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Embargoumgehungen: Als China sich über die Schweiz Material für die Atombombe besorgte

Atomic Bomb
Am16. Oktober 1964 testete die Volksrepublik China die erste Atombombe, Keystone

Im Kalten Krieg florierte der Embargoumgehungs-Handel für die chinesische Atombombe in der Schweiz - ein komplexes Verwirrspiel ermöglichte den Schmuggel militärisch relevanter Güter. 

1965 zeigte sich das britischen Verteidigungsministerium besorgt darüber, dass ein “hochorganisiertes Netzwerk von Embargo-Umgehern” versucht hatte, eine britische Hochgeschwindigkeitskamera illegal nach China zu verschiffen.  Solche Kameras, die tausende Fotos pro Sekunde schiessen konnten, brauchte man nicht für Tierbilder: Sie kamen bei Atombomben-Tests zum Einsatz für Präzisionsanalysen. 

Heute belegen hunderte Akten im Bundesarchiv: Der Schmuggel der Kamera war einer von hunderten Fällen in den 1950er und 1960er Jahren, in welchen China die Schweiz als Umschlagplatz für Waren nutzte, die unter Embargo standen. In den 1960ern wurde diese Praxis besonders problematisch – China besorgte sich über die Schweiz Materialien für den Bau der Atombombe.

Weshalb wurde Bern zur zentralen Schaltzentrale dieser Machenschaften? Einerseits war Bern für die politischen und wirtschaftlichen Kontakte Chinas zentral – da es inmitten Europas lag und ein internationales Diplomatennetz bot.  

Andererseit herrschte seit dem Koreakrieg (1950-1953)  ein Embargo gegen die Volskrepublik China – damit sich diese nicht mit westlichem Kriegsmaterial eindecken konnte. Die Schweiz schloss sich dem Embargo nicht an – aus Gründen der Neutralität.
Sie willigte aber ein, Exporte von kriegstauglichem Material einzuschränken. Die aufgedeckten Fälle von Warenschmuggel nach China betrafen deswegen oft Material, das zur Herstellung von Atomwaffen benötigt wurde. Dazu gehörten Uran oder schweres Wasser, um waffenfähiges Plutonium herzustellen. Auch Waffen und elektronische Güter – wie die Chiffriermaschinen der Crypto A.G – nahmen diesen Weg.

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Als China 1964 die erste Atombombe zündete, dachte die Bundespolizei, dass der Schmuggel von Embargowaren abnehmen würde: “Für uns hat das Problem der chinesischen Atomspionage an Brisanz verloren.” Doch der Handel auf dem Schwarzmarkt ging weiter.

In den 1960er Jahren waren hunderte von Personen und Firmen überall auf der Welt in Embargowarengeschäfte mit der chinesischen Botschaft in Bern verstrickt.  
Für ihre Geschäfte bekamen Embargowarenhändler:innen Provision. Manche wurden auch schon vorab mit Geld geködert. Ein Schweizer, der für die Chinesen Geräte im Wert von CHF 250,000 kaufen sollte, sagte der Polizei: «

Sie offerierten mir Geld, damit ich mir einen Wunsch erfüllen könne, sei es nun ein Auto, einen Fernsehapparat, eine ärztliche Untersuchung, weil wir keine Kinder bekommen, Zahnarztrechnungen, Finanzierung von Ferien, Reisen ins Ausland, etc.» Die Bundespolizei folgerte, dass für die Chinesen «das Geld keine Rolle spielt” – solange es um die Atomwaffen ging. In den 1960er Jahren starben 45 Millionen Chines:innen in einer Hungersnot. 

Wursthändler als Kriegsmaterial-Schmuggler

Die Embargohändler waren stark vernetzt, in der Regel waren unterschiedliche Personen in verschiedenen Ländern für einzelne Schritte eines Embargowarendeals zuständig. So mussten Produkte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gekauft werden. Ein Schweizer Embargowarenhändler aus Zürich besorgte zum Beispiel für die chinesische Botschaft in Bern diverse Maschinen und Radio-Röhren. Er schrieb seinem Geschäftspartner in Zürich für den Kauf der Röhren in England folgende Instruktionen: “Auf keinen Fall darf gesagt werden, dass die Röhren exportiert werden. Du müsstest vielleicht sagen, dass Du die Röhren sofort für den Eigengebrauch (oder für eine befreundete Fa. vielleicht Deines Onkels) benötigst.» 
Um jeden Nachvollzug zu erschweren, nutzte man diverse Verwirrspiele, die die Arbeit der Polizei sehr erschwerten. 

Ein Beispiel dafür ist der Weg von zwei Hochgeschwindigkeitskameras, die 1966 im Hafen Kopenhagens beschlagnahmt wurden.  Die Kameras waren von einer Hamburger Firma an eine Firma in Kopenhagen verkauft worden. Danach hätten sie nach Genf, Pakistan und schliesslich nach China verschickt werden sollen.  Bei jedem Zwischenstopp war vorgesehen, dass eine andere (Schein-)Firma die Pakete übernahm und den nächsten Schritt einleitete. 

In diesen Deal war auch die Genfer Firma Global-Commerce involviert, eine von T. und F. gegründete Scheinfirma. Die Präsidentin von Global Commerce war W. Ihre Aufgabe bestand darin, den Transport von Waren in Ostblockländer zu organisieren, indem sie Briefe und Akkreditierungen unterzeichnete.  T. war der Schwiegersohn von F., dessen Hamburger Firma in so viele dubiose Geschäfte mit der chinesischen Botschaft in Bern verwickelt war, dass er gleich zwei Vertreter in der Schweiz hatte. F. hatte bereits ein Jahr früher für die Botschaft in Bern versucht, zwei Kameras nach China zu schicken, die vom Britischen Atomwaffen-Forschungszentrum entwickelt worden waren.  Diese wurden von England nach Hamburg und dann an eine Zürcher Firma von F. gesendet. In dieser Firma war auch G. tätig. G. hatte auch noch eine eigene Firma, die mit chinesischen Därmen für Schweizer Bratwürste, Schübling und Saucisson handelte. Heimlich war G. aber am Transport von Embargowaren nach China beteiligt. Auch im Fall der beschlagnahmten Kameras war G. die treibende Kraft und wäre zuständig für den Weitertransport aus der Schweiz gewesen.  

Die Bundespolizei nahm an, dass die Chines:innen in der Schweiz den 1950er und 1960er Jahren Millionen für Embargowarendeals ausgaben.  Wurden die Händler:innen allerdings gefasst, drohten ihnen Gefängnis oder Einreisesperren. Kein Wunder, spielten sie oft die Unschuldigen, wenn sie verhört wurden. Als ein bekannter Embargowarenhändler zu seinen illegalen Deals mit China von der Polizei befragt wurde, gab er zu Protokoll: „Ich möchte darüber keine Auskunft geben, weil ich keinen Überblick habe über die Embargobestimmungen.“ 
 

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