EM-Stadien: Der Blick einer Schweizer Architektin
Die Jurassierin Anne Wermeille lebt seit 12 Jahren in Porto. Die Architektin wirft einen kritischen und professionellen Blick auf die für die Fussball-EM gebauten Stadien in Portugal.
Besonders angetan ist sie vom Stadion in Braga, das ihr Lehrmeister gebaut hat.
Anne Wermeille wohnt im Herzen der Stadt Porto, direkt gegenüber einem Platz, der von einem riesigen, majestätischen Magnolien-Baum dominiert wird. Wenn die Schweizer Architektin die Türe ihres wunderschönen dreigeschossigen Hauses – versteckt zwischen zwei verfallenen Fassaden – öffnet, betritt man eine andere Welt.
Die Wohnung ist hoch, hell und ganz offen, mit Blick auf einen wunderbaren Garten mit altem Baumbestand und unverbaubarer Aussicht auf den Douro-Fluss.
Ruhe und Schönheit des Wohnortes kontrastieren mit dem dichten Verkehr und dem Lärm der nahen Stadt. Das Bessa-Stadion, einer der beiden Fussball-Tempel von Porto, ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Es ist das Stadion vom FC Boavista.
Kein Heimweh
Anne Wermeille kam vor 15 Jahren nach Portugal, um ein Stage beim portugiesischen Stararchitekten Eduardo Souto Moura zu machen und verliebte sich gleich in die Stadt Porto….in einen jungen lusitanischen Architekten. Er wurde ihr Mann und Vater ihrer zwei Kinder.
«Auch wenn meine ganze Familie in der Schweiz lebt, fühle ich mich hier wie zu Hause», sagt die Architektin gegenüber swissinfo. «Ich liebe das Leben in Portugal, ich habe kein Heimweh. Nur wenn ich jeweils nach Saignelégier zurückkomme, merke ich, dass ich hier meine Wurzeln habe.»
Zwei Jahre lang fieberte Wermeille zusammen mit den Portugiesen der Fussball EM entgegen. Und sie hat die kostspieligen und umstrittenen Bauten der zehn EM-Stadien mitverfolgt.
«In Portugal ist Fussball eine Passion», erklärt die Architektin. «Ob Fan oder nicht, alle wissen, was in der Fussballwelt los ist. Auch jene, die sich zum ersten Mal begegnen, sprechen über Fussball. Wenn man das Fenster öffnet, kann man die Spiele verfolgen wie zu Hause am Bildschirm.»
Stadien wie Ufos
Während der Fussball-EM setzte Anne Wermeille keinen Fuss in ein Stadion. Ihr Architektenberuf bringt es mit sich, dass sie die Stadien lieber besucht, wenn sie leer sind – um sich Zeit zu nehmen, sie wirklich anzusehen, zu analysieren, zu verstehen.
«Heute haben die meisten Stadien die Form eines Ovals. Sie sehen fast wie Ufos aus. Es ist schwierig, sie harmonisch in die Landschaft zu integrieren», so die Architektin.
Tatsächlich: Wenn man zum Beispiel beim Anflug auf Lissabon die überdimensionierten zwei Fussballstadien La Luz und José Alvalade sieht, die nur einige Kilometer voneinander entfernt sind, dann ist der Gigantismus unübersehbar.
«Alles hängt von ihrer Lage ab», sagt Wermeille. In einer Zone mit Hochhäusern, wie Bessa, ist das weniger schockierend. Aber jedenfalls ist es unmöglich, die Stadien zu verstecken.»
Die zentrale Rolle des Fussballs in Portugal wiederspiegelt sich auch in der geografischen Lage der Stadien: Sie sind mitten in den Städten gebaut worden. Mit einer grossen Ausnahme: Braga.
Braga – das interessanteste Stadion
Das Stadion von Braga ist für Anne Wermeille das interessanteste. «Denn es symbolisiert eine total andere architektonische Sichtweise als die übliche, wenn es um den Bau von Stadien geht. Hinter den beiden Toren ist das Stadion nicht geschlossen. Auf der einen Seite sieht man den alten Steinbruch, auf der anderen eine wunderbare Landschaft», schwärmt sie.
Wermeilles Begeisterung für das Braga-Stadion rührt nicht nur von dort her, dass dessen Erbauer ihr ehemaliger Mentor Eduardo Souto Moura ist. «Es ist eine offenkundige Vereinfachung des Fussball-Konzeptes. Die beiden Tribünen auf den Längsseiten des Stadions trennen die 30’000 Zuschauer in zwei Mannschaften. Und im Zentrum überwiegt das Spektakel des Spiels.»
«Die Idee war, den Amphitheater-Geist der alten Griechen und Römer auferstehen zu lassen», so Wermeille weiter. «Dazu kommt noch, dass die Fernsehzuschauer dank dieser Architektur die Spiele viel angenehmer verfolgen können.»
Und übrigens: Die Idee des genialen Architekten Souto Moura für das Braga-Stadion hatte erstmals Form angenommen im Atelier des Schweizer Modellbauers Alvaro Negrello in Porto.
swissinfo, Mathias Froidevaux und Doris Lucini, Porto
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
Erbauer des Stadions in Braga: Eduardo Souto Moura
Je 1 Tribüne auf den 2 Längsseiten
Zuschauerkapazität: 30’000
2 Spiele fanden in Braga statt: Dänemark-Bulgarien und Holland-Lettland
Die Fussball EM fand in 10 funktionierenden, aber nicht ganz fertig gebauten Stadien statt.
Den grössten Teil der Baukosten haben Staat und Gemeinden übernommen.
Die Stadien erscheinen teilweise überdimensioniert. Kritisiert wurde, dass in Lissabon und Porto gleich zwei Stadien errichtet worden sind.
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