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Die Schweiz und der Kolonialismus

Wie René Gardi das Schweizer Bild von Afrika prägte

Mit "African Mirror" blickt Regisseur Mischa Hedinger auf die Karriere des Fotografen und Filmemachers René Gardi im kolonisierten Kamerun in den 1950er-Jahren zurück. Hedingers Dokumentarfilm zeigt, dass Gardis paternalistischer, zum Teil rassistischer Ansatz mehr über die Schweiz zu der Zeit aussagt als über Afrika, über das der Berner damals phantasierte.

«Ich habe es immer vermieden, mit meinen Bildern einen voreingenommenen Blick auf die Realität zu vermitteln.» René Gardi hat nie an der dokumentarischen Dimension seines Werkes gezweifelt, wie er 1985 gegen Ende seines Lebens in einem Brief an ein kalifornisches Zentrum für Afrikastudien erklärte.

Ein Glaubensbekenntnis, das der junge Regisseur Mischa Hedinger, ebenfalls aus Bern, mit seinem Dokumentarfilm «African Mirror» dekonstruiert, der derzeit in der deutschsprachigen Schweiz und im nächsten Frühjahr in der französischsprachigen Schweiz zu sehen ist. 

Aber warum soll man diese Persönlichkeit aus der Vergessenheit zurückholen? Wenn die Babyboom-Generation an Afrika denke, habe sie Filme von René Gardi vor Augen, schreibt die Berner Tageszeitung Der Bund in einem Artikel über «African Mirror». Diese Bekanntheit beschränkte sich vor allem auf die deutschsprachige Schweiz, wo René Gardi mit seinen Büchern, Vorträgen und Medienauftritten sehr präsent war. Ein breiteres Publikum erreichte er insbesondere mit «Mandara», einem in Kamerun gedrehten Film, der 1960 am Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Kategorie «Bester Dokumentarfilm für Jugendliche» eine lobende Erwähnung erhielt.

Sex und Kolonien

1944 wurde René Gardi in der Schweiz wegen «Unzucht mit Kindern» verurteilt. Diese Pädophilie blieb lange Zeit verschwiegen bis sie Mischa Hedinger in seinem Dokumentarfilm ans Licht holte, indem er diese in Zusammenhang mit den nackten Körpern junger Kameruner stellte, die Gardi gefilmt hatte.

«African Mirror» sei keine Anklage gegen René Gardi, sondern eine Infragestellung der Darstellungen Afrikas, die Gardi mitgestaltet habe. Die Sexualität, die oft ausbeuterisch sei, stehe im Mittelpunkt der kolonialen Phantasie, sagt Hedinger gegenüber swissinfo.ch und erinnert an das Buch «Sex, Rasse und Kolonien», das im vergangenen Jahr in Paris veröffentlicht wurde und für Aufsehen sorgte. Diese Vorstellung bestehe weiterhin, wie der florierende Sextourismus zeige.

Dasselbe gilt für die Vision der afrikanischen Völker, die Gardi in seinen Werken entwickelt hatte. «Wenn ich mir die Bilder ansehe, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe, fühle ich oft eine grosse Traurigkeit. Die prächtigen Handwerker mit all ihren Sorgen, Bedürfnissen, Freuden und ihrer Standhaftigkeit, die Menschen, die Künstler und Handwerker sind, ohne es zu wissen, und all die wunderbaren Mütter in Zelten und Dörfern, die ihr Schicksal mit solcher Ruhe und Mut annehmen, werden bald nur noch in der Erinnerung derer leben, die sie kannten», schrieb René Gardi in dem weiter oben zitierten Brief.

Der Mythos vom «guten Wilden»

Dieser Mythos vom «guten Wilden ohne echtes Selbstbewusstsein» wurde Mitte des letzten Jahrhunderts weitgehend geteilt, ohne jedoch heute ganz zu verschwinden, wie die schockierende Rede von Nicolas Sarkozy in Dakar 2007 zeigte, in welcher der damalige französische Präsident erklärte, dass «das Problem Afrikas darin besteht, dass es zu sehr in der Nostalgie des verlorenen Paradieses der Kindheit lebt». Dieser Kommentar wurde von vielen Persönlichkeiten wie dem kamerunischen Schriftsteller Achille Mbembe heftig kritisiert.

Gardi zog auch Parallelen zwischen den in Kamerun besuchten Stämmen und den Bewohnern der Schweizer Alpen. Er ging sogar so weit, zu sagen: «Manchmal möchte ich, dass wir, die Schweizer, auch eine Kolonie hätten.»

Das ist für Hedinger keine triviale Angelegenheit: «Gardi drückt damit den Wunsch nach Grösse der kleinen Schweiz aus. Und das Bild, das er von Afrika schuf, war selbst eine Art Kolonie für die Schweiz: ein imaginäres Land der Schweizer.»

Die Schweiz hatte zwar nie ein Kolonialreich – obwohl die Idee Ende des 19. Jahrhunderts unter den Eliten verbreitet war –, aber sogar die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) konnte sich Gardis Visionen nicht ganz entziehen. Das gilt insbesondere im Fall von Ruanda, dieser «Schweiz von Afrika», wo die Schweizer Entwicklungshelfer bis in die Spitze des Staates involviert waren, bevor der Völkermord von 1994 diese Beteiligung beendete.


(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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