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Auf Initiative einiger leidenschaftlicher Filmfans startet am 23. August 1946 das Festival von Locarno - "das kleinste Festival unter den grossen."
Locarno Film Festival
Die ersten Jahre des Festivals stehen ganz im Zeichen des italienischen Neorealismus. 1948 gewinnt Roberto Rosselini – bei seinem dritten Anlauf - den Grand Prix mit "Germania Anno Zero" (Deutschland im Jahre Null). Im gleichen Jahr erhält "Ladri di bicicletta" (Fahrraddiebe) von Vittorio De Sica einzig eine Erwähnung der Jury, was Proteste auslöst.
(Locarno Festival)
Die internationale Bedeutung von Locarno wächst. Der Glamour-Faktor des Festivals prägt sich aus, in gewisser Weise als Vorläufer von Cannes. Schauspielerinnen werden an den Gestaden des Lago Maggiore von Paparazzi verfolgt. An der Seite von Vittorio De Sica (links) ist 1949 Gina Lollobrigida zu sehen, welche diese Periode perfekt verkörpert.
(Keystone/Locarno Festival)
In den 1940er- und 1950er-Jahren sind gigantische Fotos von Berühmtheiten am Bahnhofsplatz zu sehen.
(Locarno Festival)
1960, Marlene Dietrich als Stargast. Sie fährt auf Einladung ihres Entdeckers Josef von Sternberg nach Locarno. Alle Augen sind auf die Diva gerichtet, aber sie bleibt wortkarg: "Als Schauspielerin gehöre ich zum Souvenir-Album, und dieses Album bleibt stumm."
© Festival Locarno
Die Retrospektive ist ein Aushängeschild des Festivals und wird nach dem Erfolg der Reihe mit Filmen des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman im Jahr 1959 institutionalisiert.
Keystone
1959 gewinnt ein gewisser Stanley Kubrik den Spezialpreis der Jury – mit dem Film "Killer’s Kiss", einem Kriminalfilm aus dem Jahr 1955.
Look Magazine Collection
Während des Kalten Krieges räumt Locarno Filmen aus osteuropäischen Ländern viel Platz ein. Dies stösst auf Kritik: Die Deutschschweizer Presse wirft dem Festival vor, "kommunistenfreundlich" zu sein. 1964 gewinnt ein junger Regisseur aus der Tschechoslowakei, Milos Forman, mit seinem Film "Der schwarze Peter" (Černý Petr) das Goldene Segel (Vorläufer des Goldenen Leoparden). Er war eine Entdeckung. Elf Jahre später wird Forman mit "Einer flog über das Kuckucksnest" einen Welterfolg landen.
Festival del film Locarno
Im Jahr 1968 wird Locarno durchgeschüttelt. Die Jury unter ihrem tschechoslowakischen Präsidenten Jiri Menzel zieht sich als Protest gegen die Invasion Prags durch die Warschauer-Pakt-Staaten zurück. Die Jugendjury übernimmt und vergibt den Hauptpreis – erstmals in Gestalt eines Goldenen Leoparden.
Keystone
Im Jahr 1969 trifft sich eine neue Generation von Schweizer Filmemachern in Locarno: Michel Soutter und Yves Yersin, Frederic M. Murer und Francis Reusser, Claude Champion und Clemens Klopfenstein. Alain Tanner gewinnt mit "Charles mort ou vif" als erster Schweizer in Locarno. Mit diesem Werk wird der Schweizer Film in ganz Europa bekannt.
cinémathèque suisse
Im Jahr 1985 gewinnt "Höhenfeuer" von Fredi Murer (links) den Goldenen Leoparden. Es dauert dann bis 2006, bis erneut eine Schweizer Produktion ("Das Fräulein" von Andrea Staka) den Hauptpreis erhält.
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1971 markiert einen wichtigen Wendepunkt: Das Festival wird vom Grand Hotel auf die stimmungsvolle Piazza Grande verlegt.
Locarno Film Festival
1983 unternimmt Spike Lee seine erste Transatlantik-Reise, um in Locarno seinen ersten Langspielfilm"„Joe's Bed-Stuy Barbershop: We Cut Heads" zu präsentieren. Der Film gewinnt den Goldenen Leoparden und macht den Regisseur weltweit bekannt.
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Der damals vollkommen unbekannte Jim Jarmusch – mit wallendem Haar und rebellischem Blick – gewinnt 1984 mit "Stranger than Paradise" den Goldenen Leoparden.
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Der Jahrgang 1989 wird mit mehr als 100'000 Zuschauern ein grosser Publikumserfolg. Auf der Piazza Grande sehen 9200 Personen "Mystery Train" von Jim Jarmusch.
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Locarno unterhält eine intensive Beziehung zum iranischen Kino. Für viele iranische Filmschaffende ist Locarno ein Trampolin, beispielsweise für Abbas Kiarostami, der 1989 den Bronzenen Leoparden gewinnt. Beim 50. Filmfestival im Jahr 1997 gewinnt Jafar Panahi den Goldenen Lepoarden mit "Ayneh" (Der Spiegel).
akg-images
Von 1992 bis 2000 prägt Marco Müller als künstlerischer Direktor das Festival. Er bringt seine Leidenschaft für chinesische Filme nach Locarno. Im letzten Jahr unter seiner Leitung triumphiert das chinesische Filmschaffen: Der Goldene Leopard geht an Wang Shuo ("Baba"), der Silberne Leopard an Fruit Chan für den Film "Little Cheung", aus dem das obige Bild stammt.
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Jahr 2000: Mit 175'000 Zuschauern feiert das Festival zum Auftakt des neuen Jahrtausends einen Besucherrekord.
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Ken Loach war 1981 und 1993 zu Gast in Locarno. 2003 erhält er den Ehrenleoparden und 18 Minuten Applaus auf der Piazza Grande. 2016 kehrt Loach erneut nach Locarno zurück, mit seinem berührenden Film "Ich, Daniel Blake".
Festival del film Locarno
Jahr 2005: Wim Wenders nimmt auf dem Podium der Piazza Grande den Ehrenleoparden entgegen. Er sagt: "Alle fragen mich, was es bedeutet, einen Ehrenleoparden zu erhalten. Nun weiss ich es: Auch ich bin ein Leopard geworden."
Locarno Festival
Für europäisches Filmschaffen bietet Locarno stets ein Forum. 2005 begeistert Florian Henckel von Donnersmarck auf der Piazza Grande mit seinem Langspielfilm "Das Leben der Anderen", der im Jahr darauf einen Oscar in der Kategorie bester fremdsprachiger Film erhält.
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In seiner Gründungszeit konnte Locarno auf die Präsenz viele Filmstars setzen. Doch mit der Zeit macht sich die Konkurrenz anderer und mondänerer Festivals bemerkbar. Aber erlauchte Gäste sind auch in Locarno immer wieder zu sehen, etwas Juliette Binoche im Jahr 2014.
Festival del film Locarno/Carlo Reguzzi
Ein Blick in die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft: Mit diesem Motto begeht das Filmfestival Locarno 2017 seine 70. Ausgabe. Um diesen Geist zu unterstreichen, wird im Wettbewerb ein Werk des bereits verstorbenen chilenischen Filmemachers Raoul Ruiz aus dem Jahr 1990 gezeigt ("La telenovela errante"). Ruiz hatte 1968 in Locarno sein Debut gefeiert. Der Film war verloren gegangen, wurde wiedergefunden und restauriert. Er wird ein Highlight der diesjährigen Ausgabe werden. Damit wird auch die enge Bande zwischen Locarno und dem lateinamerikanischen Filmschaffen unterstrichen.
pado.ch
Roberto Rossellini, Abbas Kiarostami, Jim Jarmusch oder Wim Wenders: Seit seiner Gründung im Jahr 1946 hat das Filmfestival Locarno einige der bekanntesten Regisseure der Welt empfangen. Das Festival blieb seinem Ruf als Veranstaltung für freies und unabhängiges Filmschaffen stets treu. swissinfo.ch zeigt die mittlerweile 70-jährige Geschichte des Festivals in ausgewählten Bildern.
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
02. August 2017 - 13:21
Man schreibt den 23. August 1946, als im Park des Grand Hotel das erste Filmfestival von Locarno eröffnet wird. In der Nachkriegszeit ist Locarno der erste Ort, der eine Veranstaltung dieser Art organisiert. Die Filmfestivals von Cannes und Venedig folgen im September.
Locarno war seither stets ein Schaufenster für unabhängiges Filmschaffen: vom italienischen Neorealismus zu den Pionieren der Nouvelle Vague, von Filmen aus den ehemaligen Ostblock-Ländern bis zu asiatischen Produktionen. Dazu kommt: Locarno hat vielen Regisseuren zum internationalen Durchbruch verholfen, etwa Milos Forman, Marco Bellocchio, Alain Tanner, Jim Jarmusch, Spike Lee, Abbas Kiarostami oder Pedro Costa.
swissinfo.ch zeigt wichtige Etappen in der Geschichte des Festivals Locarno.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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