David Lynch lässt uns in seine Seele schauen
Die Initianten des International Photo Festival Olten eröffnen im ehemaligen Naturmuseum ein Museum für Fotografie. Den Auftakt macht eine Ausstellung des amerikanischen Kult-Regisseurs und Künstlers David Lynch – ein Paukenschlag.
Ein älteres Ehepaar klopft an die verschlossene Tür des neuen Museums in der Altstadt von Olten. Es ist kurz vor Mittag und das Museum ist eigentlich geschlossen. Doch die beiden älteren Kulturinteressierten sind eigens aus Winterthur angereist und Remo Buess, der Co-Direktor des Hauses lässt sie trotzdem eintreten. Er kassiert die beiden Eintritte und führt sie hinein – und gibt ihnen eine vorsichtige Warnung auf den Weg: die Ausstellung sei eher schwierig und anspruchsvoll.
Tatsächlich. Der Rundgang über die drei Etagen und durch die vielen Räume kommt einer Fahrt mit der Geisterbahn nahe. Der Titel der Ausstellung «Infinite Deep» ist Programm, in die unendliche Tiefe unserer Seele will Lynch uns mit hineinziehen.
Wer Lynch’s melancholisch-düsteren und bisweilen auch verstörenden Filme «Elephant Man», «Eraserhead» oder «Blue Velvet» kennt, kann in dieser Ausstellung entdecken, wie sich der Regisseur seinen Filmbildern über die Fotografie angenähert und diese erarbeitet hat.
Viele der Bilder hinterlassen bei genauem Hinsehen einen Schauder, ein Gefühl des Unwohlseins, das beinahe physisch zu spüren ist. So zum Beispiel die Serie «Distorted Nudes» (1999). Die Fotos hängen als kompakte Gruppe in einem kabinettähnlichen Raum. Aus der Distanz sehen die Bilder aus wie biedere Erotikaufnahmen aus dem späten 19. Jahrhundert. Beim Nähertreten erkennt man die mit Hilfe von Photoshop verstümmelten Körper und teilweise neu zusammengesetzte Gliedmassen in den unmöglichsten Positionen – Frankenstein und Francis Bacon lassen grüssen.
Eine weitere Serie präsentiert sich auf den ersten Blick als harmlos. Die Bilder von Schneemännern in den Gärten amerikanischer Vorstadtsiedlungen haben vorerst nichts Bedrohliches an sich. Doch die Bilder sind grau und der Zauber des weissen Schnees ist weg, die lachenden Gesichter erscheinen als Fratzen, die Körper, obwohl rund, vielmehr als Vogelscheuchen. Alles scheint erstarrt, nur der graue, schmutzige Schnee schmilzt langsam weg.
Ein Museum als Abenteuer
Das ehemalige Naturmuseum in Olten wurde ursprünglich als Schulhaus gebaut. Der Umbau zum Fotomuseum ist gelungen. Hinter dem Projekt steht der Verein International Photo Festival OltenExterner Link (IPFO).
Buess und Christoph Zehnder teilen sich die Verantwortung für das neue Museum, der künstlerische Direktor im Hintergrund ist Marco GrobExterner Link, ein Fotograf mit Oltener Wurzeln, der sich als Porträtfotograf von Stars in New York weltweit einen Namen gemacht hat. Es sind vor allem seine Kontakte und sein Anspruch an Qualität und Professionalität, die dem Verein einen Stempel aufdrücken.
Für die aktuelle Ausstellung konnte das neue Haus Nathalie Herschdorfer als Kuratorin verpflichten. Die international gut vernetzte Spezialistin für Fotografie ist selbst Direktorin des Kunstmuseums in Le LocleExterner Link, wo sie bis vor kurzem eine Ausstellung mit dem frühen fotografischen Werk von Stanley Kubrick zeigte. Auch er ist in ersten Linie als Filmregisseur mit Kultstatus bekannt.
«Nachdem wir von der Stadt das OK bekommen hatten, ging alles sehr schnell. Wir müssen zwar keine Miete bezahlen, haben aber viele Stunden unserer Freizeit in den Umbau gesteckt. Auch das Vereinsvermögen des IPFO und darüber hinaus einiges an privatem Geld ist ins Museum geflossen. Zu den David Lynch Bildern kamen wir über einen Kurator in Kopenhagen, da konnten wir mit aufspringen und die Ausstellung in Europe nun als erste zeigen» erzählt Remo Buess in einem Aufenthaltsraum im Keller des Hauses.
Das Museum ist auch ein Abenteuer: «Wir sind unerfahren und haben noch nie ein Museum betrieben. Wir waren immer mit allem einen kleinen Schritt im Rückstand, und schon stellte sich die nächste Frage. Diesen Zustand kannten wir allerdings, auch unser Foto-Festival ist so entstanden.» Das Selbstvertrauen eines Marco Grob im Hintergrund ist ansteckend, die guten Erfahrungen mit der Organisation der beiden Festivals sind es auch. Man sieht keinen Grund Halt zu machen und keinen Raum für falsche Bescheidenheit. Buess ist zufrieden: «Das Resultat kann sich sehen lassen.»
David Keith Lynch
wurde am 20. Januar 1946 in Missoula, Montana geboren. Er ist ein US-amerikanischer Künstler, der als Filmregisseur, Filmproduzent, Drehbuchautor, Schauspieler aber auch in der bildenden Kunst und mit Musik arbeitet. Bekanntheit erlangte Lynch vor allem durch seine surrealistischen Filme, die sich auch dem Genre des Film noir zuordnen lassen. Lynchs albtraumhafte Bilder und das bedrohliche Sounddesign sind die bestimmenden stilistischen Elemente. Albträume, fremde Welten, Metamorphosen, Voyeurismus und das Unbewusste sind wiederkehrende Themen in seinen filmischen Werken.
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