Eine Landessprache im Abseits
Nach Protesten kommt das Expo-Buch "ImagiNation" doch noch auf Italienisch heraus. Dennoch bleibt die dritte Landessprache an der Expo untervertreten.
Die Klagen über mangelnden Respekt der italienischen Sprache – einer offiziellen Landessprache – halten seit der Eröffnung der Landesausstellung an. Die Buchpublikation «ImagiNation» brachte das Fass zum Überlaufen: Es kam am Mittwoch nur auf Deutsch und Französisch in den Handel. Die Expo-Leitung hatte aus Kostengründen auf eine italienische Version verzichtet.
Es handle sich um eine «Grobheit» (uno sgarbo) erklärte der Tessiner Erziehungsdirektor Gabriele Gendotti. Er sei wirklich wütend geworden, als er von der Veröffentlichung ausschliesslich auf Französisch und Deutsch erfuhr. Immerhin werde die Expo auch über Steuergelder aus der dritten Schweiz finanziert, sagte Gendotti am Schweizer Radio italienischer Sprache (RSI).
Eidgenössischer Geist bedroht
In einem offiziellen Communiqué vom Mittwochabend kritisierte das Departement den Entscheid der Expo, allerdings in gedämpfteren Tönen. Es handle sich um einen Verstoss gegen den eidgenössischen Geist.
Erziehungsdirektor Gendotti erklärte gegenüber swissinfo, er sei nach seiner Kritik von Solidaritätsbekundungen überhäuft worden. Er habe mit dem Expo-Verantwortlichen Franz Steinegger telefoniert, um die Position des Tessins darzulegen. Dieser habe sich verständnisvoll gezeigt und erklärt, er werde sich um die Angelegenheit kümmern.
Expo lenkt ein
Am Mittwoch-Abend gab die Expo-Direktion bekannt, dass «ImagiNation» doch noch auf Italienisch erscheinen werde. Marketingmässig würde eine italienische Version allerdings kaum Sinn machen, sagte Info-Chef Tony Burgener gegenüber den Nachrichtenagenturen. Die Kosten für eine Auflage in italienischer Sprache belaufen sich laut Burgener zwischen 150’000 und 200’000 Franken.
Ein Verleger für das Buch muss noch gefunden werden. Die deutsche und die französische Fassung waren auf Initiative des NZZ-Verlags erschienen.
«Die Schweiz existiert nicht mehr»
Die Auseinandersetzung um die Buchveröffentlichung ist nur ein erneuter Beweis für die Tatsache, dass die Mehrsprachigkeit der Schweiz bei der Expo 02 keine oberste Priorität besitzt. «Die Schweiz existiert nicht mehr» kommentiert Francesco Mismirigo diesen Sachverhalt in Abwandlung des vieldiskutierten Schweizer Slogans «La Suisse n’existe pas» von der Weltausstellung 1992 in Sevilla (Spanien) in einem von allen Tessiner Tageszeitungen publizierten Leserbrief.
Wie Mismirigo haben etliche Schweizer italienischer Sprache in Leserbriefen ihrem Ärger über die fehlende Berücksichtigung des Italienischen an der Expo Luft gemacht, auch wenn ihnen die Ausstellungen inhaltlich gefallen haben. «Es ist traurig festzustellen, dass viele Schrifttafeln und Informationen nur auf Deutsch und Französisch existieren und vielleicht noch auf Englisch», schreibt Andrea Paganini, ein junger Bündner, der als Zivildienstleistender auf der Arteplage von Neuenburg für die Ausstellung des Bundes «Palais d’Equilibre» arbeitet.
Nur zwei Kulturen
«Wenn die Expo in Bezug auf den Zusammenhalt des Landes, die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität provozieren wollte, hat sie dies wahrscheinlich unfreiwillig getan: Indem die italienische Sprache an einigen Orten praktisch inexistent ist», meint Paganini. Vom Rumantsch gar nicht zu reden.
Nach dem Besuch der Arteplage in Biel war eine Tessiner Mutter richtig sauer, wie sie gegenüber swissinfo berichtet: «Erst hörst du bei den Mitbesuchern nur Schweizerdeutsch und Französisch: Da fühlst Du Deine Minderheit stark. Aber wenn dann in den Ausstellungen Deine eigene Sprache nicht vorkommt, fragst Du Dich wirklich, was Du mit diesem Land gemein hast.»
Systematisch werde das Signal gegeben, dass die Schweiz eigentlich nur aus zwei Kulturen bestehe – entgegen aller Beteuerungen vom nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl. Besser als für Biel fällt die Wertung für Neuenburg aus. So sagt der 12-jährige Nicola aus Locarno beispielsweise: «Da konnte ich viel mehr alleine machen und musste nicht immer die Erwachsenen nach einer Übersetzung fragen.»
Am falschen Ort gespart
Bei der Expo-Leitung verweist man auf die vielen, bereits erfolgten Anstrengungen. So ist die Signalisierung durchwegs in fünf Sprachen, ausserdem auch Titel und Kurzbeschreibungen am Eingang der Ausstellungen in vier bis fünf Sprachen. Trotzdem ist man sich bewusst, dass das Ergebnis nicht optimal ist. «Ich verstehe, dass das zum Teil schlecht ankommt», räumt Expo-Sprecherin Marina Villa ein.
Vor allem auf Ausstellungen, die mit Partnern realisiert wurden, sind häufig nur zwei oder drei Sprachen präsent- teilweise wegen Sparzwängen. Nur der Bund hat das Optimum von fünf Sprachen (vier Landessprachen plus Englisch) konsequent verwirklicht.
Auch das «Expo.02 Journal» erscheint nur auf Deutsch und Französisch und wird wegen finanzieller Probleme ab 1.August nur noch in reduzierter Form veröffentlicht. Eine Hommage an das Italienische soll es zum Tessiner Expo-Tag am 28. September geben – ob die italienische Fassung von «ImagiNation» bis dann fertig sein würde, konnte Expo-Sprecher Burgener nicht sagen.
swissinfo und Gerhard Lob
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