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Ein Festival lebt nicht nur von Weltpremieren

Keystone

Das 62. Internationale Filmfestival von Locarno ist zu Ende. swissinfo.ch zieht Bilanz mit Francine Brücher, zuständig für internationale Promotion bei swiss films, der Promotionsagentur des Schweizer Filmschaffens.

swissinfo.ch: Frau Brücher, Locarno 2009 ist Geschichte. Was war dieses Jahr anders als die letzten Jahre?

Francine Brücher: Dieses Jahr waren weniger Leute aus der internationalen Filmbranche in Locarno. Weniger ausländische Verleiher, aber auch weniger Fernseheinkäufer und Festivaldirektoren aus dem Ausland.

Trotzdem: Das Festival ist jedes Jahr ein wichtiger Begegnungort für die Branche, ein Platz, wo die Filmemacher in direkten Kontakt mit dem Publikum treten können, wenn sie ihre Filme präsentieren. Und das ist das Allerwichtigste.

swissinfo.ch: Könnte der geringere Andrang damit zusammenhängen, dass man dieses Jahr bewusst auf Glamour verzichtet hat?

F. B.: Ich glaube nicht. Aber es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass allgemein die Fernsehanstalten und die Verleiher weniger Filme kaufen. Es gibt so viele Filme jedes Jahr, es gibt so viele Koproduktionen, vor allem mit den Fernsehanstalten, dass die Schubladen schon voll sind.

swissinfo.ch: Was war für Sie das Highlight dieses Festivals?

F. B.: Für mich war das Highlight und der beste Schweizer Film «Giulias Verschwinden» von Christoph Schaub, der auf der Piazza Grande am Samstagabend, am 8. August, gezeigt worden ist.

Überhaupt war dieser Abend sehr gelungen. «Les Yeux de Simone», ein Hommage ans Kino, war der perfekte Kurzfilm für die Piazza. Dann «Julias Verschwinden» mit diesen fantastischen Schauspielern, und zum Schluss der wunderschöne Dokumentarfilm «Sounds and Silence» von Norbert Widmer und Peter Guyer. Das war ein starker Abend, nur mit Schweizer Filmen.

swissinfo.ch: War das Schweizer Filmschaffen in diesem Jahr in Locarno würdig vertreten?

F. B.: Ja, die Auswahl war sehr gut. Natürlich kann ein Festival-Direktor nur aus den fertig gestellten Filmen auswählen. Es gab garantiert ein paar Filme, die er gern gezeigt hätte, aber die nicht fertig waren.

Interessant, neben bekannten Meistern, bekannten Regisseuren ist immer noch Platz da für Newcomer, junge Leute, die mit einem Kurzfilm auf CD auftauchen. Das ist toll, denn der Filmemacher, der seinen ersten Kurzfilm hier zeigt, ist genauso wichtig wie Christoph Schaub, der seinen Film auf der Piazza zeigt.

swissinfo.ch: Man spricht momentan viel von der Finanzkrise, die sicher auch die Filmindustrie trifft. Ist es nun noch schwieriger, einen Film zu finanzieren?

F. B.: Für die Finanzierung des Budgets eines Films sehe ich es als nicht so tragisch an. Denn die Geldquellen sind die gleichen geblieben. Man muss sich vorstellen, beim Budget für einen Film geht es um die Filmförderung von Bern, es geht um die regionalen Filmförderungen, es geht um eine Koproduktion mit dem Schweizer Fernsehen und verschiedene andere Quellen. Ich würde sagen, da hat sich wenig geändert.

Aber die Leute gehen weniger ins Kino. Das hat sich geändert. Dadurch schrumpft der Anteil von Verleihern für die Finanzierungen. Und das wird in Zukunft wirklich fehlen.

Zudem ist die Konkurrenz sehr gross für die Schweizer Filme, weil im Ausland sehr viel produziert wird. Wissen Sie, wie viele Filme jedes Jahr allein in Europa produziert werden? Es sind 980! Und die wollen alle ins Kino. Sie wollen alle nach Cannes, Berlin und nach Locarno auf die Piazza Grande. Es ist unmöglich, dass so viele Filme gross rauskommen.

Die Schwierigkeiten kommen aus dieser Ecke. Es wird zu wenig Zuschauer geben für diese Filme, zu wenige Möglichkeiten, diese Filme ins Kino zu bringen.

Die Leute schauen sich zwar nach wie vor sehr viele Filme an. Die Zuschauerzahlen in den Kinos sind gut, aber das gilt nur für wenige Titel. Meist für amerikanische Filme.

swissinfo.ch: Die Ära Maire ist beendet, der Festivaldirektor geht. Nun kommt die Ära Père. Was wird sich Ihrer Meinung nach ändern?

F. B.: Père und Maire haben einen anderen Background. Beide haben ein wichtiges Festival geleitet, aber unter anderen Bedingungen. Zudem haben sie auch persönlich einen anderen Geschmack.

In der Organisation wird sich voraussichtlich nichts ändern. Aber wahrscheinlich in der Auswahl der Filme.

swissinfo.ch: In welche Richtung könnte das gehen?

F. B.: Vielleicht wird das Programm straffer, es gibt eventuell weniger Sektionen. Vielleicht auch weniger Weltpremieren, sondern einfach gute Filme, die auch schon woanders gezeigt worden sind, die aber das Publikum auf der Piazza garantiert noch nicht gesehen hat.

Man muss nicht unbedingt Weltpremieren haben, damit die Presse kommt und schreibt. Ein Festival ist für die Branche, die Presse, aber vor allem auch fürs Publikum.

swissinfo.ch: Maire hat seinen Abgang, sein letztes Festival, mit dem Einbezug von Mangas wesentlich geprägt. Hat sich das bewährt?

F. B.: Wie ich so höre, hat sich das Publikum sehr gefreut. Das sind Filme, die man selten sieht, vor allem die älteren. Dann waren die speziellen Programme für Kinder auch sehr wertvoll. Denn hier sind auch Familien in den Ferien. Ich bin sicher, die waren sehr dankbar, dass sie ihre Kinder ins Kino bringen konnten. Es war sehr originell als Idee. Ich finde, das war richtig, denn das hat vorher noch niemand gemacht.

swissinfo.ch: Aber die Besucherzahlen der Piazza Grande haben doch gerade bei den Manga-Filmen ziemlich nach unten gezeigt.

F. B.: Ja, da haben Sie schon recht. Vielleicht ist das zu fremd? Oder das Publikum hat das Gefühl, wenn ich einen gesehen habe, reicht das. Zudem ist es schwierig, ein Programm für jeden Geschmack zusammenzustellen.

swissinfo.ch: Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sieht Locarno 2015 aus?

F. B.: Ich denke, es wird immer noch viele Touristen hier in Locarno geben. Abends langweilen die sich vielleicht und gehen deshalb gern ins Kino. Und: So lange man noch so ein Festival finanzieren kann, eine tolle Qualität anbieten kann für die Vorführungen, wird das Publikum dankbar sein. Es wird sein, wie es die letzten 62 Jahre war.

Etienne Strebel, Locarno, swissinfo.ch

«She, a Chinese» von Xiaolu Guo hat den mit 90’000 Franken dotierten Goldenen Leoparden erhalten.

Gleich mit fünf Preisen brillierte «Nothing Personal» von Urszula Antoniak.

Christoph Schaubs «Giulias Verschwinden» wurde mit dem UBS-Publikumspreis ausgezeichnet.

Der Spezial- und der Regiepreis ging an Alexei Mizgirev für «Buben.Baraban».

Als beste Darstellerin wählte die Hauptjury Lotte Verbeek aus «Nothing Personal».

Den Titel «Bester Darsteller» erhielt Antonis Kafetzopoulos aus «Akadimia Platonos» von Filippos Tsitos.

In der nationalen Kurzfilm-Sektion «Leopards of Tomorrow» erhielten Chris Niemeyers «Las Pelotas» den Pardino d’oro und Christof Wagners «Nachtspaziergang» einen Silbernen Leoparden.

Die Stiftung swiss films ist die Promotionsagentur des Schweizer Filmschaffens. Sie ist auf Initiative der Filmbranche entstanden. Mit ihren Dienstleistungen will sie die Verbreitung und Bekanntheit von Schweizer Filmen im In- und Ausland fördern.

swiss films hat eine Leistungsvereinbarung mit dem Bundesamt für Kultur und der Kulturstiftung Pro Helvetia und wird von weiteren öffentlichen und privaten Stellen unterstützt.

Die Stiftung bietet dem Filmschaffen aus der Schweiz einen Promotionsservice und fördert den internationalen Vertrieb.

swiss films beschäftigt 17 Mitarbeitende.

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