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Ein Hund muss vor Gericht: Die Geschichte hinter einer schweizerisch-französischen Komödie

Ein Hund im Gerichtssaal sitzt vor einer Matte mit lauter bunten Knöpfen.
Er kämpft um sein Leben: Kodi alias Cosmos in einer Szene aus "Le Procès du Chien". © Bande à Part Films

Die Schauspielerin und Regisseurin Laetitia Dosch wurde für Le Procès du Chien in Cannes mit einem Preis ausgezeichnet, den es so noch nie gegeben hat. Mit SWI swissinfo.ch spricht sie über die Abgründe hinter ihrer Komödie – und verrät, warum sie beim Dreh miauen mussten.

Während viele Besucher:innen der Filmfestspiele von Cannes letzten Monat Sean Bakers Palme d’Or-Gewinner Anora bejubelten, brachte die Schweiz eine Auszeichnung mit nach Hause, die vor allem von denjenigen gefeiert wird, die einen ausgeprägten Sinn und eine tiefe Liebe für die besten Freunde des Menschen haben: den Palmenhund.

In Laetitia Doschs Regiedebüt Le procès du chien spielt der achtjährige Kodi die Hauptrolle: Cosmos, einen unruhigen und manchmal aggressiven Hund, dem die Einschläferung droht, nachdem er drei Menschen gebissen hat.

Er tritt in die Fussstapfen seines Hundekollegen Messi, dem Star des letztjährigen Palme d’Or-Gewinners Anatomie d’une chute (Anatomie eines Sturzes) von Justine Triet.

Leider stand Kodi nicht für Interviews zur Verfügung, aber Dosch erklärte sich freundlicherweise bereit, mit SWI swissinfo.ch auf der windigen Terrasse des Palais des Festivals in Cannes über Le procès du chien zu sprechen.

Die französisch-schweizerische Schauspielerin Dosch spielt ein ihrem Film auch eine Rolle: April, eine Anwältin in den Dreissigern, die sich bereit erklärt, Cosmos zu verteidigen und Dariush, seinen mürrischen menschlichen Begleiter, zu unterstützen.

Obwohl April anfangs keine besondere Zuneigung zu Hunden zeigt, verfällt sie nach und nach dem Charme von Cosmos.

Vor Gericht muss sich April mit der berüchtigten Anwältin und Politikerin Roseline Bruckenheimer auseinandersetzen, die darauf besteht, dass Cosmos zum Tode verurteilt wird.

Bruckenheimer versucht, das Gericht davon zu überzeugen, dass Cosmos nur Frauen beisst, sie bezeichnet ihn als «Frauenfeind». Damit löst sie eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen Feminist:innen, Umweltschützer:innen, Tierschützer:innen und Einwanderungsgegner:innen aus.

Laetitia Dosch, Regisseurin von "Le procès du chien", mit Kodi, dem Star ihres Films.
Laetitia Dosch, Regisseurin von «Le procès du chien», mit Kodi, dem Star ihres Films. Invision

Mit einem Pferd auf der Bühne

Dosch erklärt, dass dies nicht das erste Mal war, dass sie das Rampenlicht mit einem Tier teilen musste. Im Jahr 2018 inszenierte sie in Zusammenarbeit mit Yuval Rozman ein Theaterstück mit dem Titel Hate (Tentative de duo avec un cheval)Externer Link, in dem ihr Schauspielpartner Corazon, ein majestätisches, reinrassiges spanisches Pferd, war.

Nach der Aufführung sagte ihr Produzent zu Dosch, dass sie, wenn sie mit einem Pferd arbeiten könne, sehr wohl auch Regisseurin werden könne. «Was eigentlich nichts mit Regie zu tun hat!», sagt Dosch und lacht.

Wenn sie an das Stück zurückdenkt, sagt sie, dass Ökologie, Feminismus und unsere Beziehungen zu anderen Arten Themen sind, die sich durch ihre Arbeit ziehen.

Sie erzählt auch, dass die ursprüngliche Idee für den Film von einem Zuschauer ihres Stücks kam. Er hatte ihr von einem Prozess in der Schweiz erzählt, bei dem der Besitzer eines Hundes, der drei Menschen gebissen hatte, vor Gericht gestellt wurde, wobei dem Hund die Tötung drohte. Der Prozess löste Proteste und Debatten aus.

Bei ihren Recherchen zum Thema stiess Dosch auf einen ähnlichen Fall, der bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ging. Der Hund wurde getötet, noch bevor der Fall entschieden war.

Auf die Frage, was sie an diesen Fällen besonders reizte, antwortet Dosch, dass «der rechtliche Status von Tieren nicht klar definiert ist. Wenn die Antwort nicht klar ist, entsteht Leidenschaft – ein Raum, der es uns erlaubt, nachzudenken und tiefer zu graben».

Populismus und die Bestie Mensch

Le procès du chien ist ein Drama, das ernste soziale, ethische und politische Themen berührt. Inspiriert von Komödien mit chaotischen Protagonisten wie der Fernsehserie FleabagExterner Link und dem eigenartigen Humor von Louis C.KExterner Link, verkörpert Dosch einmal mehr eine chaotische Person, was an ihre früheren Rollen in Filmen wie Jeune femme und Justine Triets erstem Film La Bataille de Solférino erinnert.

Kodi und Dosch posieren mit der Schweizer Kulturministerin Elisabeth Baume-Schneider während der Soirée Suisse in Cannes.
Kodi und Dosch posieren mit der Schweizer Kulturministerin Elisabeth Baume-Schneider während der Soirée Suisse in Cannes. Keystone / Jean-Christophe Bott

Als Regisseurin und Drehbuchautorin trifft sie mit ihren Beobachtungen über populistische Führer:innen ins Schwarze, die von der Figur Bruckenheimer verkörpert werden.

In einem Kontext mit Politiker:innen wie dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump oder Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National dient Bruckenheimers Charakter als bittere Erinnerung daran, wie leicht die öffentliche Meinung manipuliert werden kann.

Der Versuch, Parallelen zwischen der Situation von Frauen, Einwanderer:innen, Tieren und anderen benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft zu ziehen, erscheint jedoch als ein recht ehrgeiziges Unterfangen. Und so wird denn auch der humorvolle Ton dem der thematischen Breite, die der Film zu beleuchten versucht, nicht ganz gerecht.

Dosch versucht bei alledem aber nie, den Zuschauer:innen eine Meinung aufzudrücken. Der Film bleibt undogmatisch und mit ihrer Figur bringt sie ihre eigene Verwirrung im Angesicht einiger der adressierten Probleme zum Ausdruck.

Haustiere und Tiere an den Wänden

Dosch hat schon lange eine Verbindung zu Tieren. «Ich glaube, das hängt auf eine seltsame Art und Weise mit meiner Kindheit zusammen. Ich lebte bei meinen Onkeln und Grosseltern. Es gab viele Menschen im Haus, aber auch viele Tiere. In unserem Haus gab es Haustiere, die wie unsere Freunde waren, aber es hingen auch präparierte Tiere an den Wänden.»

Ein Hund aufrecht auf den Hinterbeinen
Kodi bei der «Palm Dog»-Veranstaltung. 2024 Invision

Ihr Grossvater war ein Ornithologe. «Er liebte Vögel», sagt sie. «Seine Art, seine Liebe zu zeigen, bestand darin, zu den Nestern zu gehen, die Eier zu stehlen, sie in Schachteln zu legen und eine Sammlung anzulegen. Er hatte eine der grössten Eiersammlungen in Europa. Die Frage, ob man respektiert, was man liebt, oder ob man ohne Respekt liebt, ist also seit meiner Kindheit sehr präsent.»

Dosch beschreibt das Casting für den niedlichen, aber lästigen Hund im Film als entscheidend. Sie und ihr Team hätten sowohl die Hundetrainer:innen als auch deren Hunde beobachtet. Viele von ihnen, so Dosch, führten mit ihren Hunde regelrechte Kunststücke vor.

Nach mehreren erfolglosen Versuchen sprach sie eines Abends im Radio über das Casting und bekam später Kodis Showreel zugeschickt. «Kodi war ein ganz besonderer Hund», sagt sie. «Er hatte jahrelang auf der Strasse gelebt, wurde dann gerettet und begann, mit seinen Hundetrainern zu arbeiten.»

Der Hund heulte nicht

Die grösste Herausforderung für Dosch und ihr Team stellte sich, als sie herausfanden, dass Kodi nicht heulen konnte: «Wir hatten Angst, weil es für das Drehbuch sehr wichtig war», so Dosch. «Wir fragten das Team für Spezialeffekte, ob sie das Heulen nachahmen könnten, aber das war so teuer. Schliesslich fanden sie heraus, dass Kodi heulte, wenn sie das Miauen eines Kätzchens imitierten.»

Auf die Frage, was genau Kodi für die Rolle des Cosmos geeignet machte, lobt Dosch seine körperlichen Talente.

«Ich mochte all die Emotionen und die Vitalität, die er im Gesicht hatte. Wenn man sich sein Showreel anschaut, kann man sehen, dass er unglaubliche Dinge tun kann. Ich habe all diese Tricks in das Drehbuch geschrieben, aber beim Schnitt habe ich beschlossen, fast alles zu streichen, bis auf eine Szene im Gerichtsgebäude, die für die Handlung wichtig war. Hätte ich sie beibehalten, hätte Kodi wie ein Show-Hund ausgesehen, und das wollte ich nicht.»

Zwei Frauen, zwei Hundefilme

Zu Triet, mit der Dosch 2013 für La Bataille de Solférino zusammenarbeitete, sagt Dosch, sie habe sie vor 13 Jahren bei einem Konzert kennengelernt, und bei beiden habe es Klick gemacht.

Dosch und Triet haben auch eine recht zufällige Verbindung, da beide bei einem Gerichtsdrama mit einem Hund Regie führten, die im Abstand von nur einem Jahr in Cannes liefen.

Justine Triet mit ihrer Goldenen Palme
Justine Triet mit ihrer Goldenen Palme bei den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes. Keystone-EPA/Guillaume Horcajuelo

«Das ist eine sehr lustige Geschichte», sagt Dosch. «Vor vier Jahren kamen wir beide aus Cannes zurück und sassen uns gegenüber. Sie erzählte mir, dass sie einen Film über einen Prozess schreibt, und ich sagte: ‹Ich auch!› Sie sagte, in ihrer Geschichte komme ein Hund vor. In meiner kam auch ein Hund vor! In ihrem Drehbuch gab es ein Kind und eine blinde Figur, und in meinem auch. Ich konnte nicht anders als zu denken: ‹Jetzt bin ich ruiniert!› Scherz beiseite, ich hatte tatsächlich Angst. Ich habe sogar darüber nachgedacht, das Thema zu wechseln, an dem ich ein Jahr lang gearbeitet hatte. Ich weiss es ehrlich gesagt nicht, die Koinzidenzen waren wahrscheinlich ein Produkt unseres Unterbewusstseins.»

Editiert von Virginie Mangin and Eduardo Simantob/ts, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger

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