollte swissinfo.ch wissen? «Nein», sagte der Diplomat lachend. «Aber Sie haben Recht, zu den meisten anderen Wilhelm-Tell-Speisen gehören Äpfel, zum Beispiel Cakes oder Würste mit Apfelsauce – wegen der bekannten Szene, in der Tell den Apfel vom Kopf seines Sohnes schiessen muss. Fast alle anderen Tell-Gerichte enthalten Äpfel, nicht aber diese Suppe!»
Martin Dahinden
Bevor Martin DahindenExterner Link im November 2014 sein Amt als Schweizer Botschafter in den USA antrat, war er von 2008 bis 2014 Chef der Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA) im Schweizer Aussenministerium (EDA). Von 2004 bis 2008 war er Chef der Direktion für Ressourcen und Aussennetz im EDA.
Im Verlauf seiner langjährigen diplomatischen Karriere war er zudem unter anderem in Paris, Abuja, New York (UNO), Wien (OSZE) und Brüssel (NATO) stationiert.
Martin Dahinden ist 1955 in Zürich geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich und schloss mit einem Doktortitel ab. Nach dem Studium arbeitete er unter anderem bei einer Bank und einem Verlag. 1987 trat er in den diplomatischen Dienst ein.
Dahinden ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Kulinarisches aus der Schweiz, das der Botschafter in den USA am meisten vermisst: Schweizer Käse und Würste. Andererseits ist er erfreut, dass es in Washington eine gute Schweizer Bäckerei gibt.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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