Félix Vallotton: Was man über diesen grossen Schweizer Künstler wissen muss

Heuer jährt sich der Todestag von Félix Vallotton zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass sind in mehreren Städten in der Schweiz Publikationen und Ausstellungen geplant. Der Schweizer Künstler ist weltberühmt für seine Bilder, weniger für seine Romane und Theaterstücke. Eine aussergewöhnliche Persönlichkeit: Maler, Grafiker, Zeichner, Illustrator und Schriftsteller in einem.
Félix Vallotton ist die Pariser Avantgarde in ihrer schillerndsten Form. Der berühmte Maler ist zwar Schweizer, aber nichts an ihm ist neutral.
Alles in seinem Werk ist funkelnd: die leuchtenden Farben (Landschaften), die Übersteigerung der Sinne (nackte Körper), die Kühnheit der Gefühle (intime Szenen).
Vallotton wurde 1865 in Lausanne in einem protestantisch-bürgerlichen Milieu geboren und verliess seine Heimat, um sich in Paris niederzulassen. Er verbrachte sein ganzes Leben in der Stadt der Lichter, wo er 1925 im Alter von 60 Jahren starb.
Bei seiner Ankunft in Frankreich war Vallotton 16 Jahre alt. Er besass grossen Mut, der sich in seinem herausfordernden Blick auf dem «Selbstbildnis im Alter von 20 Jahren» widerspiegelt.
Das Bild ist vorausschauend. Der Blick des Malers verrät bereits den Willen zum Erfolg im umkämpften Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das von avantgardistischen Kunstschaffenden bevölkert ist, die nach Anerkennung streben.

Schon früh fällt er auf. Zuerst an der Akademie Julian, wo er sein Studium beginnt. Von seinen Lehrern ermutigt, wechselt er an die Akademie der Schönen Künste, wo er brilliert und sich mit den Malern der «Nabi»-Bewegung anfreundet, der er sich dann auch anschliesst.
Ein erfülltes Schicksal
Die Zeit vergeht. Vallottons Schicksal hat sich erfüllt. Er ist schon zu Lebzeiten berühmt geworden. 1923 malt er ein letztes «Selbstbildnis» (er hatte acht gemalt).
Doch diesmal ist sein Blick nachdenklich. Sehnt er sich nach seinem erfüllten Künstlerleben zurück? Vallotton hält seine Malerpalette in der Hand. Eine Bestätigung seiner Identität! Zwei Jahre später stirbt er.
Zwischen diesen beiden Selbstporträts liegt sein gesamtes malerisches Werk. Aber auch seine unzähligen Holzschnitte, seine Illustrationen für Zeitschriften und Bücher, seine Pressezeichnungen.
1704 Gemälde sind verzeichnet, 300 davon befinden sich in verschiedenen Museen der Welt, 177 hängen in 23 Schweizer Museen.
Diese Zahlen sprechen für das produktive Talent Vallottons, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt. Grosse Schweizer Kulturinstitutionen im ganzen Land erweisen ihm die Ehre.
In Winterthur, Vevey, Ascona und Lausanne werden Ausstellungen im Kunstmuseum, im Musée Jenisch, im Museo Castello San Materno und im Musée cantonal des beaux-arts organisiert. Sie alle zeigen auf ihre Weise die vielen Facetten der vallottonschen Kunst.
Weitherum bekannt
«Während seine Malerei ihm in Frankreich schnell die Türen zum Ruhm öffnete, war es die Radierung, die ihm die internationale Anerkennung einbrachte», sagt Katia Poletti, Kuratorin der Fondation Félix Vallotton in Lausanne.
«Mit seinen schwarz-weissen Flächen schuf Vallotton eine neue Kunst, die er später auf seine Pressezeichnungen und Illustrationen übertrug. Er erhielt Aufträge von englischen, deutschen und amerikanischen Zeitungen.»

Vallotton ist also auf der ganzen Welt ein Begriff. Doch in den letzten fünfzehn Jahren hat sich die Wertschätzung seines Werks gewandelt.
«Sie hat sich dank bemerkenswerter Ausstellungen in den wichtigsten Städten der Welt erweitert. Angefangen mit der Retrospektive, die ihm 2013 im Grand Palais in Paris gewidmet wurde. Später wurde sie auch in Amsterdam und Tokio gezeigt», so Poletti.
Die Ausstellung mit dem Titel «Le feu sous la glace» (Das Feuer unter dem Eis) habe alles über den Charakter Vallottons ausgesagt, der Leidenschaften schüre und sein Publikum nie gleichgültig lasse.
Im Metropolitan in New York
Die Anerkennung des Künstlers wurde noch grösser, als sein Werk 2019 in der Royal Academy of Arts in London und im selben Jahr im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt wurde.
«Wenn Sie auf der Fifth Avenue eine 15 Meter lange Flagge wehen sehen, die Vallottons Anwesenheit ankündigt, denken Sie: Wow!», schwärmt Poletti.
Vallotton ist neben Alberto Giacometti der weltweit bekannteste Schweizer Künstler. Noch berühmter als seine Landsmänner Ferdinand Hodler und Albert Anker.
«Auf internationaler Ebene wird Vallotton mit den Nabis und den Symbolisten in Verbindung gebracht, zwei universellen Bewegungen, während das Bild der beiden Berner Maler mit der Schweizer Identität verbunden ist. Hodler und Anker sind Schweizer Ikonen», sagt Poletti.
«Ich erinnere daran, dass Hodler Wilhelm Tell, eine unserer Mythen, sowie zahlreiche Landschaften unseres Landes gemalt hat. Sein Bild ‘Der Schnitter’ zierte lange Zeit unsere Hundertfrankennote. Die Idee, die es vermittelt, ist mit der Idee der Anstrengung verbunden, die den Schweizerinnen und Schweizern am Herzen liegt. Dasselbe gilt für Anker, dessen Gemälde die gut ausgeführte Arbeit aufwerten.»
Ein Künstler für die Ewigkeit
Ins gleiche Horn stösst Catherine Lepdor, Direktorin des Musée cantonal des beaux-arts (MCBA) in Lausanne.
«Anker verherrlichte die Arbeit, welche die Arbeiter in seinem Berner Dorf Ins zeigen, in Gemälden. Er und Hodler sind zweifellos grosse Maler, aber weniger universell als Vallotton», sagt sie.
«Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Kunstmarkt. Ein Bild von Vallotton kann heute leicht fünf Millionen Franken erzielen. Eine Summe, die ein Werk von Hodler oder Anker nicht erreicht.»

«Vallotton Forever»Externer Link: Das ist der Titel der grossen Retrospektive, die das MCBA im Oktober dieses Jahres zeigt. Die Ausstellung, die rund 200 Werke des Lausanner Künstlers umfasst, ist der Höhepunkt des diesjährigen Ausstellungsprogramms der oben genannten Schweizer Museen.
Vallotton für die Ewigkeit? «Ja, so könnte man den Titel dieser Retrospektive interpretieren, die in der Tat eine Liebeserklärung an den Maler ist», sagt Lepdor.
«Schon zu Lebzeiten hat er die Kunstwelt herausgefordert. Auch heute noch ist diese von seinem Werk berührt, ebenso wie die Welt der Literatur und des Kinos. Ein Beispiel dafür ist der Roman ‹Der letzte Weynfeldt› des grossen Zürcher Schriftstellers Martin Suter.»
Eine literarische Feder
Suters Anfang der 2000er-Jahre erschienener Kriminalroman wurde verfilmt. Darin geht es um die Versteigerung eines gefälschten Gemäldes von Vallotton, «Nackte Frau vor einem Salamander».
Kein Wunder, dass der Lausanner Maler Literatinnen und Literaten anzog. Er selbst war Romancier und Dramatiker. Das aber wissen nur wenige.
Eine Offenbarung also im Jubiläumsjahr. Und ein weiterer Beweis für das Genie dieses gequälten Künstlers, der alle kulturellen Hebel in Bewegung setzte, um sich aus seinem Elend zu befreien.
Er schrieb drei Romane, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden: «La vie meurtrière», «Les soupirs de Cyprien Morus» und «Corbehaut». Vallotton schrieb auch sechs unveröffentlichte Theaterstücke und einige Sketche.
All dies wird in einem 1200 Seiten umfassenden Werk zusammengefasst, das im Oktober dieses Jahres im Verlag Zoé (Genf) erscheinen wird. Herausgeber ist Daniel Maggetti, Professor an der Universität Lausanne.
«Vallottons Malerei wirft einen sehr ironischen Blick auf die bürgerlichen Milieus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dasselbe gilt für seine Theaterstücke, in denen die Satire auf diese Milieus sehr aktiv ist», sagt Maggetti.
«Ich weise darauf hin, dass er von der Atmosphäre seiner Zeit geprägt war und sich gerne kritisch mit der Familie, dem Eheleben und den Institutionen im Allgemeinen auseinandersetzte.»
Zu Vallottons Pariser Freunden zählten auch Dramatiker. «Sie haben ihn wahrscheinlich zum Theater hingezogen. Man muss hinzufügen, dass er, wenn es um Geld ging, ein Feigling war. Versprach er sich von der Bühne schnelle finanzielle Gewinne? Zweifellos», schliesst Maggetti.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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