Ein Bildhauer im Zentrum des Schweizer Pavillons
Der Walliser Künstler Valentin Carron vertritt die Schweiz an der Biennale in Venedig, deren 55. Ausgabe am Wochenende eröffnet worden ist. Zusammen mit dem Kurator Giovanni Carmine hat er ein Werk geschaffen, das vom Modernismus des Schweizer Pavillons in Venedig inspiriert ist.
Die Ausstellung beginnt mit einer 80 Meter langen Schlange aus Eisen. Sie hat zwei Köpfe, einer schaut nach draussen, der andere überwacht die Eingangstüre. Der Besucher muss ganz einfach den Spuren des Reptils folgen, das so dünn ist wie ein Wasserschlauch, um die Ausstellung, die aus Bildern und Skulpturen besteht, anzuschauen.
Carron folgt mit dieser Anordnung der Devise, wonach das Ziel zählt, sondern der Weg dorthin. «Für mich ist die Schlange ein Vorwand dafür, dass die Konstruktion den Raum respektiert. Ich sehe in der Schlange kein besonderes Symbol, davon gibt es schon genug», sagt Valentin Carron.
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Poesie ohne Strenge
Die Schlange windet sich über den Boden, aber auch den Mauern entlang. Sie verbindet die 17 ausgestellten Werke und ist das 18. Werk. Carron ist neugierig, er liebt die permanente Veränderung. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er arbeitet. «Wir haben vor neun Monaten damit begonnen, den Pavillon einzurichten», erzählt er. «Jede Woche hatte ich neue Ideen, neue Konzepte, neue Lösungen. Das Projekt hat sich ständig verändert, bis ich mich mit dem Kurator auf ein definitives Projekt geeinigt habe. Die Produktion der einzelnen Bauteile begann Ende des letzten Jahres.»
«Seine Arbeit taucht in die tiefsten Bedeutungen der Kunst ein und passiert den Filter seiner Heimat, den Kanton Wallis», analysiert Giovanni Carmine, der Kurator des Schweizer Pavillons. «Der Prozess war sehr kreativ und intensiv. Wir haben unsere Kräfte vereint. Er ist ein poetischer Künstler, der die Poesie über die formelle Strenge stellt.»
Die Biennale 2013 findet vom 1. Juni bis zum 24. November 2013 statt. Die Organisatoren erwarten eine halbe Million Besucherinnen und Besucher.
Gezeigt werden 4500 Werke von 158 Künstlern aus 37 Ländern.
Die Ausgabe 2013 umfasst 88 Länder-Pavillons. Zum ersten Mal ist der Vatikan in Venedig vertreten.
Die Biennale von Venedig findet seit 1895 alle 2 Jahre statt.
Wie Zappen
Die Schlange respektiert den nüchternen Baustil des Pavillons. «Für mich sind alle Bewegungen des 20. Jahrhunderts wichtig», sagt Carron. «Ich konzentriere mich immer wieder auf andere Sachen und Entwicklungen. Das ist wie Fernsehen, ich zappe hin und her. Für die Werke hier in Venedig war ich auf der Senderkette der 1960er-Jahre, also im Neorealismus.»
Das ist eine der Erklärungen für das ausgestellte Piaggio-Mofa aus dem Jahr 1967. Carron hat es restauriert, aber ohne sich um dessen Originalzustand zu kümmern. Während der Restaurations-Arbeiten hat er sich mehr um die Wünsche der Adoleszenz und um die Limiten der Geschwindigkeit, als um die korrekte Farbe gekümmert. Die innovative Kraft des Künstlers geht über das Original hinaus. Es gelingt ihm, einer bekannten Form neue Inhalte zu verleihen.
Geboren 1977 in Martigny im Kanton Wallis.
Er begann seine künstlerische Karriere nach einer Ausbildung an den Kunstgewerbeschulen von Siders und Lausanne im Jahr 2000.
2010 bestritt er eine Ausstellung im Palais de Tokyo in Paris.
Die Jury der Pro Helvetia hat ihn als Vertreter der Schweiz für die Biennale Venedig ausgewählt.
Neorealismus und Punk
«Er verbindet die Diskurse über Identität und Rückgewinnung miteinander, ohne ein Moralist zu sein», sagt Carmine. «Er setzt Techniken und interessante ästhetische Ideen frei, die mit der Zeit vergessen gingen oder auf eine zweideutige Art neu interpretiert wurden.»
Das trifft beispielsweise auf die Serie der ausgestellten Musikinstrumente zu. Carron hat sie zertrampelt, geknetet, in Bronze gegossen und an die Wände gehängt. Die Technik ist die des französischen Neorealismus, doch die Geste der Destruktion ist jene des Punk. Beim genauen Betrachten fällt auf, dass die Werke, die sich zu gleichen scheinen, allesamt unterschiedlich sind.
Keine Botschaft
Auch die Bildobjekte wecken Illusionen. Es sind in Fiberglas nachgebildete Kirchenfenster. Doch sie wirken wie abstrakte Gebilde aus Beton und Glas und stehen damit im Einklang mit dem Material, aus dem der Schweizer Pavillon gebaut ist.
«Ich habe kein Lieblingsmaterial», sagt Carron. «Alle Materialien erlauben es mir, neue Leute kennen zu lernen und neue Techniken zu erproben, um zu andern Resultaten zu kommen.» Seine Absicht ist es, einer Kunst, welche die Umgebung respektiert, Leben einzuhauchen und das ohne Absicht, damit eine Botschaft zu verbinden. «Dies ist eine Aufgabe für die Politiker oder die Philosophen», sagt Carron.
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