Dürrenmatt – Autor gegen aussen, innerlich Maler
25 Jahre ist es her, seit der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt gestorben ist. Vor 15 Jahren wurde das Centre Dürrenmatt eröffnet, welches das Bildwerk des grossen Schweizers pflegt. "Ich bin kein Maler. Ich male technisch wie ein Kind, aber ich denke nicht wie ein Kind. Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke", hatte er selbst die Beziehung zwischen seinem Handwerk und seiner Passion beschrieben.
Es brauchte zehn Jahre eiserner Bemühungen Charlotte Kerrs, der Witwe des 1990 Verstorbenen, um die Öffentlichkeit von der Bedeutung des bildnerischen Werkes von Dürrenmatt zu überzeugen. 2000 wurde in Neuenburg das Centre Dürrenmatt (CDN) eröffnet, dessen Sammlung aus rund tausend Zeichnungen, Malereien und Gouachen besteht.
Die Manuskripte seiner Schriften werden im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) konserviert, das Teil der Nationalbibliothek in Bern ist. Das SLA geht ebenfalls auf Dürrenmatt zurück, hatte er doch die Schenkung seiner Hinterlassenschaft als Autor an den Bund mit der Gründung eines nationalen Literaturarchivs verknüpft.
Auf dem schmalen und kurvenreichen Strässlein erreichen wir den Bau von Mario Botta, gehalten in grauem und schwarzem Stein. Der Schweizer Architekt baute das Museum an das Gebäude an, in dem der Dichter von 1952 bis zu seinem Tod gelebt hatte.
Von der Terrasse blickt die Besucherin hinunter auf die Stadt Neuenburg, den gleichnamigen See und die Alpen am Horizont.
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Autodidakt, mit viel Talent gesegnet
Der Maler, der keiner sein wollte
Die permanente Ausstellung befindet sich in einem grossen Raum im Untergeschoss, der über ein ausgefeiltes Beleuchtungskonzept verfügt. Auf dem Rundgang in einem Zwischengeschoss lernen die Besucher die wichtigsten Daten aus dem Leben Dürrenmatts als Schriftsteller kennen – diese bauen gewissermassen die Brücke zu seinem bildnerischen Werk. Mario Botta, der Dürrenmatt stets bewunderte, hatte bereits die Retrospektive im Zürcher Kunstmuseum 1991 gestaltet, ein Jahr nach dem Tod des Künstlers.
Der Tessiner war aber nicht nur für die Hülle des Centre Dürrenmatt verantwortlich, sondern auch für die Präsentation der Werke im Inneren. «Die ganze Schwierigkeit – aber auch die Chance – bestand darin, Bilder eines Autors zu zeigen, der kein Maler war», erzählt der Architekt. «Also haben wir versucht, sie in Objekte zu transformieren, die Metaphern seines Denkens sind. Die Bilder haben deshalb keine Rahmen und hängen nicht direkt an der Wand, sondern mit einigem Abstand davor.»
Mit einer Ausnahme: Das Bild «Letzte Generalversammlung der Eidgenössischen Bankanstalt», in Öl gemalt, zeigt Bankiers, die kollektiven Suizid begehen. «Es handelt sich um ein kleines, groteskes und ironisches Bild, das Dürrenmatt in Gold gerahmt hatte», sagt Mario Botta. «Wir hoben den monumentalen Aspekt des Rahmens hervor, was dem Bild den Charakter eines politischen und ideologischen Manifests verleiht.»
Malen, seine Leidenschaft
«Dürrenmatt sagte, dass er in Bildern denke. Sie und die Zeichnungen hätten es ihm erlaubt, das auszudrücken, was er nicht habe aufschreiben können», sagt Madeleine Betschart, die das Centre Dürrenmatt seit 2014 leitet. «Man könnte sagen, dass es eine persönliche Leidenschaft war. Er hat sehr selten ausgestellt. Er entwickelte seine eigene Bildsprache, die natürlich auch beeinflusst war. Seine Bibliothek, die sich immer noch im Haus befindet, enthält zahlreiche Bücher über Kunst, die sein Interesse und seine Neugier bestätigen», so Betschart.
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«Ich bin kein Maler, ich bin ein Sonderfall!»
Für Ulrich Weber, der im Schweizerischen Literaturarchiv den Bestand Dürrenmatt betreut, war dieser in zweifacher Hinsicht einzigartig. «Er war einerseits Autodidakt, andererseits blieb er figürlich, weit entfernt von den Bewegungen der damaligen Gegenwart, insbesondere der Avantgarde. Vor allem aber hasste er die Idee, in irgendeine Kategorie geworfen zu werden.»
Ulrich Weber hält Dürrenmatts Kunst für komplementär zu seiner Literatur, und das aus biographischen Gründen. Bis zum Alter von 25 Jahren habe Dürrenmatt zwischen den beiden Richtungen gependelt, erst danach habe er sich für Letztere entschieden. «Danach war er als Autor, aber vor allem als Dramatiker, mit teils heftigen Reaktionen des Publikums und der Kritiker konfrontiert. Er war verletzlicher als er gegen aussen zeigte. Umso wichtiger war für ihn ein Bereich, wo er sich in ganzer Freiheit ausdrücken konnte. Die Malerei war so gesehen eine Reaktion.»
Ewige Themen, ins Absurde verfremdet
Ein grosser Teil der Sammlung besteht aus Zeichnungen und Karikaturen, die oft unerbittlich ausfallen. Neben Ölbildern umfasst sie auch Gouachen sowie Lithografien, die aus den letzten Lebensjahren stammen.
Der heute in Zürich lehrende Theologe Pierre BühlerExterner Link hat mehrere Studien und Publikationen über Dürrenmatt verfasst, darunter 2011 auch einen Artikel über die Figur des Don Quichotte.
Als Professor an der Uni Neuenburg hatte er den Künstler persönlich getroffen. «Dürrenmatt hatte stets unterstrichen, keine Ausbildung als Maler zu haben, was seine Werke umso eindrücklicher macht. Es ist kein Zufall, dass er schreibend und malend dieselben Motive bearbeitete, denn wie er selbst sagte, waren die Bilder das Schlachtfeld, auf dem er mit seinen literarischen Themen kämpfte, oder vielleicht mit sich selbst. Es ist also eine parallele Arbeit, wie ein Durchatmen, wenn er in seinem literarischen Schaffen feststeckte», sagt Bühler.
Mit den Themen, die Dürrenmatt aus der Bibel und der griechischen Mythologie übernahm, habe er stets auf «eine Konfrontation des Menschen mit dem Scheitern, dem Fall, der Einsamkeit, dem Tod und mit dem Absoluten verwiesen. Diese fundamentale Stellung der Menschen kommt auch in der Figur des Minotaurus in seinem Labyrinth zum Ausdruck», so Bühler weiter. In der Dürrenmattschen Reflexion biblischer Themen hätten die Gläubigen keine besondere Stellung gehabt, vielmehr hätten sie gekämpft und seien gescheitert wie alle anderen auch.
«Ich bin Protestant und ich protestiere», habe ein Bonmot gelautet, das der Pfarrersohn Dürrenmatt gemacht habe. «Die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben übernahm er von seinen Eltern, aber er betrieb diese stets kritisch.» Schliesslich habe er sich als Atheist bezeichnet, wahrscheinlich infolge einer Radikalisierung seiner Proteste gegen die Systeme, die Ideologien und den Fanatismus.
Dürrenmatt-Jahr
Das Centre Dürrenmatt Neuenburg führt 2015 aus Anlass des 25. Todestages des Schriftstellers und Künstlers ein Gedenkjahr mit zahlreichen Anlässen durch.
Gefeiert wird aber auch das 15. Jahr der Schaffung des Centre Dürrenmatt durch den Bund. Dessen Ziel ist die Sammlung, Konservierung und Verbreitung des bildnerischen Werkes. Die Sammlung umfasst rund 1000 Werke.
Als Künstler ambivalent
Myriam Minder ist es zu verdanken, dass Dürrenmatt erstmals auf dem Parkett der Kunstgeschichte erscheint: Die Kunsthistorikerin arbeitet gegenwärtig an der Schlussfassung ihrer Dissertation über Dürrenmatt als Künstler.
«In der Welt der künstlerischen Produktion seiner Zeit passte er in keine Schublade. Er nahm bekannte Motive auf, verfremdete diese aber: Man glaubt, etwas zu erkennen, aber dann merkt man, dass er seine eigene Interpretation machte. Die Hochzeit zu Kana beispielsweise malte er als schamlose Zecherei – Dürrenmatt überrascht immer.»
Die bisher wichtigste Ausstellung von Dürrenmatt bestritt er 1985, also fünf Jahre vor seinem Tod. Schauplatz war das Museum für Kunst und Geschichte Neuenburg. In den Archiven stiess Minder auf Dokumente, die zeigen, dass andere Museen die Ausstellung sehr gerne übernommen hätten, Dürrenmatt das aber abgelehnt habe.
«Er war einverstanden, seine Bilder auszustellen, aber danach zog er sich wieder zurück. Diese Haltung zeugt von derselben Ambivalenz, mit der er behauptete, kein Maler zu sein. Dabei aber porträtierte er sich selbst in der Kleidung eines Malers.» Was sie zum Schluss grundsätzlich werden lässt: «Was ist das überhaupt, ein Maler?», fragt Minder.
Friedrich Dürrenmatt
1921 als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Konolfingen im Kanton Bern geboren.
Seine bekanntesten Bücher sind «Der Richter und sein Henker» (1959/51), «Der Verdacht» (1951/52) und «Das Versprechen» (1958).
Die grössten Erfolge als Dramatiker feierte er mit «Der Besuch der alten Dame» (1956) und «Die Physiker» (1962).
Als Maler stellte er zeitlebens viermal aus: 1976 im Hôtel du Rocher in Neuenburg, 1978 in der Galerie Keel in Zürich und 1981 in der Galerie Loeb in Bern. Die grösste Schau zeigte er 1985/86 im Museum für Kunst und Geschichte in Neuenburg. 1991 zeigte das Kunstmuseum Zürich eine Retrospektive.
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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