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Ein Pariser Schatz im Berner Jura

Malerei aus dem 18. Jahrhundert.
Nordwand der Metamorphosen-Tapete. Manufaktur Arthur & Robert, Paris, nach 1789. Musée national suisse

Eine heute im Museum ausgestellte prachtvolle, 15 Meter lange Tapete stammt ursprünglich aus einem unauffälligen Bauernhaus im heutigen Berner Jura. Leisten konnte sich der Besitzer den exklusiven Wandschmuck wohl dank Schmuggel-Geschäften.

Man stelle sich jurassische Weiden vor, Trockenmauern, Tannen und eine frische Brise… Inmitten dieser Landschaft, an der Strasse von Saint-Imier nach La Chaux-de-Fonds, in La Cibourg, befindet sich ein Bauernhof, genannt «La Bise noire». Zugunsten der Sonneneinstrahlung ist dessen weisse Fassade nach Süden ausgerichtet und präsentiert sich würdevoll symmetrisch, mit Pilastern als Windschutzmauern und einer geschwungenen, getäfelten Laube.

Doch eigentlich ist es kein Bauern-, sondern ein ländliches Herrenhaus. Auf jeden Fall wussten die Menschen in der Region anscheinend, dass hinter diesen dicken Mauern ein Schatz verborgen liegt, denn sie nannten das Anwesen das «Château».

Alter Bauernhof
Der Bauernhof «La Bise Noire» in La Cibourg im Berner Jura. Étude des maisons rurales en Suisse & Service des monuments historiques du canton de Berne. Photo: Jacques Bélat, 2013

Aus diesem Gebäude stammt eine prunkvolle Wanddekoration, die man in einem grossen Palast statt einem Landhaus erwarten würde: Eine 15 Meter lange Tapete aus der Zeit am Ende des 18. Jahrhunderts. Sie stammt aus einer der besten Pariser Manufakturen und stellt über drei Wände hinweg ausgewählte Szenen aus Ovids Metamorphosen dar. Iphigenie wird zum Opferaltar geführt, Daphne in einen Lorbeerbaum verwandelt, Eurydike von einer Schlange gebissen und Orpheus bezaubert die Tiere.

Die Faszination dieser Wanddekoration liegt einerseits in der ausgeglichenen Bildkomposition, die zwischen Bögen und Pilastern alterniert, und andererseits in den grauen Farbschattierungen der Bildtafeln, die mit der strahlenden Farbenpracht der Blumen kontrastiert. Das Ganze wurde mit Holzplatten gedruckt, eine pro Farbe – im Falle des Blumendekors sind das 16 verschiedene Farben! Wie konnte eine so prachtvolle Tapete im tiefsten Jura landen?

Papier peint représentant les métamorphoses d Ovide
Westwand der Metamorphosen-Tapete. Manufaktur Arthur & Robert, Paris, nach 1789. Musée national suisse

Des Rätsels Lösung liefert Charles-François Robert, Erbe und Eigentümer von «La Bise noire». 1795 heiratete er Eléonore Humbert-Droz. Die Hochzeit war die beste Gelegenheit, die Innenräume neu einzurichten und die Tapete anzubringen. Wer aber war dieser Charles-François Robert?

Er wurde am 22. Juli 1769 in Renan als Sohn von Samuel Robert geboren, einem Weinhändler aus der Region Montagnes neuchâteloises und Mitglied der Kirchgemeinde von Saint-Imier, Le Locle und La Chaux-de-Fonds sowie Bürger von Valangin. Charles-François trat in die Fusstapfen seines Vaters.

Gemälde eines Paares.
Porträt von Charles-François Robert und seiner Gattin Eléonore, geborene Humbert Droz, gemalt von Joseph Reinhart, um 1797. Mit der blau-weiss-roten Kokarde, die auf seinem Zweispitz prangt, bekundet Robert Sympathie für die Französische Revolution. Musée national suisse

Wie teuer war eine Tapete aus Paris? Und wie konnte sich ein Weinhändler aus dem Berner Jura einen solchen Wandschmuck überhaupt leisten? Auf der Rückseite einer Lünette des Wandschmucks ist der Preis handschriftlich mit Tinte notiert: 15 Pfund. Diese Summe entspricht etwa fünf bis sieben Arbeitstagen eines Tapezierers in der renommierten Pariser Manufaktur Réveillon.

Basierend auf Hochrechnungen sowie Vergleichen mit anderen Tapeten, bei denen die Preise bekannt sind, lässt sich auf Gesamtkosten von rund 2000 Pfund vom Kauf bis zur Anbringung schliessen. Dies entspricht durchschnittlich fünf Jahresgehältern eines Fabrikarbeiters in der Fabrique-Neuve, einer Indiennes-Manufaktur in Neuenburg.

Folglich handelt es sich ganz klar um ein hochwertiges Luxusgut mit einem Preis, der vergleichbar ist mit demjenigen der Dekorationen der Pariser Manufaktur Arthur & Robert im Tuilerien-Palast der königlichen Familie der frühen 1790er-Jahre. Charles-François Roberts finanzielle Mittel überstiegen also diejenigen eines einfachen Weinhändlers scheinbar bei weitem. Aber: War er wirklich ein einfacher «Weinhändler»?

Handgeschriebene Inschrift
Der auf der Rückseite einer Lünette vermerkte Preis von 15 Pfund. Musée national suisse

Im 18. Jahrhundert waren die Grenzen des Fürstentums NeuenburgExterner Link insbesondere zu Frankreich und dem Bistum Basel Schauplatz verschiedener SchmuggelgeschäfteExterner Link: Getreide, Stoffe, Salz, Tabak, Uhren, Alkohol usw. Ein Problem, das den Behörden Sorgen bereitete, wie mehrere Urteile des Staatsrats belegen, darunter etwa ein Bericht über die Machenschaften eines Betrügers, der Lebensmittel illegal von La Chaux-de-Fonds nach Besançon beförderte.

Hinzu kam, dass der französische Wein sich in der Region Montagnes neuchâteloises und im Val-de-Travers grosser Beliebtheit erfreute. Die Rotweine aus der Freigrafschaft Burgund fanden wegen ihrer günstigen Preise im Vergleich zu den «unten» in der Neuenburger Region Littoral produzierten Weinen grossen Anklang.

Um die Interessen der Neuenburger Produzenten zu wahren, verfolgte der Staatsrat eine sehr protektionistische Politik und schloss die Grenzen so weit wie möglich für ausländische Weine. Das wiederkehrende Streitthema intensivierte die Spannungen zwischen den Behörden und der Bevölkerung der Neuenburger Berge nur weiter.

Vor diesem Hintergrund scheint es denkbar, dass Charles-François Robert sich am Schmuggel von Weinen, Likören oder auch anderen Gütern beteiligte – vor allem, da sich der Handel buchstäblich vor seiner Nase abspielte.

Der Bauernhof «La Bise noire» befindet sich an der Strasse zwischen Saint-Imier und La Chaux-de-Fonds, die zwischen dem Bistum Basel und der Region Neuenburg über die Grenze führte. Diese Strasse gehörte zu den Schmuggelrouten.

Bleibt die Frage, wo Charles-François Robert die Tapete erworben hatte. Er kannte Besançon durch geschäftliche Aufenthalte gut, wie ein Passierschein aus einem privaten Archiv belegt. Besançon liegt rund 100 Kilometer von La Cibourg entfernt und pflegte seit langem Handelsbeziehungen mit Neuenburg, insbesondere im Uhrenbereich. Dort hätte Robert die Wanddekoration der Metamorphosen erstehen können, da mehrere Tapetenhändler in der Stadt der Freigrafschaft Burgund florierende Geschäfte besassen.

Die Entscheidung, seinen Salon mit einer prunkvollen, kostspieligen Tapete zu schmücken, war wahrscheinlich Teil seiner Strategie zur Selbstdarstellung: Charles-François Robert wollte seinen Reichtum einem ausgewählten Kreis offenbaren (Familie, Freunde, Kunden), ihn aber nicht vor aller Augen ausbreiten. Wer hätte auch ahnen können, dass sich hinter den dicken Mauern seines Bauernhofs ein solcher Wandschmuck verbirgt?

SWI swissinfo.ch veröffentlicht regelmässig Artikel aus dem Blog des Schweizerischen Nationalmuseums, der sich mit historischen Themen befasst. 

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