Erste Fremdsprache muss nicht Landessprache sein
Auf dem Weg zu einem neuen Sprachengesetz sind sich die beiden Parlamentskammern im entscheidenden Punkt uneinig: der Frage, welche Fremdsprache in der Schweiz zuerst unterrichtet werden soll.
Im Gegensatz zur grossen Kammer beschloss die kleine, dass auch Englisch erste Fremdsprache sein könne. Die Kantone sollten das selbst entscheiden. Sonst riskiere man einen Sprachenstreit.
Mit ihrem Entscheid vom Juni stiess die grosse Kammer (Nationalrat) die Kantone vor den Kopf, die nur wenige Wochen zuvor das HarmoS-Konkordat genehmigt hatten.
Diese Vereinbarung sieht vor, dass der Fremdsprachenunterricht koordiniert, die Einstiegssprache aber regional festgelegt wird.
Der Entscheid im Nationalrat kam nicht zuletzt mit den Stimmen der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) zustande, die das Sprachengesetz damit als Ganzes zu Fall zu bringen hoffte.
Die Mehrheit der kleinen Kammer (Ständerat) hielt den Vorrang der Landessprachen im Fremdsprachenunterricht dagegen für verfassungswidrig und verantwortungslos.
Das HarmoS-Konkordat sei eine gangbare Lösung, die nicht ohne Not gefährdet werden dürfe, sagte die Sozialdemokratin Anita Fetz, Präsidentin der Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur (WBK).
Wer redet mit wem?
Die Kantone hätten schon Millionen in Lehrmittel und Lehrerausbildung investiert.
Wie mehrere andere Rednerinnen und Redner warnte sie davor, einen Sprachenstreit oder gar ein Kantonsreferendum zu riskieren.
Im Namen einer Minderheit machte sich die Sozialdemokratin Gisèle Ory für die Lösung des Nationalrats stark. Es gehe um den Zusammenhalt des Landes auf lange Sicht, sagte sie.
Wenn das Parlament die Verantwortung dafür in die Hände der Kantone lege, gebe es die Verantwortung für die Eidgenossenschaft ab. Offenbar sprächen Deutschschweizer lieber mit Englischsprachigen als mit Romands, sagte Ory polemisch.
Kosten sind gering
Bildungsminister Pascal Couchepin beschwichtigte: Deutschschweizer hätten Vorzüge und Fehler, man müsse ihnen aber zugestehen, dass sie tatsächlich einen Ausgleich zwischen den Sprachen suchten.
Der Ständerat erteilte dem Anliegen des Nationalrats schliesslich mit 26 zu 8 Stimmen eine Abfuhr. Unbestritten war, dass es ein Sprachengesetz braucht. Der Widerstand hielt sich schon darum in Grenzen, weil die durch das Gesetz verursachten Kosten auf 15 Millionen Franken veranschlagt werden.
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Vielsprachigkeit
Lange Geschichte
Im April 2004 hatte der Bundesrat ein bereits beschlussreifes Sprachengesetz aus Spargründen und mit dem Hinweis auf ausreichende Instrumente zurückgezogen, was zu heftigen Protesten führte.
Aufgrund einer Initiative des sozialdemokratischen Freiburger Nationalrats Christian Levrat arbeitete die WBK der grossen Kammer in der Folge einen Erlass aus.
Dieser soll im wesentlichen den Gebrauch der Amtssprachen regeln, Verständigung und Austausch fördern und die mehrsprachigen Kantone bei ihren besonderen Aufgaben unterstützen. Die vorgesehenen Finanzhilfen liegen jedoch im Ermessen des Bundes.
Ohne Gegenstimme passierte die Vorlage die Gesamtabstimmung. Mit der Differenz beim Fremdsprachenunterricht und einer redaktionellen Korrektur geht sie zurück an den Nationalrat.
swissinfo und Agenturen
Das Schweizer Stimmvolk hat 1996 der Aufnahme eines Sprachenartikels in die Verfassung zugestimmt. Bei der Verfassungsreform 1999 kam es zu weiteren Neuerungen.
Die Sprachenfrage ist Gegenstand diverser Verfassungsartikel: Art. 4 (Landessprachen), Art. 18 (Sprachenfreiheit), Art. 70 (Sprachenartikel).
Der Sprachenartikel legt Deutsch, Französisch und Italienisch als Amtssprachen fest. Im Verkehr mit Rätoromanen ist auch das Romanische Amtssprache.
Die Bundesverfassung schreibt zudem vor, dass die Kantone Sprachminderheiten respektieren müssen und der Bund mehrsprachige Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben unterstützt.
Schliesslich legt Artikel 70 fest, dass der Bund mehrsprachige Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderer Aufgaben unterstützt.
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