Dürrenmatt und die Fotografie
Das Centre Dürrenmatt, das sich im ehemaligen Haus von Friedrich Dürrenmatt in Neuenburg befindet, stellt zum 10-Jahre-Jubiläum Fotografien des Schweizer Schriftstellers und Malers aus. Es sind Zeitdokumente, die den grossen Denker auch privat zeigen.
Die Augen hinter der dicken schwarzen Brille sind geschlossen, der Mund ist ein Stück weit offen. Wie ein Scheinwerfer wirft die Sonne das Licht auf das ruhende Gesicht, das von einem riesigen Blätterdach umrahmt wird.
Dieses Foto, das im Oktober vor 20 Jahren auf der Terrasse von Friedrich Dürrenmatts Haus in Neuenburg entstand, ist eines der letzten vor seinem Tod.
Es ist Teil der Fotoreportage, die der Fotograf Daniel Schwartz für die Kulturzeitschrift Du vom Schweizer Schriftsteller kurz vor dessen 70. Geburtstag machte. Die Ausgabe, die Dürrenmatt gewidmet war, erschien kurz nach dessen Tod am 14. Dezember 1990.
Ein weiteres Bild im Zusammenhang mit dieser Fotoreportage ist nun im Centre Dürrenmatt ausgestellt: Darauf stecken Dürrenmatt und der damalige Du-Leiter Dieter Bachmann bei den Vorbereitungen für ebendiese Ausgabe die Köpfe hinter einem Entwurf zusammen.
«Dürrenmatt hat Spiel mitgemacht»
Das Centre Dürrenmatt, das den Bildnachlass Dürrenmatts öffentlich zugänglich macht, hat zum 10-Jahre-Jubiläum die Foto-Ausstellung «Esprit Dürrenmatt» organisiert, die rund 50 Originalabzüge aus dem Schweizerischen Literaturarchiv sowie dem Privatbesitz der Witwe Charlotte Kerr Dürrenmatt versammelt.
«Wir wollen Dürrenmatt in seiner ganzen Persönlichkeit zeigen, nicht nur den grossen Literaten und Denker, sondern auch den privaten Dürrenmatt», sagt Janine Perret Sgualdo, Leiterin des Centre Dürrenmatt, gegenüber swissinfo.ch.
Dürrenmatt selbst war nicht gerade erfreut darüber, dass er nach den weltweiten Erfolgen mit den Theaterstücken «Der Besuch der alten Dame» (1956) und «Die Physiker» (1962) zunehmend zum begehrten Objekt der Fotografen wurde. Er wollte, dass man sich für seine Literatur, Theaterstücke und Malerei interessierte.
Trotz Dürrenmatts distanziertem Verhältnis zur Fotografie glaubt Janine Perret Sgualdo jedoch nicht, dass dieser etwas gegen die Foto-Ausstellung gehabt hätte.
Bei den präsentierten Fotos handle es sich um Geschenke von Fotografen, wobei die Aufnahmen mit Dürrenmatts Einverständnis entstanden seien. «Er hat das Spiel mitgemacht, sonst gäbe es diese Fotos nicht. Und er hat die Bilder aufbewahrt, auch wenn er sie nicht aufhängte», so Perret Sgualdo.
Dürrenmatt hinter den Kulissen
An der Ausstellung werden Momentaufnahmen verschiedener Stationen in Dürrenmatts Karriere beleuchtet.
Ein strahlender Dürrenmatt im Zürcher Restaurant «Kronenhalle» feiert 1963 mit einem Glas Wein die Premiere von «Herkules und der Stall des Augias» im Schauspielhaus Zürich. Dort, wo er rund zehn Jahre zuvor mit «Es steht geschrieben» (1947) sein erstes Theaterstück aufführte.
«Es ist nicht Erfolg, was wir brauchen, denn Sie wissen ja, dass auch die Besten nur von wenigen verstanden werden», schrieb Dürrenmatt damals in seiner Antwort auf den Brief von Max Frisch, der ihn zum Stück gratulierte, und bedankte sich bei ihm. Frisch wisse wohl selbst, «wie sehr dadurch der Mut gehoben wird, den wir immer wieder brauchen, um die Feder nicht aus der Hand zu geben».
Ein Foto von Kurt Wyss zeigt, wie Dürrenmatt hinter den Kulissen des Basler Stadttheaters, über die Blätter auf einer schwarzen Kiste gebeugt, am Theaterstück «König Johann» feilt. Dürrenmatt war bekannt dafür, dass er nach den Proben über Nacht die Dialoge umschrieb.
Im Jahr 1968 übernahm Dürrenmatt zusammen mit Werner Düggelin das Direktorat am Basler Stadttheater. Nach einem Herzinfarkt und verschiedenen Differenzen brach er das einjährige Experiment ab.
Auf mehreren Aufnahmen ist Dürrematt in seiner Bibliothek und in seinem Arbeitszimmer in Neuenburg zu sehen, absorbiert am grossen Schreibtisch arbeitend oder über seine Zeichnungen und Bilder referierend.
Barbara Klemm fotografierte ihn in seinem Arbeitszimmer, wie er Gedanken versunken auf einem Stuhl sitzt, neben sich eine Tasse Kaffee, hinter sich das wandgrosse Gruppenporträt «Heilsarmee» des Malers Varlin. Der Zürcher Künstler war ein Freund Dürrenmatts, von dem er sich immer wieder inspirieren liess.
Mit Schalk in den Augen
Neben den Porträts des ernsten und nachdenklichen Dürrenmatts, zeigen die Bilder auch den humorvollen Dürrenmatt mit Schalk in den Augen. In so manchem Bild funkelt die blitzende Ironie durch, die man aus seinen Büchern kennt.
Da ist etwa das Foto von G. Keirat (1978), auf dem Dürrenmatt im Neuenburger Restaurant «Du Rocher» abgebildet ist: Ein Glas Weisswein zum Trinken angesetzt, ein Glas Rotwein auf dem Kopf jonglierend.
Herbert Peterhofer lichtete Dürrenmatt in dessen «Sixtinischer Kapelle» ab, einer öffentlichen Toilette in Neuenburg, die dieser mit Malereien verziert hatte. Auf der Klo-Schüssel sitzend blickt er verschmitzt in die Kamera, während ihn die nackte Frau und die drei finster dreinblickenden Männer von den Wänden zu beobachten scheinen.
Und da ist der grosse Denker im Swimming Pool. Mit hochgeschobener Brille liest er im Theaterheft zu seinem Stück «Die Panne», das er aus dem Wasser hält.
Viele der Bilder, die den privaten Dürrenmatt zeigen, wurden in seinem Haus in Neuenburg aufgenommen, wo er von 1952 bis zu seinem Tod lebte.
Ein Stück Konolfingen
Um darin das Centre Dürrenmatt unterzubringen, hat der Architekt Mario Botta Dürrenmatts letztes Domizil in einen mächtigen Museumsbau aus Beton integriert.
In ihrem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben ist die Bibliothek, auf deren weissen Holzregalen sich rund 4000 Bücher reihen.
In diesem Herzstück des Centre Dürrenmatt befindet sich auch ein Stück Konolfingen: Der lange antike Holztisch und die Stühle, bestickt von Dürrenmatts Mutter, stammen aus dem Pfarrhaus seiner Eltern im Emmental.
In der Bibliothek, wo etwa neben Goethe und Gotthelf die gesamte Ausgabe Karl Mays zu finden ist, steht auf dem Regal mit seinen eigenen Werken auch eine von der Einwohnergemeinde herausgegebene Publikation über Konolfingen.
Ein Indiz, wie sehr er mit seinem Heimatdorf verbunden war, hatte er doch Konolfingen in «Stoffe I-III» als hässlich bezeichnet.
Weite und Distanz
Er hasse die Idylle, sei kein idyllischer Mensch, hatte Dürrenmatt einst gesagt. Er sei deshalb froh, dass er von seinem Wohnort in Ligerz am Bielersee, den umliegenden Weinbergen und der Petersinsel wegkomme, liess er vor seinem Umzug in sein Haus in Neuenburg verlauten.
Hoch über dem Neuenburgersee auf einer Lichtung im Vallon de l’Ermitage, dem «Kleinen Tal der Einsiedelei», fand der Pfarrerssohn aus dem Emmental einen idealen Rückzugsort. «Warum soll ich am Kulturleben teilnehmen? Ich mache selber Kultur», so ein Zitat des Schriftstellers.
Dass das Haus in Neuenburg nicht idyllisch ist, kann man kaum sagen. Schaut man auf den See hinaus, wo sich das gegenüberliegende Ufer im Dunst auflöst, wird aus dem See ein Meer, eröffnet sich einem eine offene Weite.
Weite und Distanz hat sich Dürrenmatt auch im Leben stets bewahrt. Im Gegensatz zu Max Frisch litt Dürrenmatt nie an der Schweiz und ihrer Enge. «So radikal seine Kritik sein kann, eins war sie nie: Sie hat nie an provinziellen Phantomleiden gelitten, daran, dass die Schweiz ein kleines Land sei und gar nicht schicksalsträchtig wie andere», sagte Hugo Loetscher in seiner Rede zu Dürrenmatts 60. Geburtstag.
Der Schriftsteller, Dramatiker und Maler Friedrich Dürrenmatt wurde am 5. Januar 1921 in Konolfingen im Kanton Bern als Pfarrerssohn geboren. Als Dürrenmatt 14 Jahre alt war, zog die Familie nach Bern.
Dürrenmatt studierte in Bern und Zürich deutsche Literatur und Philosophie. 1946 brach er das Studium ab und wurde Schriftsteller.
Internationale Berühmtheit erlangte er mit seinen Theaterstücken Der Besuch der alten Dame (1956) und Die Physiker (1962)
Seine Stücke werden zu den wichtigsten des deutschsprachigen Theaters der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts gezählt.
Von 1952 bis zu seinem Tod lebte Dürrenmatt im Haus ob Neuenburg im «Vallon de l’Ermitage», wo sich heute das Centre Dürrenmatt befindet.
Dürrenmatt erhielt unter anderen den Grossen Preis der Schweizerischen Schillerstifung, den österreichischen Staatspreis für europäische Literatur und den Georg-Büchner-Preis.
Er starb am 14. Dezember 1990, wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag.
Die Fotausstellung «L’esprit Dürrenmatt» dauert bis am 20. März 2011.
Eine Veranstaltung im Dezember widmet sich der Astrophysik
im Werke Dürrenmatts, im März 2011 ist vom «Mythos des Geldes» die
Rede.
Eine grosse Ausstellung, die ab April gezeigt wird, ist Mario
Botta gewidmet, nach dessen Plänen das Centre Dürrenmatt erbaut wurde.
Neuenburg
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