Eine neue Initiative für zeitgenössische Kunst
Der Schweizer Marc-Olivier Wahler zeigt in Paris unter dem Titel "Chalet Society" eine mobile Ausstellung, die der zeitgenössischen Kunst aus der ganzen Welt gewidmet ist. Eine der nächsten Stationen wird voraussichtlich Berlin sein.
Marc-Olivier Wahler ist Mitbegründer des Kunstzentrums CAN in Neuenburg, ehemaliger Direktor des Schweizer Instituts in New York und das Palais de Tokyo in Paris. Am 17. Oktober hat er seine erste Ausstellung unter dem Namen «Chalet Society» eröffnet.
swissinfo.ch: «Chalet Society» tönt nach einer karitativen Organisation. Für Sie auch?
Marc-Olivier Wahler: Ich würde sagen, ja. Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich. Dazu kommt, dass wir von Mäzenen finanziell unterstützt werden. Wir erhalten keine Subventionen. Wir verstehen und als kollektives Projekt. Wir wollen eine Struktur schaffen, welche die Arbeit der Künstler sehr eng begleitet und auf ihre unmittelbaren Bedürfnisse eingeht.
Seit mehr als 20 Jahren führe ich grosse Institutionen. Dabei habe ich festgestellt, dass Künstler sehr schnell reagieren und sich bewegen. Die Institutionen hingegen bewegen sich langsam. Das hat zur Folge, dass zwischen den Museen und den Künstlern ein Graben entsteht.
swissinfo: Mit dem «Chalet» wollen Sie also diesen Graben aufheben?
M.-O.W.: Ja. Ich hatte die Idee bereits, als ich das Palais de Tokyo leitete. Damals organisierte ich ausserhalb der Museumsmauern kleinere Ausstellungen mit neuen Tendenzen der zeitgenössischen Kunst. Als ich das Palais verliess, habe ich das Konzept mitgenommen. Heute nenne ich es «Chalet Society», weil es von einer Gemeinschaft und nicht mehr von einem Kunstzentrum getragen wird.
swissinfo.ch: Was unterscheidet Sie von einem Kunstzentrum?
M.-O.W.: Zuerst einmal hinsichtlich der Mobilität. Wir sind keine fixe Struktur. Wir ziehen von Stadt zu Stadt. Jede Ausstellung findet an einem andern Ort und mit andern Künstlern statt. Diese können bekannt, unbekannt oder verkannt sein. Dazu kommt das Alter. Im Gegensatz zu den etablierten Kunstzentren sind unsere Künstler jünger.
Die Kunstzentren bewegen sich zudem in einem grossen Markt, der von den Messen und den Biennalen dominiert wird. Das hat sogar dazu geführt, dass das breite Publikum heute glaubt, zeitgenössische Kunst sei ein Business. Die Medien beurteilen die Künstler nach ihrem Marktwert
In diesem Kontext halte ich die «Chalet Society» als Plattform und als Ort für Experimente für notwendig.
swissinfo.ch: In Paris zeigen Sie die Kollektion des «Museum of Everything» in London. Wieso haben Sie dieses Museum gewählt?
M.-O.W.: Vorab eine Präzisierung: Das Museum hat keine Mauern. Es handelt sich im eine private Kollektion des Briten James Brett. Ich habe sie ausgewählt, weil sie viele Werke von Künstlern vereint, die vergessen worden sind. Sie sind ein vergessenes Glied in der Kette der art brut.
swissinfo.ch Wem werden Sie die nächste Ausstellung widmen?
M.-O.W.: Der französischen PlastikerinTatiana Trouvé. Ihre Installationen werden nach der englischen Kollektion in den selben Räumen in Paris gezeigt werden.
swissinfo.ch: Und die Schweiz?
M.-O.W.: Sie ist bereits im Wort «Chalet» enthalten. Ein Chalet ist ein Ort, der selten leer bleibt. Für mich ist damit ein sehr gemeinschaftlicher Gedanke verbunden. Wer ein Chalet besitzt, der nutzt es auch oder überlässt es seinen Freunden.
Für den Moment habe ich keine Ausstellungen in der Schweiz vorgesehen. Aber für die Ausstellung in Los Angeles habe ich Philippe Decrauzat eingeladen. Ich vergesse meine Landsleute nicht.
Die Ausstellung in Paris ist noch bis zum 16. Dezember am Boulevard Raspail 14 in Paris zu sehen.
500 Werke sind ausgestellt. Unter den Künstlern sind auch die Schweizer Aloïse Corbaz und Hans Krüsi. Dazu kommen Namen wie Nick Cave, Annette Messager und Christian Boltanski.
War 1995 Mitbegründer des CAN in Neuenburg, das er bis ins Jahr 2000 leitete.
Von 2000 bis 2006 leitete er das Swiss Institute for Contemporary Art in New York und von 2006 bis 2012 das Palais de Tokyo in Paris. 2012 lancierte er die «Chalet Society».
Wahler ist Mitglied verschiedener internationaler Kommissionen. Er schreibt zudem für zahlreiche Fachpublikationen.
(Übertragen aus dem Französischen: Andreas Keiser)
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