«Engagiertes Kino vereint Oppositionskräfte»
Star des 13. internationalen Filmfestivals und Forums für Menschenrechte in Genf ist zweifellos Eric Cantona. Der ehemalige Fussballzauberer wird einen Film präsentieren, den er koproduziert hat. Festivaldirektorin Isabelle Gattiker im Interview über diesen und weitere Höhepunkte des ersten Ausgabe, die sie als Direktorin leitet.
Bereits am Telefon warnt sie uns: «Ich bin eine Perfektionistin und arbeite hart.» Isabelle Gattiker, 36, ist eine Frau mit Überzeugungen. Welche das sind, reflektiert sich im Programm des 13. internationalen Filmfestivals und Forums für Menschenrechte (FIFDH), das vom 27. Februar bis 8. März in Genf und Umgebung über die Bühne geht.
Eine Plattform gegenüber der UNO
Die Menschenrechte aus dem geschlossenen Bereich des Genfer Völkerbundpalasts (Palais des Nations) herausreissen, um die Diskussion in die Stadt zu bringen. Das ist das Ziel, welches das Festival FIFDH Jahr für Jahr verfolgt.
«Wir wollen, dass sich der Menschenrechtsrat kompromisslos gegenüber Angriffen auf die menschliche Würde zeigt. Wir wollen das Denken nicht von der Wirklichkeit trennen. Unsere Gangart ist gleichzeitig politisch und kulturell, weit weg von Kompromissen», sagte Léo Kaneman, mit Yaël Hazan Ko-Gründer des Festivals, 2009 gegenüber swissinfo.ch.
Im Verlauf der Jahre wurde das FIFDH beim Publikum immer beliebter, trotz der in vielen Filmen gezeigten Härte.
Seit Januar 2015 ist Gattiker Direktorin des FIFDH. Sie ist Nachfolgerin von Gründer Léo Kaneman, mit dem sie die Funktion des Gesamtkoordinators geteilt hatte. Das Festival und Forum bietet Spielfilme, Dokumentarfilme und Diskussionsrunden.
swissinfo.ch: Sie sind Tochter eines Diplomaten, sind viel herumgekommen in der Welt, sprechen fünf Sprachen. Hat sie dieser Hintergrund für die Menschenrechte sensibilisiert?
Isabelle Gattiker: Ja, absolut, besonders zu jener Zeit, als mein Vater in Bogota stationiert war. Dort bin ich aufgewachsen, zwischen 11 und 15 Jahren. Kolumbien befand sich mitten im Bürgerkrieg, es gab extrem viele Attentate und Entführungen. Ich durfte das Haus nur in Begleitung verlassen.
Der Krieg hat mich, ohne mich stark zu traumatisierten, sehr für das Problem der Menschenrechte sensibilisiert. Ich selber war sehr beschützt, doch ich wurde mir bewusst, was die lokale Bevölkerung durchmachen musste, diesen ganzen Terror.
swissinfo.ch: Kann man sagen, dass Ihr Engagement in jenem Moment geweckt wurde?
I.G.: Mein Engagement für die Menschenrechte oder für das Kino?
swissinfo.ch: Für beides. Gehören die beiden bei Ihnen nicht irgendwie zusammen?
I.G.: Ja, tatsächlich. Sagen wir, dass meine beiden «Berufungen» in Kolumbien und in Strassburg geweckt wurden, wohin mein Vater danach berufen wurde. In Strassburg durfte ich endlich alleine aus dem Haus. Das war für mich wie eine Befreiung, ich profitierte davon, indem ich ins Kino ging und Filme verschlang, denn in Bogota war ich davon regelrecht abgeschnitten, hatten doch meine Eltern nicht einmal einen Videorekorder zu Hause.
Ich gebe zu, sie waren keine grossen Kinofans. Kommt mein Interesse für die Menschenrechte klar von der Seite meines Vaters, ist meine Passion für das Kino nur aus mir selber heraus gewachsen. Ich habe sehr bald in der 7. Kunst ein fabelhaftes Mittel gesehen, um gegen Ungerechtigkeit, Folter, Korruption zu kämpfen…
Wissen Sie, gewisse Filme dienen einer grossen Anzahl von Zuschauern als gemeinsame Referenz. Sie prangern alles an, indem sie eine Geschichte erzählen.
swissinfo.ch: Haben Sie ein Beispiel?
I.G.: «Citizenfour», der Dokumentarfilm über Edward Snowden (den ehemaligen CIA-Angestellten) der amerikanischen Filmerin Laura Poitras, den ich im Programm habe. Er hat soeben einen Oscar gewonnen. Der Film wurde in Snowdens Hotelzimmer in Hongkong aufgenommen.
Tausende Menschen auf der ganzen Welt werden den Film sehen. Das ist die Art von Filmen, welche Oppositionskräfte vereinen kann. Zudem wird Snowden am 5. März im Rahmen des Festivals live einer Diskussionsrunde zugeschaltet werden.
swissinfo.ch: Führen sie also die Formel «ein Film, ein Thema, eine Diskussionsrunde» ihres Vorgängers weiter?
I.G.: Ja, ich finde, das ist eine gute Formel, die in der Tat sehr gut funktioniert.
swissinfo.ch: Was aber unterscheidet Sie von Léo Kaneman? Bringen Sie Veränderungen ins FIFDH?
I.G.: Was die Auswahl der Filme betrifft, hatten Léo und ich schon immer sehr ähnliche Gefühle. Die Veränderung aber wird sich künftig in der Beziehung des Festivals zu seinem Publikum zeigen. Ich habe mir einen grossartigen Saal für die Projektion der grossen Filme und die anschliessenden Diskussionsrunden gewünscht. Ein zentraler Standort verhindert die Fragmentierung des Festivals.
Gegen aussen wird sich die Veranstaltung vergrössern. Wir programmieren Filme in den Genfer Gemeinden wie auch im französischen Grenzort Gaillard. Eine Gelegenheit, neue Projektions-Orte wie Cafés, Gefängnisse, Psychiatrische Kliniken auszukundschaften – und ein Publikum anzutreffen, das in der Regel nicht nach Genf kommt.
Isabelle Gattiker
Die Schweizerin wurde 1978 geboren.
Sie arbeitet einige Jahre für das internationale Filmfestival und Forum für Menschenrechte (FIFDH) und das Festival Tous Ecrans in Genf.
2005 verlässt sie die beiden Festivals und wird Assistentin des israelischen Filmemachers Amos Gitaï.
2007 kehrt sie zurück nach Genf, wo sie Teilhaberin von «Intermezzo Films SA» wird und den Film «Sin tregua» («Zeugen unerwünscht») des schweizerisch-kolumbianischen Regisseurs Juan José Lozano produziert.
2013 kehrt sie zum FIFDH zurück und wird stellvertretende Direktorin; seit 2015 leitet sie das Festival.
Sie ist zugleich Mitglied der Filmkommission des Kantons Bern, Ehrenvorsitzende des «Human Rights Film Network» und Moderatorin am Festival «Visions du Réel» in Nyon.
So wird beispielsweise in der Genfer Vorstadt Meyrin der Film «Fussball und Immigration – 100 Jahre gemeinsame Geschichte» gezeigt, und das im Beisein der Fussball-Legende Eric Cantona, der den Film mitrealisiert hat.
swissinfo.ch: Cantona steht auch Ihrer Jury für Dokumentarfilme vor. Warum er?
I.G.: Eben gerade weil er der Sohn von Einwanderern ist, und in Meyrin eine grossen Migrantengemeinschaft lebt. Wissen Sie, wir passen unsere Auswahl den Erwartungen der lokalen Bevölkerung an, nachdem wir mit den Verantwortlichen der Gemeinden gesprochen haben.
Ich bin sicher, dass enorm viele Leute zum Abend mit Cantonas Film kommen werden. Ein Star wie er wird zusätzliche Massen anlocken. Zudem muss man anmerken, dass er ein sehr engagierter Mann ist. Er verteidigt unter anderem die Sache der Papierlosen und macht viel für die soziale Integration.
swissinfo.ch: Das FIFDH eröffnet mit dem Dokumentarfilm «Karikaturisten: Stosstrupp der Demokratie» (Caricaturistes, fantassins de la démocratie), einer Hommage an das Blatt «Charlie Hebdo». Es ist bekannt, dass die künstlerische Freiheit überall auf der Welt bedroht ist. Bringt dieser Rückschritt Sie dazu, Ihr Festival noch vitaler zu machen?
I.G.: Ja, klar, es ist dieses Jahr sogar die Existenzberechtigung des FIFDH. Ich bin zufrieden, dass ich es geschafft habe, für diese Ausgabe die Zuschauerkapazität zu verdreifachen. Das wird nötig sein, wenn man das grosse Interesse der Zuschauer sieht. Die Beliebtheit des Festivals beweist, dass wir nicht in der Wüste predigen.
Noch besser: Ich bin überzeugt, dass unsere Veranstaltung den Geist wecken kann für vergessene Themen, wie etwa die Frage der Identität der Uiguren in China, die an einer Diskussionsrunde behandelt werden wird.
swissinfo.ch: Klassische letzte Frage: Ihr Lieblingsfilm?
I.G.: Oh, ich liebe die gesamte Auswahl. Mein Favorit ist aber «Sabogal» des schweizerisch-kolumbianischen Regisseurs Juan José Lozano, der Trickfilm-Elemente mit Archivbildern mischt, um die Korruption im Herzen des kolumbianischen Staats in den 2000er-Jahren anzuprangern.
(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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