Wie ging die Schweiz mit der Ölkrise 1973 um?
Die Schweiz reagierte auf die Erdölkrise von 1973 mit Sparappellen, Bohrtürmen und einer Energiegesetzgebung, die die Reaktion auf die heutige Krise prägt.
Seit Wladimir Putin im Februar dieses Jahres in die Ukraine einmarschiert ist und mit dem buchstäblichen Zudrehen des Erdöl- und Erdgashahns droht, werden Vergleiche mit der Erdölkrise von 1973 gezogen.
Das ist nicht abwegig: Auch damals stand man unter dem Druck der Energielieferanten im arabischen Raum. Regierungen in ganz Europa forderten dazu auf, den Konsum von Heizöl und Treibstoffen einzuschränken.
1973: Das Ende der Sonntagsfahrerei
Anfang der 1970er-Jahre stand die Energie-Nachfrage westlicher Staaten im Zenit – vor allem nach dem immer günstiger werdenden Erdöl. Das war das Resultat eines radikalen Mentalitätswandel nach 1945. Die Nachkriegsgeneration der westlichen Welt hatte ihre Erwartungen in kürzester Zeit gehoben: Die Entbehrungen der Weltkriege, Sparsamkeit und Zurückhaltung gehörten der Vergangenheit an und man verlangte nach mehr Wohlstand, Unabhängigkeit und Komfort: Die Zentralheizung und das Auto wurden zu wichtigen Statussymbolen einer neuen Zeit.
Dadurch verdoppelte sich der Energieverbrauch in der Schweiz zwischen 1940 und 1980, der Verbrauch von Erdölbrennstoffen stieg gar um das Zehnfache. Die Konsument:innen der westlichen Industrienationen sahen die Verfügbarkeit von Erdöl als selbstverständlich an.
Doch 1973 wurde der Fortschrittsglaube der letzten Jahrzehnte jäh ausgebremst. Die Energiekrise brachte damals nicht nur den wirtschaftlichen Motor zum Stehen: In der Schweiz rief der Bundesrat zu autofreien Sonntagen auf – und bald gefiel sich das ganze Land beim Spaziergang auf verkehrsfreien Strassen. Gleichzeitig kam es zu einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, von der nahezu die ganze westliche Welt betroffen war.
Wie kam es zu dieser plötzlichen Öl-Knappheit? Schon nach 1970 hatte die Organisation der erdölexportierenden Staaten, die OPEC, damit begonnen, die Erdölpreise langsam anzuheben. Längst wollte sie die Tantiemen an diesem wertvollen, da breit nachgefragten Gut selbst abschöpfen. Sie war nicht länger bereit, die auf ihrem Territorium befindlichen natürlichen Ressourcen anderen zu überlassen.
Im Oktober 1973 nun drohten zudem die arabischen Staaten innerhalb der OPEC, das Erdölangebot deutlich und stetig zu reduzieren. Dies war eine Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg, in dem Ägypten und Syrien eine Rückgewinnung der 1967 an Israel verlorenen Gebiete Golanhöhen und Sinai-Halbinsel anstrebten, jedoch militärisch bald unter Druck gerieten. Die arabischen Ausfuhrländer kündeten an, ihre Erdölförderungen so lange erheblich einzuschränken, bis die von Israel besetzen Gebiete befreit wären. Die westliche Welt sollte damit gezwungen werden, die weitere Unterstützung für Israel aufzugeben.
Die westlichen Staaten erlebten die Androhung eines Rückgangs der Erdöllieferungen, kombiniert mit dem erhöhten Preis, als einen unerträglichen Affront. Man sprach von Erpressung und dem Einsatz der «Ölwaffe». Die Zeitungen proklamierten harte Zeiten und wetterten über die fahrlässigen Ölscheichs im Nahen Osten. Dabei unterstrichen die Ereignisse vor allem eins: die erdölnachfragenden Staaten waren energiepolitisch einseitig von Regionen abhängig, die so unbekannt wie unberechenbar waren. Und sie verdeutlichten die Endlichkeit des «schwarzen Goldes».
Geburt der heutigen Energiepolitik
Heute wissen wir: Es mangelte in diesen Jahren nicht wirklich an Erdöl. Nicht nur die Schweiz hatte zu keiner Zeit Schwierigkeiten, dessen Nachschub zu gewährleisten. Es wurde aber teurer, weil die Förderländer die Preise vervielfachten: Die Ölkrise war eine Erdölpreiskrise. Dennoch kam es in verschiedenen Staaten nach 1973 zu einem umfassenden Strukturwandel, der in der Neuordnung internationaler und staatlicher Energiepolitiken resultierte.
In der Schweiz reagierten Bundesrat und Parlament darauf, indem sie begannen, die Energiepolitik komplett neu auszurichten. Bereits früh waren erste Sofortmassnahmen ins Leben gerufen worden. Neben den Sonntagsfahrverboten führte man eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen ein – man durfte nur noch 100 km/h fahren. Zudem wurde der Erdölverbrauch der Armee gedrosselt und man regte an, Häuser besser zu isolieren und Wohnungen nicht zu stark zu beheizen.
Als vielleicht wichtigste Massnahme rief der Bundesrat 1974 die «Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption» ins Leben. Diese hatte den Auftrag, die energiepolitische Richtung der Schweiz aufzuzeigen und zu untersuchen, ob ein Energieartikel zur Ausweitung der Bundeskompetenzen erforderlich sein könnte.
Der 1978 vorgelegte Schlussbericht formulierte schliesslich drei Ziele einer zukünftigen Energiepolitik:
- eine ausreichende und sichere Energieversorgung
- die Gewährleistung volkswirtschaftlich optimaler Energiepreise
- den Schutz des Menschen und seiner Umwelt.
Weiter empfahl die Kommission dem Bund die Verankerung eines Energieartikels in der Verfassung. Damit sollte die Grundlage für stärkere Lenkungseingriffe des Bundes und für eine aktivere bundesstaatliche Energiepolitik gelegt werden.
Der Verfassungsartikel wurde schliesslich nach langem Ringen 1990 angenommen, und am 1. Januar 1999 traten Energiegesetz und Verordnung in Kraft. Kurz vor der Jahrtausendwende wurde in der Schweiz erstmals eine Energiepolitik auf Bundesebene etabliert. Diese erlaubt ihm heute, das Zepter zu einem guten Teil selbst in der Hand zu halten.
Grenzen des Wachstums
Die Krise von 1973 hatte wichtige Anstösse gegeben, den Umgang mit Energie zu überdenken. Ab den 1970er-Jahren entbrannten erste öffentliche Diskussionen um die «Grenzen des Wachstums» (so der Titel einer Buchpublikation des Club of Rome, eines Zusammenschlusses internationaler Expert:innen) und Forderungen im Hinblick auf den Umweltschutz.
Die Erdölkrise schärfte aber auch das Bewusstsein für die Abhängigkeit von importierten Energieträgern, die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte. Bestrebungen nach mehr Autarkie führten des Weiteren dazu, dass die Suche nach Erdöl im eigenen Land intensiviert wurde.
Mehr
Erfolglose Suche nach Schwarzem Gold
Und tatsächlich: Wiederholt stiess man zwar nicht auf Erdöl, aber auf Erdgas im Schweizer Untergrund. Im Luzernischen Finsterwald wurde auch tatsächlich Gas abgebaut. Die Gesamtmenge des zwischen 1985 und 1994 geförderten Gas entsprach allerdings lediglich vier Prozent des Erdgasbedarfs in der Schweiz – in einem Jahr!
Versucht wurde also vieles, erreicht noch wenig, die Grundlagen aber waren gelegt. Auf diesen kann man heute, da man rasch reagieren muss, aufbauen. Kommt hinzu, dass die Schweiz aufgrund der Klimakrise seit den 1990er-Jahren darüber diskutiert, wie die Reduktion des Energieverbrauchs und der Verbrauch fossiler Brennstoffe reduziert werden kann.
Mit den Kriegshandlungen Putins wird diese Debatte nun verschärft: Solange die Abhängigkeit von autokratischen Ländern in Sachen Energie hoch ist, ist eine stabile Energieversorgung gefährdet. Es zeigt sich: Das Streben nach mehr (wenn auch nicht absoluter) Energieautarkie mittels Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme, zudem Energieeffizienz und -suffizienz, ist nicht einfach ein Luxus in guten Zeiten. Sondern eine sicherheitspolitische Herausforderung, die im europäischen Staatenverbund gelöst werden muss.
Denn weniger Abhängigkeit von autokratischen Systemen bedeutetet nicht nur Energiesicherheit. Sondern auch die Souveränität zu entscheiden, wie diese bereitzustellen und zu garantieren ist.
Die Historikerin Monika Gisler hat zahlreiche Schriften zur Geschichte von Energie und Umwelt publiziert. Sie forscht und lehrt an der ETH und Universität Zürich und für ihr Geschichts-Büro www.unternehmengeschichte.ch
Mehr
Trockenheit könnte Energieknappheit verschärfen
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch