Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Eine Orgel wie sonst keine

Einige der fast 7000 Orgelpfeifen aus dem Haus des amerikanischen Orgelbauers Fisk. grandesorgues.ch

Die Orgel der Lausanner Kathedrale mit ihren gegen 7000 Pfeifen ist eines der teuersten Instrumente weltweit. Der Klangfülle dieses Instruments zuzuhören, ist eine unvergleichliche Erfahrung.

Die Orgel ist ein zudem ein Unikum mit vier Orgeltypen in einem Gehäuse. Erstmals baute ein US-Unternehmen eine Orgel für eine Kathedrale in Europa. Und erstmals entwarf ein Designer eine Orgel.

«Wir mussten bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts auf eine wirklich wunderbare Orgel warten», erklärt Jean-Christophe Geiser gegenüber swissinfo.

Geiser ist seit 1991 Organist der Lausanner Kathedrale.

Als die elektrisch-pneumatische Transmission der alten Orgel von 1955 Anfang der 1990er-Jahre «Atemschwierigkeiten» (Luftdruck-Probleme) entwickelte, entschied sich die Waadtländer Regierung 1996 für den Bau einer neuen Orgel.

Sie schrieb darauf zwei Wettbewerbe aus, einen für den Bau, einen für das Design der Orgel. Den Zuschlag für den Bau der Orgel erhielt die Firma C.B. Fisk aus Massachusetts in den USA, jenen für das Gehäuse der italienische Designer Giugiaro.

Das neue Juwel der Lausanner Musikwelt wurde schliesslich im Jahr 2003 in Betrieb genommen. Nach 10 Jahren und Ausgaben von mehr als 5 Mio. Franken. Die alte Orgel fand eine neue Heimat in der Konzerthalle der Philharmonie von Danzig in Polen.

Pfeifen-Träume

Orgeln sind grundsätzlich Einzelstücke, aber gewisse sind einzigartiger als andere. «In der Schweiz gibt es nur noch ein Instrument mit mehr Pfeifen, aber eigentlich geht es nicht um die Grösse», sagt Geiser, eine der treibenden Kräfte hinter dem Orgel-Projekt.

«Unser Konzept war, auf die vier Orgeltypen – norddeutsch-barock, altfranzösisch, französisch-symphonisch und deutsch-romantisch – zu setzen. Das Einzigartige an unserer Orgel ist, dass alle vier Typen in einem Gehäuse vereint sind.»

Orgeln sind grundsätzlich eine Ansammlung von Pfeifen. Der Ton und die Tonlage jeder Orgel variieren jedoch sehr stark, abhängig von Grösse, Form und Material.

Die unglaubliche Vielfalt

Wie ein Kunstmaler seine Farben mischt, muss der Organist ein bestimmtes Register (ein Set von Pfeifen) wählen, um dem jeweiligen Musikstück gerecht zu werden.

Eine Rolle bei der Auswahl spielt dabei jeweils auch die Akustik der Umgebung. Die Fisk-Orgel in Lausanne hat 100 Register. «Das Besondere an dieser Orgel ist ihre unglaubliche Vielfalt», unterstreicht Geiser.

Globale Zusammenarbeit

Während Jahrzehnten waren neue Orgeln für die grossen Schweizer Kathedralen traditionsgemäss von Schweizer Firmen gebaut worden, in Lausanne kamen nun Amerikaner zum Zug.

«Mit einem französischen oder einem deutschen Orgelbauer wäre das Instrument zu französisch oder zu deutsch geworden. Dasselbe Problem hätten wir mit einem Schweizer Orgelbauer gehabt», erklärt Geiser.

Fisk verfüge über sehr viel Fachwissen, auch im Bereich der unterschiedlichen europäischen Orgeltraditionen, erläutert er.

Designer in der Kathedrale

Neu war im Fall Lausanne auch, dass ein Designer das Gehäuse entwarf. Giugiaro, der unter anderem den Lamborghini und viele andere Autos entworfen hatte, liess sich für den «Körper» der Orgel von der Form eines Engels inspirieren, der auf einer Lichterwolke schwebt.

Der Bau einer Orgel ist eine knifflige Angelegenheit. Bis die Lausanner Orgel stand, brauchte es 150’000 Arbeitsstunden erfahrener Fachkräfte.

Vor dem Internet-Zeitalter, noch vor 15 Jahren, hätte man ein solches Instrument kaum bauen können, betont Geiser. Dabei verweist er auf die stete Kommunikation zwischen allen Seiten während des Orgelbaus, an dem insgesamt sechs Länder beteiligt waren.

Kathedrale wird Konzerthalle

Eine Spezifikation für den Designer war, dass die Kathedrale die Rolle einer «Konzerthalle mit Orgel» übernehmen sollte, da Lausanne, im Gegensatz zu anderen Schweizer Städten, keinen Raum hatte, in welchem Orchester- und Orgel-Repertoires zur Aufführung kommen konnten.

Die Fisk-Orgel hat daher zwei Spieltische mit je fünf Manualen. Der erste Spieltisch auf der Empore hat ein mechanisches Transmissions-System, der zweite Spieltisch verfügt über eine elektronische Transmission und steht auf einer beweglichen Plattform. Sie kann somit im Kirchenschiff herum bewegt werden.

Dank diesem mobilen Spieltisch kann das Konzert-Publikum den Organisten beim Spiel aus der Nähe sehen, statt wie sonst oft nur seinen Rücken weit oben auf einer Empore.

Im Vergleich mit dem Spiel einer sechsteiligen Bach-Fuge ist es fast peinlich simpel, nur zurückzulehnen und den Klängen eines der aufregendsten Instrumente der Welt zu lauschen.

swissinfo, Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die grösste Orgel in der Schweiz steht in der Klosterkirche von Engelberg. Sie hat vier Manuale und 9097 Pfeifen.

Im Vergleich: Die weltweit grösste Orgel hat sieben Manuale und mehr als 32’000 Pfeifen. Sie steht in der Convention Hall von Atlantic City in den USA.

Als älteste noch spielbare Orgel weltweit gilt jene in der Kirche Notre-Dame-de-Valère in Sitten. Die ältesten Teile der Orgel gehen auf das Jahr 1435 zurück; allerdings handelt es sich fast nur noch um den Mantel sowie um 12 der ursprünglichen Pfeifen.

Die Fisk-Orgel in der Kathedrale von Lausanne hat 100 Register und 6737 Pfeifen.
Diese rangieren in der Grösse von wenigen Zentimetern bis fast 10 Meter und sind bis zu 400 Kilo schwer.
Bis die neue Orgel stand, hatte es 10 Jahre gedauert.
Es brauchte zwei internationale Treffen, eine Parlamentsdebatte, mehr als 5 Mio. Franken (1/2 Kanton, 1/2 Spenden) und 150’000 Arbeitsstunden.

Die grösste gotische Kathedrale der Schweiz steht rund 150 Meter oberhalb des Genfersees.

Der Bau begann 1175; im Jahre 1275 wurde die Kathedrale vom damaligen Papst Gregor X. eingeweiht.

Im 19. Jhd. begann eine Renovation unter dem Architekten Eugène Viollet-le-Duc.

Mit Ausnahme vom Chorgestühl aus dem 13. Jahrhundert ist das Innere der Kathedrale ziemlich nüchtern gehalten. Ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammt das Rosenfenster.

In einem der beiden Türme gibt es einen Ausgucksposten; wer da hinauf will, muss 225 Stufen erklimmen.

Fast eine halbe Million Menschen besuchen pro Jahr die Kathedrale, die damit zu einem der am meisten besuchten Schweizer Monumente gehört.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft