Vor 150 Jahren bestieg Lucy Walker als erste Frau das Matterhorn
Die britische Bergsteigerin Lucy Walker machte sich 1871 einen Namen am Firmament des Alpinismus: Sechs Jahre nach dem britischen Bergsteiger Edward Whymper erreichte sie den Gipfel des legendären Matterhorns. Dem Zeitgeist entsprechend in einem Flanellrock, der ihre Hose verdeckte.
Am 22. Juli 1871 erreichte ein Telegramm aus Zermatt die Redaktion des Journal de Genève: «Die Britin Lucy Walker ist die erste Frau, die den Gipfel des Matterhorns erreicht hat.» Eine beachtliche Leistung, wenn man an den Status der Frauen im 19. Jahrhundert denkt. Für Frauen war es undenkbar, Hosen zu tragen; Ausländerinnen wagten sich in Krinolinenkleidern in die Alpen.
Lucy Walker selber begann ihren Aufstieg in einem langen Flanellrock in viktorianischer Mode. Die Legende besagt, dass sie unter ihrem Rock eine Hose trug und diese beim Klettern auszog.
Mit einer Höhe von 4478 Metern galt das Matterhorn lange Zeit als unbezwingbar.
Am 14. Juli 1865 jedoch erreichte der britische Bergsteiger Edward Whymper zum ersten Mal den Gipfel, begleitet von drei Landsleuten, einem französischen und zwei einheimischen Bergführern. Vier stürzten auf dem Weg nach unten in den Tod, nur Edward Whymper und die beiden einheimischen Führer kehrten sicher zurück.
Heute versuchen zwischen 300 und 400 Personen jährlich den Aufstieg mit einem Führer und über 3500 ohne professionelle Hilfe. Bei idealen Bedingungen sind es täglich bis zu 300 Bergsteiger, gemäss Statistik des Tourismusbüros ZermattExterner Link.
Seit der Erstbesteigung haben mehr als ein halbes Tausend Menschen ihr Leben an den Hängen des Matterhorns verloren, was es zu einem der gefährlichsten Gipfel der Alpen macht. Heutzutage bieten moderne Geräte mehr Sicherheit. Andererseits macht das durch die globale Erwärmung verursachte Auftauen des Permafrosts den Berg instabiler und gefährlicher, insbesondere aufgrund von Steinschlag.
Robust und ausdauernd, hatte sie bereits den Liskamm im Monte-Rosa-Massiv und den Piz Bernina in Graubünden bestiegen. Auch die Erstbesteigung des Balmhorns in den Berner Alpen war ihr ein Jahr zuvor gelungen, in Begleitung des Berner Bergführers Melchior Anderegg, einer Bergsteigerlegende, die sie überallhin begleiten sollte.
Im Alter von 35 Jahren unternahm Lucy Walker die Besteigung des Matterhorns mit ihrem Vater Frank, einem wohlhabenden Kaufmann aus Liverpool, der ebenfalls begeisterter Bergsteiger war. Zum Team gehörten auch fünf Guides, angeführt von Melchior Anderegg aus Meiringen. Das Klettern hatte er als Gamsjäger im Grimselgebiet gelernt.
Die unverheiratete Lucy Walker und der Führer, der eine wahre Naturgewalt war, waren befreundet und blieben noch lange nach der Heldentat in Kontakt. Anderegg besuchte Lucy Walker mehrmals während ihrer Ferien in Mürren in der Jungfrauregion und in Zermatt, wo sie bei gemeinsamen Spaziergängen gesehen wurden.
Lucy Walker, die 1916 im Alter von 80 Jahren starb, gründete und leitete 1907 den Ladies› Alpine Club als Reaktion auf das Verbot der Mitgliedschaft von Frauen im British Alpine Club. In der Schweiz gründete 1918, also elf Jahre später, ein Kreis von fünfzehn Damen unter der Leitung von Aline Margot im Hotel de Londres in Montreux den Schweizer Frauen-Alpen-Club (SFAC).
Schulter an Schulter mit einer Amerikanerin
Eine weitere weibliche Heldin hat die Geschichte des Matterhorns so sehr geprägt, dass sie wie Wymper und Lucy Walker eine Bronzetafel in der Hauptstrasse von Zermatt erhalten hat: Margaret Claudia Brevoort, Spitzname Meta. Im Jahr 1871 war die 46-Jährige in grossartiger Form und Bergsteigerkreise glaubten an ihre Chancen, den Gipfel als Erste zu erreichen.
Die New Yorkerin hatte den ganzen Sommer in den Alpen verbracht. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, den Mont Blanc zu besteigen. Sie war die erste Frau, die die Grandes-Jorasses, die Dent Blanche, das Weisshorn und das Bietschorn bestieg, berichtet das Zermatt Magazin.
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So wie das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Wymper und Carrel den Last-Minute-Sieg des Briten über den Italiener im Aostatal 1865 kennzeichnete, so wiederholte sich sechs Jahre später ein Wettlauf an die Spitze zwischen der Britin und der Amerikanerin.
Meta Brevoort stammte aus einer niederländischen Familie, die mit Immobilien in Manhattan ein Vermögen gemacht hatte. Bereits 1869 hatte sie versucht, das Matterhorn über den Italienischen Grat zu besteigen, doch schlechtes Wetter zwang sie 650 Meter vor dem Gipfel zur Umkehr.
Zwei Jahre später, als sie beschloss, nach Zermatt zu fahren und ihren Versuch zu wiederholen, war Lucy Walker bereits dort. Sie hatte von den Plänen der Amerikanerin gehört und stellte schnell ein Team zusammen, um als Erste den Gipfel zu erreichen. Margaret Brevoort kam am Tag nach der siegreichen Besteigung ihrer Konkurrentin in Zermatt an – und es blieb ihr nichts anderes, als ihr persönlich zu gratulieren. Dies war das einzige Treffen der beiden talentiertesten Bergsteiger ihrer Zeit.
Die Amerikanerin gab jedoch nicht auf. Sie wartete auf günstige Bedingungen und schaffte am 5. September 1871 als erste Frau die Überschreitung der Gipfel von Zermatt nach Breuil (Cervinia). Angetrieben von grossen Ambitionen, einschliesslich der, den Everest zu ihrer Liste der Errungenschaften hinzuzufügen – was erst 82 Jahre später geschehen sollte! – starb Meta Brevoort 1876 in Dorking, Grossbritannien, an einem Herzinfarkt.
Das Matterhorn, einst Gegenstand eines intensiven Wettbewerbs zwischen Bergsteigern verschiedener Nationalitäten, ist heute das Schweizer Symbol schlechthin. Wenn Werbeleute der Toblerone oder dem Schweizer Tourismus ein landestypisches Etikett verpassen wollen, kommt ihnen das Matterhorn in den Sinn, auch wenn es halb italienisch ist.
Aber das war nicht immer so: Eine kurze Zeit lang war das Matterhorn zu 100% französisch, unter der Herrschaft von Napoleon I. Zum einen war das Wallis von 1810 bis 1813 Teil des Departements Simplon mit Sitten als Hauptstadt. Andererseits war das Aosta-Tal von 1802 bis 1814 Teil des französischen Département de la Doire mit Ivrée (Ivrea) als Hauptstadt.
(Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris)
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