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Ein Film über General Guisan – frei von Klischees

General Henri Guisan in Altdorf im Jahr 1944. SF

Vor fünfzig Jahren starb Henri Guisan. Der General verkörperte den Wehrwillen der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und wurde zum Symbol gegen die Bedrohung von aussen. Ein Dokumentarfilm wirft einen neuen Blick auf diese mythische Figur der Schweizer Geschichte.

Noch vor nicht allzu langer Zeit war General Guisan eine von Mythen umrankte Gestalt.

Die Art und Weise, wie er die Schweizer Armee durch den Zweiten Weltkrieg führte, wurde zum Kult verklärt, ein seltsames Phänomen in einem Land, das seit je herausragenden Figuren mit Skepsis begegnete.

Ein Blick auf die Stadtpläne von Schweizer Städten genügt, um sich von der Resonanz seines Namens zu überzeugen.

Fast überall gibt es eine Via Henri Guisan, einen Quai du Général Guisan oder sogar einen Guisanplatz.

Es ist auch anzunehmen, dass in einigen alten Gaststuben auf dem Land noch ein Porträt des Generals hängt.

Nationale Ausstrahlung

Die SRG SSR idée suisse widmet dieser Symbolfigur Anfang April einen 55-minütigen Dokumentarfilm, der landesweit in allen 4 Sprachregionen ausgestrahlt wird.

Das Sendedatum ist bewusst gewählt: Am 7. April 1960, also vor 50 Jahren, starb General Henri Guisan. Ungefähr 300’000 Menschen säumten die Strassen Lausannes und erwiesen dem General die letzte Ehre – es war die grösste Beerdigung in der Schweizer Geschichte.

Das Schweizer Fernsehen erkannte damals die Tragweite des Ereignisses und übertrug die Feierlichkeiten direkt und in voller Länge.

Werdegang eines Menschen

Nun widmet sich das Schweizer Fernsehen fünfzig Jahre später erneut dem Mythos Guisan und zeigt einen Dokumentarfilm mit dem nüchternen Titel «Der General».

Anlässlich der Vorführung in Bern verdeutlichte der stellvertretende Generaldirektor der SRG SSR idée suisse, Daniel Eckmann, mit Nachdruck, was der Film nicht ist: «Es ging nicht darum, die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs noch einmal aufzurollen, sondern den Werdegang eines Menschen zu zeigen.»

Unveröffentlichtes Archivmaterial vermittelt neue Aspekte zum Lebenslauf des Generals, und erst noch in Farbe. Interessant ist auch ein Dokument, das ein Treffen des Generals mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini zeigt.

Neu an diesem Dokumentarfilm ist nicht nur das gefundene Archivmaterial, sondern auch die Erzählperspektive. «Guisans Wirken wurde bislang nur in Teilaspekten beleuchtet, wir erzählen nun zum ersten Mal sein ganzes Leben», erläutert der Regisseur des Films, Felice Zenoni.

«Der General» dokumentiert den lückenlosen Werdegang von Henri Guisan, vom bescheidenen waadtländischen Gutsbesitzer bis zum Chef der Schweizer Armee und mythischen Landesvater.

Kein Lobgesang

Der Dokumentarfilm vermittelt durchaus ein sympathisches Bild des Generals. Es ist das Bild eines Mannes, der seinen Truppen verbunden ist, und dies in einer Zeit, als es für die militärische Führung noch gang und gäbe war, eine gewisse Distanz zu ihren Untergebenen zu kultivieren.

Auf politischer Ebene wird das Bild eines Patrioten gezeichnet, der sein Land entschlossen gegen die Bedrohung der Nazis verteidigt. Das Nationale Réduit, die Strategie der Verteidigungsanlagen in den Schweizer Alpen, wurde zum nationalen Symbol des Widerstands.

Trotzdem ist der Dokumentarfilm kein Lobgesang auf den General. Historiker und Zeitzeugen analysieren sein Handeln während dieser bewegten Zeit. «Wir wollten keine Hymne auf Guisan machen», so Felice Zenoni. «Das Ziel für mich als Journalist war einzig zu erzählen, was zu dieser Zeit geschah. Einige Sachen waren gut, andere weniger.»

Schattenseiten

Die wunden Punkte im militärischen Handeln von Henri Guisan waren zum Beispiel die zeitweilig engen Kontakte, die er mit den Kriegsführern unterhielt und welche die Neutralitätspolitik der Schweiz gefährdeten.

Seine Kontakte zum französischen Generalstab brachten die Schweiz in eine heikle Situation, als die Deutschen im Frühling 1940 Frankreich besetzten. Im März 1943 traf er den damaligen Chef der Spionageabwehr der SS, Walter Schellenberg, auf Schweizer Territorium, ohne die Regierung darüber zu informieren.

Auf politischer Ebene weist das Porträt des Generals auch einige Schatten auf. Man entdeckt einen sehr konservativen Menschen, der der Arbeiterbewegung ziemlich feindlich gegenüberstand. Auch seine Bewunderung für Mussolini, nach Ende des Krieges, lässt doch einige Fragen offen, meint Felice Zenoni.

Ein Bild verblasst

So populär er vor einigen Jahrzehnten noch war, so muss man heute doch feststellen, dass das Bild von General Guisan bei den jüngeren Generationen verblasst ist.

«Wir befinden uns vielleicht in einer Zwischenphase: Für jene, die in dieser Zeit gelebt haben, bleibt der General immer noch ein wenig ein Mythos. Für die Menschen von heute ist er jedoch nicht mehr so interessant», schätzt Regisseur Zenoni.

«Dennoch glaube ich, dass das Interesse wieder erwacht, denn je mehr Zeit vergeht, desto eher entdeckt man unsere Geschichte wieder.»

Olivier Pauchard, swissinfo.ch
(Aus dem Französischen von Christine Fuhrer)

Henri Guisan wird am 10. Oktober 1874 in Mézières (Kanton Waadt) geboren.

Nach dem Studium der Agronomie wird er Gentleman-Farmer in Pully (Waadt).

1894 wird er zum Offizier ernannt und erklimmt in der Folge die militärische Karriereleiter.

Während des Ersten Weltkriegs ist er Mitglied des Generalstabs im Grad eines Oberstleutnants.

Mit der Ernennung zum Brigadier (1927) und später zum Korpskommandant (1932) wird Guisan Berufsmilitär.

Das eidgenössische Parlament wählt ihn am 30. August 1939 mit 204 von 231 Stimmen zum General.

Er bleibt bis zum 20. August 1945 Chef der Schweizer Armee.

Am 7. April 1960 stirbt er auf seinem Landsitz in Pully.

In der Schweiz wird der militärische Grad des Generals nur in Kriegszeiten vergeben.

Der General wird durch das Parlament gewählt und ist in Kriegszeiten Oberkommandant der Schweizer Armee.

Bis heute hatte die Schweizer Armee drei Generäle: Guillaume-Henri Dufour (Sonderbundskrieg 1847), Ulrich Wille (Erster Weltkrieg 1914-1918) und Henri Guisan (Zweiter Weltkrieg, 1939-1945).

Während Friedenszeiten sind die höchsten Grade in der Schweizer Armee: Brigadier (1 Stern), Divisionär (2 Sterne) und Korpskommandant (3 Sterne).

Im Ausland hiessen sie Brigadegeneral, Divisionsgeneral und General des Armeekorps.

«General Guisan. Widerstand nach Schweizerart» von Markus Somm ist 2010 im Stämpfli-Verlag Bern erschienen.

Es ist die neuste Biografie über den populärsten Schweizer seiner Zeit.

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