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Basel gerät wegen belasteter Kunst unter Druck

Edvard Munch s Madonna painting
"Madonna" von Edvard Munch: Der norwegische Expressionist fertigte mehrere Versionen dieses Werks an. Eine davon kaufte das Kunstmuseum Basel 1933 zu einem günstigen Preis. SRF

Vor neun Jahren wies Basel einen Anspruch auf mehr als 100 Kunstwerke zurück, die einst dem renommierten Museumsdirektor und Kunsthistoriker Curt Glaser gehört hatten und vom Kunstmuseum Basel aufgekauft worden waren. Darunter Werke von Edvard Munch, Henri Matisse und Marc Chagall. Nun nimmt der Druck auf Basel zu, den Entscheid zu überdenken.

Eine Lithographie einer Nackten in Schwarz, Rot und Blau von Edvard Munch mit dem Titel «Madonna», ein Aquarell mit zwei lachenden blonden Mädchen von Max Pechstein, die Chagall-Radierung eines Musikers, der Cello spielt: Sie gehören zu den Schätzen des Kunstmuseums BaselExterner Link.

Gemeinsam haben sie, dass sie einst dem Kunstkritiker Curt Glaser gehörten, damals Direktor der Berliner Kunstbibliothek und ein Freund von Munch und Max Beckmann.

Nur einige Monate nach der Machtergreifung 1933 führten die Nazis ein Gesetz ein, das Juden und politische Gegner von öffentlichen Ämtern ausschloss. Glaser wurde gezwungen, seinen Job und seine Wohnung zu verlassen, errichtete doch die Gestapo ihr Hauptquartier ausgerechnet in jenem Haus, in dem er seine Wohnung hatte.

Print of Curt Glaser and his wife Elsa by Edvard Munch
Curt Glaser (rechts) und seine Frau Elsa in einer Radierung von Edvard Munch (1913). akg-images

«Er verlor alles», sagt Valerie Sattler, Glasers Grossnichte und eine seiner Erben und Erbinnen. «Er verlor seine Wohnung, seinen Job und seine Erwerbsmöglichkeiten.» Glaser verkaufte seine Kunstsammlung, seine Möbel und die persönliche Bibliothek an zwei Auktionen in Berlin und floh aus dem Land. Schliesslich liess er sich in New York nieder.

Einigungen erzielt

Museen in Hannover, Berlin, Köln, Nürnberg, München und Amsterdam haben in den letzten Jahren bereits Werke zurückgegeben oder sich mit den Erben Glasers geeinigt. Sie akzeptierten damit die Tatsache, dass er die Werke unter Zwang hatte verkaufen müssen, um seine Flucht aus Nazi-Deutschland zu finanzieren.

Doch Basel hält an seinem Entscheid von 2008 fest, die Ansprüche zurückzuweisen. Damals hatte die Stadt argumentiert, das Kunstmuseum habe bei der Auktion 1933 marktübliche Preise bezahlt und hätte keine Möglichkeit gehabt, zu wissen, dass die Werke Glaser gehört hatten.

Doch seit dem Entscheid 2008 sind Informationen aufgetaucht, die belegen, dass diese Argumente beide falsch sind: So erwähnte das Protokoll einer Sitzung der Basler Kunstkommission vom Juni 1933 – 2010 entdeckt – einen Bericht zur «Glaser-Auktion in Berlin». Die Kommission habe «eine grosse Anzahl moderner Werke zu günstigen Preisen» kaufen können, sagte der Kurator laut Protokoll an der Sitzung.

Diese neuen Informationen, kürzlich durch einen Bericht des Schweizer Fernsehens SRF aufgedeckt, führten in Basel zu einer Positionsverlagerung. «Wir werden die Dokumente prüfen, um uns einen Überblick zu verschaffen und zu diskutieren, wie wir mit dem Kunstmuseum und der Kunstkommission weiterschreiten wollen», sagte Melanie Imhof, Sprecherin der Kantonsregierung von Basel-Stadt. «Momentan ist noch alles offen.»

Laut Felix Uhlmann, Präsident der Kunstkommission des Kunstmuseums Basel, plant die Kommission, «die Frage des Kaufs der Werke von Curt Glaser in den kommenden Monaten sehr sorgfältig zu prüfen». Auch wenn er zugibt, dass die Preise tief gewesen seien, «waren diese während der Weltwirtschaftskrise marktgerecht. Das bedeutet aber nicht, dass wir die schwierige Situation nicht anerkennen, in der sich Curt Glaser befunden hatte».

Das Gurlitt-Erbe

Diese Veränderung zeigt, wie sich die Schweizer Haltung gegenüber jüdischen Ansprüchen auf von den Nazis geraubten oder verkauften Kunstwerken verändert hat. Dies besonders, nachdem das Kunstmuseum Bern das Erbe von Cornelius Gurlitt angetreten hat.

Der zurückgezogen lebende Kunstsammler hat dem Museum über 1500 Werke grösstenteils aus der Sammlung seines Vaters vermacht, von denen einige von den Nazis geraubt und einige von verzweifelten Juden verkauft worden waren, die Deutschland verlassen wollten. Wegen der Verantwortung, die damit einherging, hatte das Kunstmuseum Bern einige Zeit gezögert, das Erbe anzunehmen.

+ Erfahren Sie hier, warum die Gurlitt-Sammlung nach Bern kam

Marcel Brülhart, Vizepräsident der Dachstiftung Kunstmuseum Bern, sagte gegenüber SRF, seiner Meinung nach sei der Basler Entscheid von 2008 «aus heutiger Perspektive nicht länger vertretbar».

«Der Fall Gurlitt brachte einige Bewegung in die Diskussion», sagt der Schweizer Historiker Thomas Buomberger, der zwei Bücher über Nazi-Raubkunst geschrieben hat. Als das Kunstmuseum Bern einen Vertrag mit der deutschen Regierung abgeschlossen habe, habe es zugestimmt, die gleichen Kriterien wie Deutschland anzuwenden, wenn es darum gehe, festzustellen, welche Kunstwerke aus der Gurlitt-Sammlung zurückgegeben werden sollten, gibt Buomberger zu bedenken.

Die deutsche Regierung spricht dabei von «Kunst, die durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten verloren gegangen ist», was den Verkauf unter Zwang umfasst. «Diese Bezeichnung ist breiter gefasst als die Kriterien, die bisher angewandt wurden», sagt Buomberger. «In den nächsten Jahren wird es darüber in der Schweiz viel zu diskutieren geben.»

Allmähliche Haltungsänderung

In der Vergangenheit haben Schweizer Museen Ansprüche von jüdischen Erben auf Werke, die in einer Zwangslage oder zwangsweise verkauft wurden, abgewiesen. Dennoch unterzeichnete die Schweiz die unverbindliche internationale Washingtoner Erklärung in Bezug auf von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Kunstwerke.

2009 wurde diese durch die Theresienstädter Erklärung über Holocaust-Vermögenswerte ersetzt – auch diese unterzeichnete die Schweiz. Die Erklärung verlangt, «alles nur Mögliche zu unternehmen, um die Folgen des unrechtmässigen Vermögensentzugs, wie durch Beschlagnahme, Zwangsverkauf und Verkauf in einer Zwangslage, zu korrigieren».

Glasers Grossnichte Sattler, Cellistin bei den Nürnberger Symphonikern, stellt ebenfalls eine allmähliche Veränderung fest, wie Institutionen die Ansprüche ihrer Familie betrachten – und wie Glaser selber in Erinnerung bleibt.

So wurde 2016 im Foyer der Berliner Kunstbibliothek eine Gedenktafel zur Erinnerung an Curt Glaser enthüllt, über 80 Jahre nach seiner Flucht aus der Stadt. Hermann Parzinger, Präsident die Berliner Stiftung Preussischer Kulturbesitz, bezeichnete ihn in einem Artikel in Der Tagesspiegel als «eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Säuberungswelle».

«Es darf nicht sein, dass ein Mann, der so viel für die Museen leistete, nur in Fachpublikationen gewürdigt wird. Es käme einem späten Triumph der Nationalsozialisten gleich, gewissermassen einem Erfolg ihres Versuchs, Personen und Haltungen zu vernichten», schrieb er weiter.

Sattler gibt sich betreffend Basel verhalten optimistisch. «Die Dinge verändern sich sehr langsam», sagt sie. «Wer weiss also, was geschehen wird?»

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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