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«Es wird immer engagierte Dok-Filmer geben»

Dieter Fahrer plädiert für eine klare Trennung der Fördergelder nach kommerziellen Produktionen und Dok- Autorenfilmen. swissinfo.ch

Wie sich am "Visions du Réel" in Nyon zeigt: Es ist viel in Bewegung in der Schweizer Filmszene - nicht nur zur Freude der Filmschaffenden. Standortbestimmung zum Schweizer Dok-Film mit dem Produzenten, Regisseur und Festival-Vorstandsmitglied Dieter Fahrer.

swissinfo.ch: Mit einem Manifest und einer vom Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz einberufenen ausserordentlichen GV wehrt sich die Filmbranche in Nyon gegen das provisorische Filmförderungskonzept des Bundes 2011 bis 2015. Weshalb dieser voreilige Protest?
Dieter Fahrer: Der Vorschlag der vom Bundesamt für Kultur eingesetzten Arbeitsgruppe, die bisherigen Kommissionen in der Filmförderung durch Intendanten zu ersetzen, löst in der Filmbranche Angst aus.

Diese Angst ist auch ein Ausdruck von Vertrauensverlust. Viele Filmschaffende fürchten, dass ihnen von oben etwas aufdoktroyiert wird, das für sie fatale Folgen haben könnte. Herr Bideau hat ja mit seinem Plädoyer für Lokomotiven und «Qualität und Popularität» in den letzten Jahren Massstäbe gesetzt, die alles andere als ein Optimum für die Filmförderung darstellen.

Ich persönlich bin nicht grundsätzlich gegen ein Intendantenmodell, doch es braucht zuerst eine Diskussion darüber, wie dieses genau aussehen soll. Das BAK hat nun auch Signale gesendet, dass es den geplanten Fahrplan nochmals überdenken will.

Wichtig ist einfach, dass eine Polemik verhindert wird. Denn es wäre verheerend, wenn sich nach den Produzenten auch die Regisseure und Drehbuchautoren spalten würden.

swissinfo.ch: Wie müsste ein solches Intendantenmodell Ihrer Meinung nach aussehen?

D.H.: Ich bin für eine klare Trennung der Fördergelder beim Bund nach kommerziellen Filmen und nach Dok- und Autorenfilmen. Das wäre für beide Seiten eine Befreiung.

Denn von einer Verschmelzung von Qualität und Popularität halte ich nichts. Ich finde es einfach verheerend, wenn die Filmbranche wie eine Werbeabteilung funktioniert und der Film nur noch vom Verkaufsgedanken her gesteuert wird.

Erfolg ist so oder so nicht kalkulierbar, die Lokomotiven werden immer wieder von den Waggons und Güterwagen überholt – typischen Autorenfilmen mit Herzblut, wie sie seit jeher in der Schweiz produziert werden.

Filme wie etwa «The Sounds of Insects» von Peter Liechti sind zwar keine Kassenschlager, werden aber an internationalen Festivals mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Das ist für die Schweiz genauso wichtig wie die Kinoeintrittszahlen.

swissinfo.ch: Der Dok- und der Autorenfilm als prestigeträchtiges Aushängeschild für die Schweiz. Doch hat dieses Filmgenre auf dem hart umstrittenen Filmmarkt in Zukunft noch eine Chance?

D.F.: Die klassische Form des Autoren-Produzenten, die sich in der Schweiz über lange Jahre bewährt hat, ist in Gefahr. Man spürt klar von Seiten des BAK, dass diese Strukturen nicht mehr unbedingt erwünscht sind.

Trotz ihres internationalen Renommees werden heute anteilsmässig weniger Fördermittel für Dok-Filme bereitgestellt als für die Spielfilme – umso wichtiger wird für diese die Filmförderung in den Regionen, die nach Zürich auch in Bern stark ausgebaut wurde.

Es gibt in der Filmbranche auch einige Stimmen, die fordern, dass die Fördermittel nur noch auf ein paar grosse Produzenten verteilt werden sollen. Dies wäre für den Autorenfilm fatal.

Ich glaube nach wie vor an das Produzieren in kleinen Strukturen, wo die Menschen und ihre Geschichten, Probleme, Wünsche und Hoffnungen im Vordergrund stehen. Das ist es, was die Filme so stark macht.

Für die Zukunft des Dok-Films spielen auch Faktoren wie die veränderten Sehgewohnheiten, der Bau von Multiplex- und die damit verbundene Schliessung von Arthouse-Kinos sowie die Entwicklung in den audiovisuellen Medien eine Rolle.

Es wird sich sehr viel ändern, doch es wird immer Menschen geben, die engagierte Dok-Filme machen.

swissinfo.ch: Bei der Filmförderung spielt das Fernsehen eine wichtige Rolle. Auch dort ist viel in Bewegung. Wie sehen Sie die zukünftige Zusammenarbeit angesichts von Konvergenz und Sparmassnahmen?

D.F.: Trotz der zahleichen Fernsehsender besteht eine immer grössere Einfalt. Es gibt sie zwar noch die kulturell anspruchsvollen Programme, doch überall sind Umstrukturierungen im Gange, überall herrscht Quotenparanoia. Kultursendungen werden immer mehr auf die Randzeiten verschoben oder das Budget dafür gekürzt.

Auch beim Schweizer Fernsehen gibt es immer weniger Sendegefässe, in denen Dok-Filme gezeigt werden können. Der Verlust des «Klanghotels» etwa wiegt für die Dok-Filmer schwer.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob es das Programmfernsehen in der heutigen klassischen Form in zehn Jahren überhaupt noch gibt.

swissinfo.ch: Auch in Nyon wird sich mit dem Weggang des Festivaldirektors Jean Perret und seiner Partnerin Gabriela Bussmann, die «Visions du Réel» zu einem der international wichtigsten Festivals für kreative Dok-Filme und Autorenfilme aufbauten, einiges verändern. Was bedeutet ihr Abgang?

D.F.: Jean Perret und Gabriela Bussmann haben «Visions du Réel» über all die Jahre mit unglaublichem Elan und wahnsinniger Energie zu einem weltweit einmaligen Ort des Gesprächs, des Austauschs und der Begegnung für den Dok-Film gemacht.

Perret hat auf eine konsequente Programmierung gesetzt, auf Filme mit Autorenhandschrift und Visionen. Dabei gab er auch kleinen, marginalen Filme ihren Platz.

Perret und Bussmann haben mit Nyon Vieles möglich gemacht. Es ist natürlich schwierig, wenn ein so engagiertes Paar nach 16 Jahren Erfolgsgeschichte abtritt. Auf dem Höhepunkt aufzuhören, nicht zu warten, bis plötzlich Ermüdungserscheinungen auftreten, ist jedoch nur konsequent.

Was die Nachfolger von Perret und Bussmann anbelangt, so ist es wichtig, dass diese Nyon nicht völlig neu erfinden wollen, sondern auf deren Erbe aufbauen.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Der 1958 in Bern geborene Dieter Fahrer war nach seinem Studium an der Bayrischen Staatslehranstalt für Fotografie in München zuerst als freier Fotograf tätig.

Ab 1983 arbeitete er als Aufnahme- und Produktionsleiter, Kamera-Assistent, Kameramann bei Spiel- und Dokumentarfilmen von Clemens Klopfenstein, Felix Tissi, Daniel Schmid, Matthias von Gunten, Nicolas Humbert & Werner Penzel und Bernhard Nick.

1988-1996 bei Balzli & Cie Filmproduktion. Ab 1997 Geschäftsführung der Balzli & Fahrer Filmproduktion in Bern.

Als Regisseur realisierte Dieter Fahrer «SMS from Shangri-La» (2010), «Que Sera» (2004), «Jour de nuit» (2000) und aus «Heiterem Himmel» (1991).

Eine Gruppe von Westschweizer Filmschaffenden, darunter Ursula Meier, Jean-Stéphane Bron, Lionel Baier und Alain Tanner, haben ein Manifest lanciert, welches das provisorische Filmförderungskonzept des Bundes kritisiert.

Auch Deutschschweizer Kollegen wie Fredi M. Murer und Markus Imhoof unterstützen das Anliegen.

Am provisorischen Konzept stören die Filmschaffenden insbesondere die Ablösung des Kommissions- durch ein Intendanten-, respektive Einzelexperten-System, die Streichung der selektiven Drehbuchförderung und die Neuverteilung von Succès Cinema-Geldern (erfolgsabhängige Filmförderung), welche die Produzenten bevorteilt.

Für Sonntag hat der Verband Filmregie und Drehbuch am Dokfilm-Festival «Visions du Réel» deshalb eine ausserordentliche Generalversammlung einberufen.

Die vom BAK für Dienstag angekündigte Vorstellung der Evaluationsstudie zur biserigen Filmförderung ist verschoben worden.

Die 16. Ausgabe des Dok-Filmfestivals «Visions du Réel» in Nyon findet vom 15. bis 21. April statt.

Insgesamt 160 Filme bewerben sich um 11 Preise im Gesamtwert von 85’500 Franken.

Die Rock-Legende Lou Reed kommt mit seinem ersten Film «Red Shirley» zur Welturaufführung nach Nyon.

Für Jean Perret, der das Filmfestival seit 1995 leitete, ist die 16. Ausgabe von «Visions du Réel» zugleich die letzte.

Perret wird neu Verantwortlicher der Abteilung Film an der Hochschule für Kunst und Design (HEAD) in Genf.

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