Eine Geschichte, die ans Herz geht
Im November erscheint das Buch "Die Freiburger und ihre Nachkommen in chilenisch Patagonien" von Roger Pasquier auf Französisch. Im März 2009 wird das Museum von Greyerz dem Buch eine Ausstellung widmen.
Die Ermordung einer Verwandten im Jahre 1888 bewog Pasquier, mehr über das Schicksal seiner nach Chile ausgewanderten Familienangehörigen zu erfahren. Auf Einladung der chilenischen Regierung waren die Vorfahren vor 130 Jahren in die Gegend von Magallan ausgewandert.
«Vom Schiff aus beobachtet die 16-jährige Marie mit einem Bündel ihrer hübschen Kleider unter dem Arm das Ufer des Landes, wo sie von nun an leben wird. Dort befindet sich das Kaff Punta Arenas. In der Nacht vom 21.Mai 1877 ankert die ‹Liberia› in der Bucht.»
So beginnt das Buch von Roger Pasquier. In seinem Werk stillt er die Neugier über das Los seiner Vorfahren, die vor mehr als hundert Jahren ausgewandert waren.
Tod an Weihnachten
«Mein Onkel, die Brüder meiner Grossmutter und mein Vater erzählten mir von ihrem dramatischen Schicksal: Eine der Ehefrauen wurde in einer Weihnachtsnacht in Punta Arenas von Banditen ermordet. Sie überfielen sie, als sie mit einem der Kinder allein zu Hause war, während die übrige Familie an der Weihnachtsmesse teilnahm. Sie raubten sie aus, ermordeten sie und steckten das Haus in Brand», erzählt Pasquier.
Das Unglück seiner Verwandten, eine der elf Familien der «Liberia», ereignete sich 1888 und weckte in Pasquier den Wunsch, nach Nachkommen der Unglücklichen zu suchen. «Es ist eine Geschichte, die mir ans Herz geht und die in der Erinnerung unserer Familie lebt», sagt er sichtlich bewegt.
Erst auf Spanisch, nun auf Französisch
Ausgerechnet an einer Weihnacht (2004) gelang es Pasquier zum ersten Mal, mit einer Verwandten Kontakt aufzunehmen: María Inés Baeriswil. Eine lange Suche im Internet führte zum Erfolg. Auch María Inés hatte ihrerseits versucht, ihre Verwandten in Freiburg ausfindig zu machen.
So begannen die zahlreichen Reisen des pensionierten Entwicklungshelfers nach Punta Arenas. Nach und nach füllte sich sein Notizbuch mit Einzelheiten über die Auswanderung der Freiburger.
Pasquiers Buch ist gleichzeitig ein Familienvermächtnis, ein Zeugnis der Freiburger Auswanderung und eine Erinnerung an den helvetischen Exodus am Ende des 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts.
Dank Pasquier konnten mehrere Freiburger ebenfalls mit ihren Verwandten auf der anderen Seite des Atlantiks Kontakt aufnehmen. Die chilenische und auch die Schweizer Presse interessierten sich für die schwarz-weiss gefleckten Freiburger Kühe, die wahrscheinlich um 1930 nach Patagonien exportiert wurden. Dort sollen sie überlebt haben. In der Schweiz sind sie längst ausgestorben.
Auf der Suche nach Ackerland
Zeugenaussagen, alte Dokumente, Briefe und Fotografien illustrieren das Buch und berichten von den Erfolgen und Missgeschicken der Auswanderer.
«1879 erwähnt der Freiburger Staatsrat zum ersten Mal die Krise der Landwirtschaft. Zur selben Zeit eröffnet sich den Bauern die Möglichkeit, auf Einladung der chilenischen Regierung dort Land urbar zu machen. Das Land können sie auf Kredit kaufen für 50 Cents pro Hektare oder umgerechnet Fr.2.50 jener Zeit», schreibt Pasquier. Damals betrug der Preis für eine Hektare in der Schweiz ungefähr 3200 Franken.
Die für die Besiedlung der Gegend von Magallan rekrutierten Freiburger erwartete eine schwierige Aufgabe. Sie mussten erst Viehzucht und Milchwirtschaft aufbauen. Sie trafen ein unwirtliches Klima und kamen in eine Gegend, wo sich zwar schon ungefähr 500 chilenische Familien angesiedelt hatten, aber wo vorwiegend der Wind herrschte.
Dank ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse und ihrer Ausdauer vermochten die Freiburger, sich eine Bleibe zu schaffen. Noch heute können einige Nachkommen Volkslieder im Freiburger Dialekt singen, die schon ihre Vorfahren zum Besten gaben.
swissinfo, Patricia Islas Züttel
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)
Im 19. Jahrhundert war Chile für arme Schweizer ein wichtiges Auswanderungsland.
Im Süden fand die Einwanderung zwischen 1883 und 1900 ihren Höhepunkt und wurde von den Behörden beider Länder organisiert.
Mehr als 8000 Schweizer Einwanderer erhielten Land zugeteilt.
Zum Thema gibt es verschiedene Untersuchungen, so von Mateo Martinic Beros über die Gegend von Magallan zwischen 1875 bis 1890 und von Alberto Dufey über die Araucanía.
Die ersten Schweizer Einwanderer, vorwiegend Freiburger, kamen zwischen 1876 und 1877 nach Chile und siedelten sich in der Meerestrasse von Magallan in der Nähe von Punta Arenas an.
Eine zweite grössere Einwanderungswelle erfolgte von 1883 bis 1900 mit Schweizern aus verschiedenen Kantonen. Sie sich in der Araucanía an.
Mateo Martinic Beros erforschte die Schweizer Einwanderung in Magallan und Alberto Dufey, selbst ein Nachkomme von Schweizer Einwanderern, schrieb über diejenige in der Araucanía.
1878 lebten in der Region von Magallan 1200 Einwohner, wovon 145 Freiburger.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erlebte Punta Arenas mit seinen 15’000 Einwohnern dank dem Export von Schafwolle seine goldene Epoche. Die «Perle der Meeresstrasse» war der strategische Hafen für europäische Schiffe.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch