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Ein Leben zwischen Ostern und Ramadan

Jasmin El-Sonbati, Autorin des Buchs "Moscheen ohne Minarett". Susanne Schanda

Von der Minarett-Debatte aufgeschreckt, hat sich die Schweizer Muslimin Jasmin El-Sonbati auf eine Reise zu sich selbst gemacht. In ihrem Buch "Moscheen ohne Minarett" erzählt sie, was es heisst, als muslimisches Mädchen in der Schweiz aufzuwachsen.

«Ahlan we sahlan», sagt Jasmin El-Sonbati zur Begrüssung auf Arabisch und wechselt dann ins Baseldeutsche. «Ich bin gerade erst aus Wien zurück, deshalb sieht es hier noch nicht so wohnlich aus», erklärt sie und weist auf das fast leere Büchergestell. Sie habe ihre Wohnung in Basel während ihres einjährigen Aufenthalts in Ägypten untervermietet gehabt.

Jetzt bringt sie Tee und Gebäck auf den Balkon über einem verwilderten Garten hinter dem Haus. Ende Vierzig war sie, als sie für ein Jahr nach Kairo zog, um dort ein Buch über ihr Leben als Muslimin in der Schweiz zu schreiben.

In Kairo hatte sie in den 1960er-Jahren ihre Kindheit verbracht, bevor sie mit ihrer Familie in die Schweiz zog. In Ägypten habe sich seither viel verändert.

«Armut und Analphabetismus haben massiv zugenommen. Der Islam hat sich bis in die hinterste Ecke des Alltags ausgebreitet, und zwar nicht dessen innere Werte, sondern die äusseren Zeichen, das Kopftuch, die Vollverschleierung, die Frage, was haram und halal (religiös verboten und erlaubt) ist.»

Man spüre die Hinwendung zum Islam aus Frustration über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse“, sagt die Muslimin.

Eine Brücke gegen Vorurteile

Sie hielt sich in Kairo auf, als in der Schweiz die Minarettverbots-Initiative angenommen wurde. «Es erschreckte mich, dass in einem demokratischen Land so extremistische Haltungen eine Mehrheit finden können», sagt sie.

Dabei sei ihr bewusst geworden, wie wenig die Schweizerinnen und Schweizer über die Muslime wissen. Mit ihrem Buch wolle sie eine Brücke bauen, um den Vorurteilen auf beiden Seiten zu begegnen.

Eindrücklich beschreibt sie ihre Kindheit und Jugend zwischen Kairo, Wien und Rheinfelden in einer Zeit, als Muslime und der Islam in der Schweiz noch kein Thema waren und ihre Familie Weihnachten und Ostern ebenso feierte wie das Ende des Fastenmonats Ramadan.

Sie macht deutlich, wie sie mit ihrer Integration ins Schweizer Umfeld weniger Mühe hatte als mit den konservativen Wertvorstellungen und Benimm-Vorschriften ihrer Eltern.

Obwohl weder die katholische Mutter noch der muslimische Vater viel Aufhebens um die Religion machten, verboten sie der halbwüchsigen Tochter zahlreiche Freizeitvergnügen mit Hinweisen wie «das entspricht nicht unserer Tradition, was denken die Leute, das gehört sich nicht».

Zu den familiären Tabus gehörten auch ungezwungene Begegnungen mit jungen Männern. Sie war bereits 30, als sie von zuhause auszog, und selbst dies bedeutete einen dramatischen Bruch mit der Familie.

Engagement für zeitgemässen Islam

Erst nach dem Schock der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA begann sich Jasmin El-Sonbati intensiver mit dem Islam auseinanderzusetzen. «Ich wollte verstehen, wie es dazu kommen konnte, was sich da im Namen meiner Religion zusammenbraute», sagt sie.

Ihr Buchtitel «Moscheen ohne Minarett» klingt wie ein SVP-Slogan, ist aber keinesfalls so gemeint, wie die Autorin betont: «Ich sehe das Minarett als das Sprachrohr der Moschee, das in einem stereotypen Feindbild für einen kriegerischen Islam steht, der sich ausbreiten wolle. Ich möchte dagegen zur Debatte stellen, was in den Moscheen passiert, wo der Islam heute steht.»

El-Sonbati kritisiert, dass in zahlreichen Moschee-Vereinen der Schweiz Geschlechtertrennung herrsche. Sie möchte den Islam an die heutige Zeit anpassen: «Ich sehe nicht ein, dass wir heute nach Regeln leben sollten, die vor 1300 Jahren festgelegt wurden.»

Verschleiert unterwegs

Und die islamische Kopfbedeckung? Im Ägypten ihrer Kindheit habe sie kaum Frauen mit Kopftuch gesehen, doch jetzt würden rund 90 Prozent der Ägypterinnen den Hijab tragen, und auch die Ganzkörperverschleierung (Niqab) sei im Vormarsch.

In ihrem Buch beschreibt die Autorin, wie sie in Kairo einen Selbstversuch im Tragen des Niqab macht. «Ich fühle mich erstaunlich wohl», stellt sie irritiert fest, als sie mit dem schwarzen Ganzkörperschleier, der nur einen Sehschlitz offen lässt, durch Kairos Strassen zieht.

«Ich weite mich aus. Schreitend und schwebend bewege ich mich fort. Ziemlich peinlich ist mir jedoch die Tatsache, dass ich mich schön finde.» Dann spürt sie, wie die Männer ihren Blick suchen.

Der Schleier, der angeblich die weiblichen Reize vor der männlichen Begierde schützen soll, wirkt im Gegenteil als Verstärker: «Noch nie fühlte ich mich mehr als Objekt der Begierde als hier, nach Vorschrift mustergültig vermummt, zum stolzen Preis von fünfzig Euro.»

Den Islam nicht den Fundamentalisten überlassen

Sie bekommt kaum noch Luft unter dem Tuch und ihre anfängliche Faszination schlägt in Wut um. In der Damentoilette eines Luxushotels befreit sie sich vom Niqab. Trotz dieser Erfahrung ist sie gegen ein Verbot der Ganzkörperverschleierung.

«Als liberale Frau in einer freiheitlichen Gesellschaft akzeptiere ich es, wenn eine Frau den Niqab tragen will. Allerdings muss über den öffentlichen Raum verhandelt werden. Am Bankschalter, an der Landesgrenze, am Steuer eines Autos, an Schulen und in der Politik steht der Gesichtsschleier im Weg.»

Verhandeln, vermitteln, hinterfragen – das ist es, was die kritische Muslimin will: «Wir dürfen den Islam nicht den Fundamentalisten überlassen.»

Susanne Schanda, swissinfo.ch

Als Tochter einer österreichischen katholischen Mutter und eines ägyptischen muslimischen Vaters 1960 in Wien geboren, wuchs Jasmin El-Sonbati vorerst in Kairo auf.

1971 übersiedelte die Familie in die Schweiz.

In Basel und Wien studierte die Autorin Romanistik und arbeitet heute als Gymnasiallehrerin in Basel.

Die Muslimin ist Gründungsmitglied und Vizepräsidentin des seit sechs Jahren bestehenden Forums für einen fortschrittlichen Islam in Zürich.

Im August 2010 erscheint ihr Buch «Moscheen ohne Minarett. Eine Muslimin in der Schweiz» im Zytglogge Verlag.

In der Schweiz leben rund 400’000 Muslime und Musliminnen. Die meisten von ihnen stammen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei.

Nur 15% der Muslime in der Schweiz praktizieren ihren Glauben und sind in religiös ausgerichteten Vereinen organisiert.

In der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) sind 140 Vereine zusammen geschlossen.

Die überwiegende Mehrheit lebt ihren Glauben privat oder gar nicht und ist nicht organisiert.

Das Forum für einen fortschrittlichen Islam versteht sich als Plattform der Diskussion für Schweizer Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Konfession, Muslime ebenso wie Christen und Juden.

Im November 2009 hat sich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung für eine Verankerung eines Minarettverbots in der Bundesverfassung ausgesprochen.

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